Eric Clapton wird 75
29. März 2020Selbst zu seinem 75. Geburtstag und nach fast 60 Jahren auf der Bühne ist Eric Claptons Verhältnis zur Öffentlichkeit nicht ganz klar. Der Sänger und Gitarrist gilt als scheu. Der Heldenkult, der in den 1960er und 1970er Jahren um ihn entstand und bis heute besteht, ist ihm nicht geheuer. Andererseits geht der aus dem Süden Englands stammende Musiker immer noch auf Tour, spielt in ausverkauften Hallen vor Fans, die begeistert jedes seiner Soli feiern. Seine Songs erzählen viel über sein Leben.
Am 30. März 1945 als drittes Kind der Familie geboren, wächst Clapton in der Kleinstadt Ripley in armen Verhältnissen auf. Erst spät erfährt er, dass ihn seine Großeltern aufziehen. Als der Junge seine leibliche Mutter im Alter von neun Jahren bei einem Treffen fragt, ob er sie Mama nennen dürfe, lehnt sie ab. Diesen Moment beschreibt Clapton in seiner 2007 erschienenen Biografie "Mein Leben" als Fundament eines jahrzehntelang währenden Gefühls der Abweisung.
Der junge Eric flüchtet sich in die Künste, besonders in die Musik: "Musik wurde meine Heilerin, und ich lernte, mit meinem ganzen Sein zuzuhören", schreibt er in seinem Buch. Er hört Bluesplatten seines Onkels: Chuck Berry, Robert Johnson, Big Bill Broonzy und B.B. King, mit dem er Jahrzehnte später das gemeinsame Album "Riding with the King" aufnehmen soll.
Der Junge liegt seinen Großeltern so lange in den Ohren, bis sie ihm eine Gitarre kaufen, die billig sein muss und deshalb schlecht zu spielen ist. Eric schaut sich bei Fernsehauftritten seiner Idole ab, wie sie die Saiten ihrer Instrumente bedienen, spielt alles nach, kopiert jeden Rhythmus, jedes Gitarrenlick.
"Slowhand" wegen gerissener Saiten
Eric ist ein Feingeist, interessiert sich früh für Mode und Stilfragen, besucht die Kunstschule, die er 1963 abbricht, um Musiker zu werden. Um Geld zu verdienen, assistiert er seinem Großvater, einem Maurer, doch schon bald folgen erste Erfolge mit der Band Yardbirds. Aus jener Zeit stammt der Spitzname "Slowhand": Wenn Clapton auf der Bühne eine Saite riss, setzte das Publikum mit einem Klatschrhythmus ein, während er eine neue Saite aufspannte.
Daraus machen seine Bandkollegen den Namen "Slowhand" – doch langsam spielt Clapton damals selten: Setzt Clapton zu einem Solo an, zerschneidet er mit den Saiten die Luft. In seinen Riffs bündelt er eine aus Wut und Schmerz gepaarte Leidenschaft, über sein Instrument breitet er seine Gefühlswelt aus.
Als das Yardbirds-Management die Band mehr Richtung Mainstream drängt, lehnt Clapton ab. Den Beatles, zu jener Zeit bereits Superstars, will er, gerade 20 Jahre alt, nicht nacheifern. Er verlässt die Yardbirds, um sich kurz darauf der Band von John Mayall anzuschließen, dem Vater des britischen Blues.
Mitte der 1960er Jahre baut sich in England um Clapton ein Mythos auf, er gilt als musikalisches Genie, an eine Hauswand gesprüht steht: "Clapton is God". Ihn reizt das Neue, ständig. Mit dem Drummer Ginger Baker und dem Bassisten Jack Bruce formiert er die Gruppe Cream, in der er neben Bruce auch zum ersten Mal als Sänger in Erscheinung tritt. Ihr Stil mischt Blues mit Psychedelic-Rock, es entstehen Hits wie "Sunshine of Your Love" und "Crossroads".
Musikalischer Vagabund mit flüchtigem Interesse
In jener Zeit ist in der britischen Rockmusik alles im Fluss, es gibt eine offene Szene, viele gemeinsame Jams. Daraus erwächst eine Freundschaft zu Beatles-Gitarrist George Harrison, der Clapton bittet, auf einem Stück des nächsten Beatles-Albums zu spielen: "While My Guitar Gently Weeps". 1968 lösen sich Cream auf, Clapton bleibt rastlos, gründet mit Steve Winwood, als Organist und Sänger der Band Traffic selbst ein Star, die Gruppe Blind Faith. Für die Albumaufnahmen sagt Clapton die Teilnahme an einem Festival in den USA ab, das legendär werden soll: Woodstock.
Clapton ist ein musikalischer Vagabund, der schnell das Interesse verliert, sobald er etwas erfolgreich ausprobiert hat. Cream existiert drei Jahre, Blind Faith hat sich nach einem Album und einer Tour erledigt, ebenso Derek and the Dominos. Hinter dieser Band versteckt Clapton seinen bekannten Namen, mit ihr spielt er in kleinen Clubs, ohne jede Werbung, manche Zuschauer wissen vorher nicht, dass Clapton auf der Bühne stehen wird. Der hat so viel Spaß wie lange nicht.
Widerwillig stimmt Clapton schließlich zu, wenigstens das Album "Layla And Other Assorted Love Songs" zu promoten und die Katze mit einem Slogan aus dem Sack zu lassen: "Derek is Eric". Ihm sind die Plattenverkäufe nicht so wichtig wie der künstlerische Aspekt, Geld hat er schon genug verdient. Er investiert es in ein Anwesen unweit seines Heimatortes Ripley, seine ersten Ferraris – und jede Menge Drogen.
Als Derek komponiert Clapton 1970 "Layla", einen seiner größten Hits. Er beschreibt darin seine unglückliche Liebe zu einer verheirateten Frau – Pattie Boyd, Ehefrau seines Freundes George Harrison. Als der ihn einlädt, in New York an seinem Benefizkonzert für Bangladesch teilzunehmen, sagt Clapton nur unter der Bedingung zu, dass ein permanenter Heroinvorrat gewährleistet ist. Seine damalige, deutlich jüngere Freundin kommt aus diesem Kreislauf nicht mehr heraus und stirbt Jahre später an einer Überdosis.
Wer ist der beste Gitarrist?
Der außergewöhnliche Musiker ist vor allem ein großer Musikfan, auch von vermeintlichen Konkurrenten. In einem alten TV-Interview nach dem Tod von Jimi Hendrix erzählt er von einer Fender Stratocaster, die er Hendrix schenken wollte. Dann bricht ihm die Stimme. Während in den Fanlagern und unter Kritikern ein Streit tobt, wer den inoffiziellen Titel als bester Gitarrist der Welt verdient, schätzen sich die beiden Musiker sehr. Dennoch ist Clapton bewusst: Während er ein weißer Junge aus Europa bleibt, der von den schwarzen Bluesmusikern aus Amerika beeinflusst wurde, war Hendrix ein schwarzer Bluesmusiker aus Amerika. Daran kann Clapton nichts ändern.
1974 gelingt dem von Selbstzweifeln geplagten Clapton mit dem Soloalbum "461 Ocean Boulevard" und seiner Version von Bob Marleys "I Shot the Sheriff" ein Befreiungsschlag. Auch privat wendet sich das Blatt: Pattie, seine große Liebe, trennt sich von George Harrison. Es dauert nicht lange, bevor es ihr ergeht wie Claptons Bands zuvor: Er verliert das Interesse und betrügt sie, wann immer er auf Tour ist: "Zuhause ist Zuhause, unterwegs ist unterwegs", schreibt er über jene Zeit in seiner Biografie. Als sich Pattie zu trennen droht, hält er am Telefon um ihre Hand an, wenig später heiraten sie.
Mit Boyd kapselt sich Clapton weniger ab, er überwindet seine Heroinsucht, greift dafür bald zur Flasche. Anfang der 1980er Jahre ist Clapton so gut wie nie nüchtern und ständig zweifelnd. Vom Selbstmord hält ihn allein der Gedanke ab, als Toter nicht mehr trinken zu können. Er ist kein Mensch, der Maß halten kann. Er raucht täglich 80 Zigaretten. Während seiner Ehe mit Boyd wird Clapton zweimal Vater – jeweils aus Affären mit anderen Frauen. 1984 trennt sich Boyd von ihm.
In seiner Biografie macht Clapton keinen Hehl daraus, dass er über Jahre hinweg ein unangenehmer Zeitgenosse gewesen ist. Seine herzlichsten Momente sind jene, in denen er beschreibt, wie ihn andere Musiker beeinflusst haben, und sich erinnert, wann und wo er Songs zum ersten Mal hörte. Einen frühen musikalischen Erweckungsmoment hat er bei "I Love the Woman", einer B-Seite des texanischen Bluesmusikers Freddie King, die ein Gitarrensolo enthält: "Bis zu diesem Moment hatte ich geglaubt, dass Gitarrenspiel nur eine Begleitung zum Gesang ist."
Bewegtes Privatleben
In den 1980ern steht Clapton in Designeranzügen auf der Bühne, das Outfit entspricht seinen glatten, uninspirierten Alben dieser Jahre. Er lässt sich von der Plattenfirma reinreden, die Produktion überlässt er seinem Freund Phil Collins, der zwar weiß, wie erfolgreiche Musik in den 1980ern zu klingen hat, aber kein Bluesmusiker ist.
Das Album "August" von 1986 bezeichnet das Magazin "Rolling Stone" als "Vorspiel eines Untergangs". Wichtiger als seine Musik ist medial längst Claptons Privatleben: Sheryl Crow, Cher, Sharon Stone, Naomi Campbell und Carla Bruni sind nur einige seiner ehemaligen Begleiterinnen, auch über ein Tête-à-Tête mit Lady Di gibt es Gerüchte.
Ein Jahr nach der Geburt seines Sohnes Connor gelingt Clapton 1987 der Alkohol-Entzug. Mit Anfang 40 will er erwachsen werden. Clapton besucht Connor nach der Trennung von dessen Mutter regelmäßig, so auch 1991 in New York. Kurz bevor Clapton ihn zu einem Spaziergang abholen will, stürzt Connor aus dem 53. Stockwerk des Wohnhauses.
Größter Erfolg nach größtem Verlust
Statt seinen Schmerz mit Drogen und Alkohol zu betäuben, flüchtet Clapton in die Musik und schreibt seinem Sohn den Song "Tears in Heaven". Es zählt bis heute zum festen Programm seiner Konzerte. Das Lied spielt Clapton 1992 auch im Set seines "Unplugged"-Auftritts, dessen Mitschnitt sein erfolgreichstes Album wird und ihm sechs seiner 17 Grammys beschert.
Weil sein Manager von der Veröffentlichung abriet, trennt sich Clapton von ihm und beschließt, fortan nur noch das zu tun, worauf er Lust hat. In den folgenden Jahren gelingt ihm die Neuerfindung als gesetzter Bluesmusiker.
Auch privat kommt Eric Clapton zur Ruhe. 2002 heiratet er erneut, mit seiner Frau und den drei gemeinsamen Töchtern lebt er heute in dem Anwesen, das ihm seit den 1970er Jahren ein Zufluchtsort gewesen ist.
Obwohl Clapton unter einer Nervenstörung und Tinnitus leidet und ihn sein Gehör im Stich lässt, geht er regelmäßig auf Tour. Sein Spiel ist noch immer perfekt, wenn auch hie und da einen Tick zu routiniert. Viele Worte verliert er auf der Bühne nicht. Und so bleibt auch heute, zu seinem 75. Geburtstag, offen, wie Eric Clapton nun zur Öffentlichkeit steht.