Die Rolle der sozialen Medien beim Sturz Ben Alis
15. April 2013Facebook, Twitter und Co werden oft als wichtiger Faktor für den Sturz des tunesischen Ben-Ali-Regimes im Februar 2011 angeführt. Einige Medien drückten den Aufständen in Tunesien daher schnell den Begriff "Social Media Revolution" auf.
"Es besteht immer noch eine verzerrte Wahrnehmung über die Rolle der Informations- und Kommunikationstechnologie im Zusammenhang mit dem arabischen Frühling", unterstreicht Richard Heeks, Professor für Informatik in Entwicklungsländern an der Universität Manchester, gegenüber der Deutschen Welle.
"Facebook hat die Revolution nicht verursacht"
Anita Breuer hat sich intensiv mit der Wirkung der sozialen Medien auf den tunesischen Aufstand beschäftigt. "Facebook hat die Revolution nicht verursacht. Aber es hat geholfen, die Menschen auf die Straße zu bringen", so lautet das Fazit der Politologin vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).
Der Schritt auf die Straße war für den Fortschritt der Revolution unabdingbar. Die sozialen Medien haben die Protestbewegung nicht ausgelöst. Ursache der Proteste war die zunehmende Unzufriedenheit über Arbeitslosigkeit, Korruption und die Armut im Land. Als effektiv genutztes Kommunikationswerkzeug haben Online-Netzwerke und Mobiltelefone die Bewegung aber beschleunigt und verstärkt. Da die Medien staatlicher Kontrolle unterlagen, war das Internet eine der wenigen Informationsquellen für Regimekritiker und diente auch als Sprachrohr von Regimegegnern.
Die sozialen Medien halfen zudem, verschiedene Schichten der tunesischen Gesellschaft zu vereinen. Regimekritiker aus der Bildungselite im In- und Ausland organisierten sich mit der Mittelschicht und den ärmsten Teilen der Bevölkerung.
Die Proteste konnten sich aber nur deshalb so weit über das Land verbreiten, weil es in Tunesien im Gegensatz zu komplett autoritären Staaten zivilgesellschaftliche Organisationen und Akteure gab, erklärt Anita Breuer im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Richard Heeks von der Universität Manchester sieht das genauso. "Informations- und Kommunikationstechnologien wie die sozialen Medien können demokratische und soziale Bewegungen antreiben. Ohne zivilgesellschaftliches Fundament kann auch keine demokratische Bewegung enstehen, die dann beschleunigt werden kann."
Fragile Demokratie
"Niemand bezweifelt den massiven Einfluss der sozialen Medien und des Internets zur Mobilisierung von Menschen und Protest", sagt Anita Breuer. Es bleibe aber die Frage, inwieweit die sozialen Medien eine Rolle bei der demokratischen Konsolidierung Tunesiens spielen können.
Die Übergangsregierung hatte die Zensur nach der Flucht Ben Alis zwar zunächst aufgehoben, doch bereits wenig später wurden wieder Internetseiten gesperrt. Obwohl laut Gesetz Meinungs- und Pressefreiheit gelten, wird Medienvertretern und Regierungskritikern oft wegen vermeintlicher Beleidigungen - vor allem des Islam - der Prozess gemacht.
Zwei Jahre nach dem Sturz Ben Alis ist das Land in religiöse und säkulare Gruppierungen gespalten, sagt Anita Breuer. Dies sei auch im Netz sichtbar: Nicht nur pro-demokratische, sondern auch radikale Gruppen nutzen zunehmend Twitter oder Facebook. Salafistische Gruppierungen organisierten über die sozialen Medien beispielsweise gewaltsame Proteste gegen liberale Akteure.
Kehrseite der sozialen Medien
Dass die sozialen Medien als Instrument zur Unterdrückung der Bevölkerung dienen können, betont auch Richard Heeks. Staats- und Regierungschefs weltweit hätten die Kraft sozialer Netzwerke als Beschleuniger von Protestbewegungen erkannt und entsprechend reagiert: "Immer mehr Regierungen haben zunehmend die Kontrolle über die heimische Informations- und Kommunikationstechnologie übernommen". Heeks zeichnet ein düsteres Bild: Denn nicht nur Inhalte werden blockiert - schon seit Jahren werden die sozialen Medien auch als Werkzeug zur staatlichen Überwachung und politischen Unterdrückung missbraucht.