Die Rede ihres Lebens
22. September 2017Es könnte die wichtigste Rede ihres Lebens sein - die britische Premierministerin hat die Latte für ihre Grundsatzerklärung zum Brexit selbst hoch gelegt. Ihr Ziel sei, den Stillstand bei den Verhandlungen in Brüssel zu überwinden, so hieß es aus der Downing Street bei der Ankündigung des Termins am Freitag in Florenz. Die Ereignisse dieser Woche aber deuten darauf hin, dass ihr Spielraum für einen kühnen Schritt nach vorn äußerst begrenzt ist. Es soll jedenfalls ein finanzielles Angebot geben, verbunden mit einer zweijährigen Übergangsperiode für Großbritannien ab 2019, so berichten britische Zeitungen.
Das Dilemma wird sichtbar
Ihre Begleiter auf der Italienreise führen den Zuschauern Mays politisches Problem direkt vor Augen. Sie soll flankiert werden von ihrem Schatzkanzler Philip Hammond auf der einen und ihrem Außenminister Boris Johnson auf der anderen Seite. Der erstere steht für einen ganz weichen, der letztere für den knallharten Brexit. Nach Johnsons Alleingang am vergangenen Wochenende aber, wo er im "Telegraph" eine flammende Lobrede auf die "glorreichen" Aussichten Großbritanniens Post-Brexit veröffentlichte, ist die Uneinigkeit in Mays Kabinett kaum noch zu überdecken.
Selbst wenn sie vor der Fahrt nach Florenz noch einmal versucht hat, ihre Minister auf eine Linie zu verpflichten, faktisch ist sie in ihrer eigenen Partei von zwei Seiten politisch eingemauert. Und die etwas beliebig erscheinende Wahl der italienischen Renaissance-Stadt mit ihrer großartigen historischen Kulisse erhöht noch die Gefahr, dass Mays Rede hinter den Erwartungen zurückbleibt.
Was wird erwartet?
Es wird wohl zum einen ums Geld gehen. Denn die EU beharrt darauf, dass Großbritannien sich im der ersten Phase der Gespräche zu einer Abschlussrechnung bekennt. Unterhändler David Davis hat das bisher strikt vermieden. Die Signale aus London waren dazu total widersprüchlich - und reichten von totaler Ablehnung bis zu mittlerer Kompromissbereitschaft.
Brüssel aber verlangt zwischen 60 und 100 Milliarden Euro. In dieser Rechnung ist alles enthalten, von laufenden Zahlungen in den EU-Haushalt bis Ende 2020 bis zu Pensionszahlungen an EU-Beamte, Langfrist-Programmen und risikoreichen Krediten etwa an die Ukraine. Selbst wenn Theresa May nun anbietet, sie werde in einer Übergangsphase von zwei Jahren quasi den britischen EU-Beitrag weiter zahlen, wäre Brüssel damit zufrieden? Das ist unwahrscheinlich, erscheint die Lücke zwischen Wunsch und Angebot noch viel zu groß.
Die Frage ist auch, wofür London zahlen will: Bleibt das Königreich in der Übergangsphase im Binnenmarkt und der Zollunion, muss es dafür sowieso einen Beitrag leisten, wie es auch Norwegen tut. Die übrigen Posten auf der Schlussrechnung blieben trotzdem weiter offen. Zwar würde es die EU vor der drohenden unmittelbaren Haushaltslücke retten, wenn Großbritannien wenigstens bis zum Ende der siebenjährigen Budgetperiode zahlen würde. Alle erwarten, dass dieser Streit am Ende mit einem Kompromiss beendet wird, aber nicht zu so einem niedrigen Preis.
Entwurf für die Zukunft
Bisher hat man von Theresa May zur Zukunft der gegenseitigen Beziehungen nur Floskeln gehört. Von einem "tiefen und speziellen" Verhältnis ist da immer die Rede. Auf so einer vagen Grundlage könne man nicht verhandeln, klagte der EU-Unterhändler Michel Barnier bisher noch nach jeder Gesprächsrunde. Die Premierministerin müsste sich also auf die EU zu bewegen und ihre Kompromisslinien andeuten, etwa beim Europäischen Gerichtshof. Dieser Streit blockierte bisher jeden Fortschritt bei den Bürger-Rechten nach dem Brexit.
Darüber hinaus fehlen konkretere Hinweise darauf, was London überhaupt für die weitere Zukunft anstrebt. Auch für die Übergangsphase verlangen die Briten bisher einen speziellen Deal, sozusagen eine Maßanfertigung. Die EU ihrerseits bietet Modelle wie das Zollabkommen mit der Türkei oder den Vertrag mit der Schweiz an. Die Neigung in Brüssel ist gering, hier das Rad neu zu erfinden. Außerdem würde ein Spezialdeal für Großbritannien schon für die Übergangszeit jahrelange Verhandlungen erfordern, wendet Barnier ein. Die Zeit aber läuft davon, nur ein Deal "von der Stange" gilt als realistisch.
Wie geht es weiter?
Vorab zeigten sich europäische Hauptstädte vorsichtig abwartend. Man will erst sehen, was May tatsächlich auf den Tisch legt. Allerdings dürfte die britische Strategie, an Brüssel vorbei nur die EU-Regierungschefs zu adressieren, schon gescheitert sein. Unermüdlich haben die Premierministerin und ihre Diplomaten direkte Gespräche gesucht, um die Verhandlungen an der EU-Kommission vorbei voran zu treiben - bisher ohne Erfolg. Am Donnerstag der nächsten Woche kommen die Regierungschefs zu einem Gipfeltreffen in Tallinn zusammen: Dort soll es den ersten Meinungsaustausch zum Stand der Gespräche geben.
Die regulären Verhandlungen in Brüssel, wegen der May-Rede eine Woche nach hinten verschoben, werden am Montag weiter gehen. Allerdings dürfte auch die kommende Woche keine deutlichen Fortschritte bringen, denn zunächst müssen die EU-Mitgliedsländer Mays Angebot bewerten und den Daumen entweder senken oder heben.
Die Briten wollen dringend grünes Licht von der EU für den Beginn der nächsten Verhandlungsphase, wo es dann um das künftige Verhältnis gehen soll. Dazu ist aber - so hatten es die Mitgliedsländer definiert - "hinreichender Fortschritt" bei den derzeitigen Scheidungsgesprächen nötig. Ob der in den nächsten drei Wochen zu erreichen ist, bis die Regierungschefs Ende Oktober formell darüber entscheiden, gilt als zweifelhaft. EU-Unterhändler Michel Barnier vergleicht den Brexit immer mit einer Ehescheidung. So etwas sei "schmerzhaft, unerfreulich und teuer". Er hat vergessen, "langwierig" hinzuzufügen.