Die Mutter aller Fußballspiele
25. Juni 2010Deutschland gegen England. Drei Löwen gegen einen Adler. Deutsche Tugenden gegen englischen Kampfgeist. Dies ist kein normales Fußballspiel, es ein Aufeinandertreffen alter Erzrivalen, ein hochemotionaler Klassiker und "ein Prestigekampf", wie Bundestrainer Joachim Löw es formuliert. Es ist das ewige Duell zwischen zwei Fußballnationen, deren Aufeinandertreffen vielleicht gerade deshalb so spannend sind, weil sie sich so ähnlich sind: "Der Reiz der Partien liegt ursächlich in der Philosophie der beiden Fußball-Nationen. Beide leben traditionell vom Kampf. Und der wird im Aufeinandertreffen ebenso traditionell auf die Spitze getrieben", sagt Uwe Seeler, der es wissen muss. Schließlich stand der kleine Stürmer 1966 mit der Nationalelf im WM-Finale – und verlor aufgrund des umstrittensten Tores der Fußball-Geschichte.
Überhaupt hatten die Deutschen in den ersten Jahren der 100-jährigen Geschichte des Duells meist das Nachsehen. Bei der Premiere am 20. April 1908 gab es gegen das Mutterland des Fußballs in Berlin eine schmerzhafte 1:5-Pleite. Und ein Jahr später verlor die DFB-Auswahl in Oxford gar mit 0:9. Es war bis heute die höchste deutsche Länderspielniederlage. Es folgten weitere unvergessliche Spiele und Fußball-Dramen.
Drin oder nicht drin? Das Wembley-Tor
Der Grundstein für die andauernde Fußball-Rivalität wurde spätestens im WM-Finale von 1966 mit dem legendären 3:2 von Geoff Hurst gelegt, dem Wembley-Tor. Im Original-Ton des Radio-Reporters Herbert Zimmermann hörte sich das bekannteste Tor der Fußball-Geschichte so an: "Grausam ist die Verlängerung nach diesen schweren fünf Spielen in Wembley. Da kommt eine Flanke nach innen. Die Engländer haben eine Schusschance. Und... kein Tor, kein Tor. Der Linienrichter hat die Fahne nicht hoch. Der Ball prallt von der Querlatte ab. Das war wieder Glück. Hurst hatte geschossen. Und der Ball schien im Netz. Höttges hat seinen Fehler... Nein! Der Linienrichter gibt Tor. Er hat den Ball im Netz gesehen“. Über die Szene werden wohl noch Generationen von Fußball-Fans diskutieren. Hatte der Ball tatsächlich die Linie überschritten? Einer der heftig reklamierenden deutschen Spieler war Fußball-Idol Uwe Seeler: „Von dem Tor möchte ich nicht mehr sprechen, denn es war ja keins. Aber jede Entscheidung muss man akzeptieren. Und England war dann auch verdient Weltmeister."
1968: Erster deutscher Triumph
Erst im Juni 1968 gelang Deutschland mit einem 1:0 in Hannover der erste Sieg gegen England überhaupt. Den historischen Treffer erzielte "Kaiser" Franz Beckenbauer. Bei der WM 1970 in Mexiko nahm die deutsche Mannschaft dann auch erfolgreich Revanche für Wembley. Uwe Seeler, Gerd Müller und Co. schlugen den amtierenden Weltmeister im Viertelfinale mit 3:2-Sieg nach Verlängerung. Unvergessen bleibt vor allem "Uns Uwes" Tor zum 2:2 mit dem Hinterkopf. Jubeln durfte das deutsche Nationalteam auch im April 1972. Paul Breitner erinnert sich gerne an seinen größten Auftritt in Wembley: "Zu diesem 3:1-Sieg konnte es keine Steigerung mehr geben. Das war die beste deutsche Mannschaft aller Zeiten", berichtet er vom ersten Erfolg einer deutschen Nationalmannschaft in England.
Englands Elfmetertrauma
Geradezu traumatisiert geben sich die Engländer, wenn es darum geht, Elfmeter zu verwandeln. "Im Prinzip kann jede Mannschaft jede andere im Elfmeterschießen schlagen, es sei denn, England spielt gegen Deutschland", sagte Stürmerlegende Gary Lineker, der auch den Spruch prägte: "Fußball ist ein Spiel, bei dem 22 Mann 90 Minuten hinter einem Ball herjagen, und am Ende gewinnt immer Deutschland." So etwa im WM-Halbfinale von 1990 in Turin, an das Olaf Thon besondere Erinnerungen hat: "Es war das schönste Spiel meiner Karriere in der Nationalmannschaft", sagte der WM-Experte der Deutschen Welle, der damals den entscheidenden Elfmeter gegen England verwandelte.
Und auch sechs Jahre später versagten den Engländern die Nerven: Ausgerechnet im Heiligtum Wembley scheiterte Gareth Southgate im EM-Halbfinale an Torwart Andy Köpke. Trotz seines legendären Golden Goal im folgenden Finale gegen Tschechien ist für Oliver Bierhoff die Erinnerung an das gewonnene Halbfinale gegen England prägender. "Die Stimmung war einfach kaum zu übertreffen", sagte er.
Auch das letzte Spiel im altehrwürdigen Wembley-Stadion gewannen die Deutschen: Dietmar Hamanns straffer Schuss traf mitten ins englische Fußballherz. Überhaupt bringt dieses Duell die Emotionen zum Brodeln, die britische Klatschpresse garniert das Duell gern mit viel Kriegs-Rhetorik und übergoss den Gegner mit Häme beim klarsten Sieg der vergangenen Jahre: 5:1 siegte England 2001 in München. Doch bei der Premiere des Klassikers im neuen Wembley-Stadion triumphierte wiederum die deutsche Auswahl mit 2:1.
Nun also wieder ein episches Duell, das 32. insgesamt, das Fünfte bei einer WM und für viele etwas zu früh im Turnier. Dennoch herrscht auf deutscher Seite große Zuversicht. "Die Engländer haben einen Komplex gegen die Deutschen zu spielen. Die Angst, wieder zu verlieren sitzt zu tief. Deswegen bin ich überzeugt davon, dass wir weiterkommen", sagte Weltmeister Olaf Thon.
Autor: Joscha Weber
Redaktion: Arnulf Boettcher