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Christen in Angst

Matthias Sailer10. Oktober 2012

Ägyptens Christen haben Angst vor der neuen Macht der sich ausbreitenden Islamisten. In einem christlich geprägten Stadtteil Kairos beklagen sie sich über Hassprediger, Kontrolle und mangelnde Meinungsfreiheit.

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Ägypten (Kopten-Reportage für Montag 24.9.12) KircheKleiner (die Jungfrau Maria Kirche in Imbaba (Kairo); 21.9.12; mögliche Bildunterschrift: bei dem Angriff auf die Jungfrau Maria Kirche 2011 starben 15 Menschen) Rechte: Alle Copyrights by Matthias Sailer
Kopten in ÄgyptenBild: Matthias Sailer

Auf den ersten Blick erscheint Imbaba wie viele andere arme Bezirke Kairos auch: Das Gehupe der sich durch die Straßen quälenden alten Autos ist ohrenbetäubend und kaum ein Meter Asphalt ist nicht von kleinen Straßenhändlern besetzt. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man die Kirchen, die anzeigen, dass hier viele Christen leben. Eine dieser Kirchen, die Jungfrau Maria Kirche, hat im letzten Jahr traurige Berühmtheit erlangt, als sie von einem wütenden Mob muslimischer Extremisten in Brand gesteckt wurde.

Vor ihr steht Hany Adly, ein 29-jähriger koptischer Christ, der hier aufgewachsen ist und von Kind auf mit Diskriminierung und Engstirnigkeit konfrontiert wurde: "In Imbaba wurden viele radikale Islamistengruppen herangezüchtet. Der Stadtteil eignete sich hervorragend, um ihre Ideologie zu verbreiten. Sie kontrollieren das Denken vieler Menschen durch Predigten oder indem sie billige Lebensmittel anbieten."

Hany Adly vor der Jungfrau Maria Kirche in Imbaba
Kopten in ÄgyptenBild: Matthias Sailer

Hany sieht vor allem die bittere Armut und das niedrige Bildungsniveau als Ursache für den weit verbreiteten Extremismus. Etwa 40 Prozent der Ägypter leben unterhalb der Armutsgrenze und in Imbaba ist dieser Anteil noch deutlich höher: "Wenn Du arm genug bist, kein Geld hast und der einzige, der Dir hilft, ein Radikaler ist, wirst Du nicht groß darüber nachdenken. Du wirst nur an Deine Familie denken."

Die Zahl der Hassprediger nimmt zu

Für Hany ist klar, dass die armen und ungebildeten Menschen dadurch an die Radikalen gebunden und manipulierbar werden. In vielen Moscheen werde ihnen eine Form des Islam eingetrichtert, die Christen häufig als Menschen zweiter Klasse beschreibt. Für gemäßigten Glauben ist da kein Platz und wer sich als "liberal" bezeichnet, ist in den Augen vieler Extremisten schlicht ein Ungläubiger. Hany hat viele muslimische Freunde, die nicht so denken. Doch in Imbaba sind sie in der Minderheit. Vor allem der Anstieg an Hasspredigern in Imbabas Moscheen besorgt ihn. Jeden Freitag muss er sich solche Predigten anhören, seitdem gegenüber seinem Haus ein großer Lautsprecher befestigt wurde, der mit der nächsten Moschee verbunden ist: "Das verletzt meine Privatsphäre, aber wir haben nicht den Luxus, uns darüber zu beschweren. Das ist halt so. Wenn es nur Gebete wären, würde ich mich nicht beklagen, wenn aber ein zürnender Imam zwei Stunden lang das Christentum angreift, ist das etwas anderes."

Unmut über das konservative Denken der Kirche

In einem Straßencafe hat sich Hany mit einem Freund verabredet. An der gegenüberliegenden Hauswand hängen noch vergilbte Wahlplakate von Ahmed Schafik, dem letzten Ministerpräsidenten Mubaraks. Viele Christen stimmten für ihn aus Angst vor den Muslimbrüdern und auch, weil viele aus dem koptischen Klerus Schafik unterstützten. Insbesondere jüngere Christen kritisierten die Kirche seit Jahren wegen ihrer Nähe zum Mubarak Regime. Kritik gibt es auch auf anderen Feldern. Mehr und mehr Kirchenmitglieder wehren sich zum Beispiel gegen das strenge Scheidungsrecht, das nur Ehebruch als Scheidungsgrund akzeptiert: "Wer sich aus anderen Gründen scheiden lassen will, muss die Religion wechseln, also Protestant, Katholik oder Muslim werden. Die Kirche handhabt das sehr streng", sagt Hany.

Dieser Zwang führt immer wieder zu Unruhen, da es nicht selten passiert, dass verheiratete Frauen zum Islam übertreten, nur um einer unglücklichen Ehe zu entkommen. Dem Angriff auf die Jungfrau Maria Kirche ging so eine Geschichte voraus. Auch Hanys Freund Mina Maher widerstrebt einiges am konservativen Denken der Kirche, doch auf lange Sicht ist er zuversichtlich: "Leider folgt die Mehrheit immer noch dem traditionellen Denken der Kirche. Aber das macht nichts, denn die Minderheit, die sich auflehnt, wird irgendwann die Mehrheit. Sie werden einsehen, dass sie sich öffnen müssen."

Mina Maher in einem Straßencafe
Kopten in ÄgyptenBild: Matthias Sailer

Bei Meinungsfreiheit wird mit zweierlei Maß gemessen

Die meisten Probleme für die koptische Minderheit haben jedoch nichts mit der Kirche zu tun. Hany ärgert besonders, dass mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn es um Meinungsfreiheit geht: So werde er gezwungen, über den vor seinem Haus angebrachten Lautsprecher antichristliche Hasspredigten zu hören. Andererseits würden Christen, die zum Beispiel den jüngsten islamfeindlichen Film über den Propheten Mohammed auf Facebook posten, verhaftet. Tatsächlich ist genau das dem Kopten Albert Saber widerfahren, nachdem ein wütender Mob sein Haus belagert hatte. Die Polizei hat ihn seitdem inhaftiert. Was den Film angeht, geht Mina jedoch noch weiter und beschuldigt radikale Islamisten: "Sie versuchen, alles den Christen in die Schuhe zu schieben. Viele sagen, dass die Kopten ihn produziert hätten und dass sie verdienen, was ihnen passiert. Das ist exemplarisch für ihr Denken."

So überrascht es nicht, dass viele Christen in Imbaba Angst vor dem neuen Präsidenten Mursi und den Muslimbrüdern empfinden. Weder Mina noch Hany trauen ihnen. Um die Situation der Kopten zu erleichtern, gäbe es für die Muslimbrüder viele Möglichkeiten: Die gesetzliche Gleichbehandlung beim Bau von Kirchen und Moscheen wäre ein versöhnendes Startsignal.