"Die Mitte der Kirche will Reformen"
19. August 2015"Wir fanden die Anregung von Papst Franziskus großartig. Also haben wir uns an die Arbeit gemacht." Tobias Roth ist Nachwuchswissenschaftler und Katholik. An diesem Mittwoch stellt er in Berlin Ergebnisse einer internationalen Umfrage bei mehr als 10.000 Katholiken vor. Es geht um das heiße kirchliche Eisen dieses Jahres: Wie geht die katholische Kirche mit Homosexuellen, wie mit wiederverheirateten Geschiedenen um? Wo braucht sie Reformen? "Wir wollten", so der 24-jährige Roth, "Stimmen aus aller Welt hören und später in Rom hörbar machen."
Seit Jahren wird in der katholischen Kirche der Ruf nach Veränderungen lauter und der Streit um die zukünftige Ausrichtung heftiger. Die Wahl von Franziskus, dem ersten Papst aus Lateinamerika, und vor allem das unkonventionelle Auftreten des argentinischen Jesuiten haben die Erwartungen geschürt. Er mahnte die Bischöfe, auf die Nöte der Menschen zu hören, warnte die Kirche, Homosexuelle einfach zu verurteilen. Und als Franziskus Ende 2013 eine erste Bischofssynode zum Thema Familie im Vatikan ankündigte, ermunterte er die Bischöfe: "Fragt die Gläubigen!"
Diese erste Synode fand im Oktober 2014 statt, nun steht in gut sechs Wochen die zweite an. Und die Gläubigen gefragt hat nicht nur eine Reihe von Bischöfen. Gefragt haben auch Sarah Delere, Anna Roth und Tobias Roth. "Wir wollten eine verständliche Sprache und auswertbare Fragebögen", so die drei jungen Forscher. Darum stimmten sie sich ab mit dem angesehenen Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften.
Kluft zwischen Lehre und Leben
Zwei der drei Wissenschaftler reisten als Passagiere auf einem US-amerikanischen Universitätsschiff durch ein Dutzend Länder, vier Monate lang. Mit Fragebögen in sieben Sprachen. So bekamen sie mehr als 10.700 auswertbare Fragebögen, selbst aus Gemeinden in Asien und Australien kamen Antworten.
Fazit: Viele Katholiken wünschen sich Reformen in ihrer Kirche. In den meisten Ländern zeigt sich eine Kluft zwischen der offiziellen Lehre und der Lebenswirklichkeit der Gläubigen, so die drei Akteure. In Deutschland wünschen sich 70 Prozent der Teilnehmer eine Anerkennung und Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, mehr als 80 Prozent sprechen sich für ein probeweises Zusammenleben vor der Ehe aus. Nur in Polen, Brasilien und Südeuropa zeigten die Gefragten deutlichere Vorbehalte.
Vor allem beim Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen drängten die Gläubigen dagegen auf eine Öffnung der Kirche: in Deutschland und den USA um die 90 Prozent, in Brasilien 84,7 Prozent.
Eine wesentliche Erkenntnis der Studie lautet für Sarah Delere, dass die Diskussion um Ehe und Familie längst nicht nur in Westeuropa geführt wird. Entsprechende Impulse kämen aus ganz verschiedenen Ländern. Und: Angesichts des Spagats zwischen Ideal und Wirklichkeit "wünschen sich die Gläubigen eine Neuorientierung in der Praxis". Der Trend gehe klar in Richtung von Veränderungen. "Die Mitte der Kirche will Reformen."
Umfassender Einblick
Ist die Studie repräsentativ? Der Begriff, meint Anna Roth, sei schwer anzuwenden. Wer seien "die Katholiken"? Jene, die einen Taufschein haben, die sonntags in die Kirche gehen, die Kirchensteuer zahlen? Die Studie "kann technisch nicht als repräsentativ bezeichnet werden. Aber sie liefert einen umfassenden Einblick, den es bislang in dieser Form nicht gab." Und: Sie bilde die Mitte der kirchlich aktiven Katholiken ab, mehr oder weniger regelmäßige Kirchgänger. Die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Claudia Lücking-Michel, versteht die Umfrage jedenfalls als Ermutigung. Es gehe darum, die Gläubigen auch wirklich ernst zu nehmen und "Brücken zu bauen zwischen der Lehre der Kirche und dem Leben", sagte sie der ARD.
Christian Weisner, der Sprecher der Bewegung "Wir sind Kirche", die seit 20 Jahren massiv Reformdebatten puscht, verfolgte die Vorstellung der Studie in Berlin. Die Erhebung sei gerade wegen ihrer internationalen Ausrichtung eine "ganz wichtige Arbeit" und eine gute wissenschaftliche Grundlage. So werde deutlich, dass die derzeit harte kirchliche Linie beim Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, die nicht zur Eucharistie gehen dürfen, "ein internationales Problem" sei. Die katholische Kirche, so Weisner, habe in vielen Fragen der Sexualmoral den Bezug zum Leben verloren. "Franziskus holt das jetzt nach, und die Bischöfe sollten ihn darin unterstützen."
Im Gepäck nach Rom
Im nächsten Monat stellt die Zeitschrift der deutschen Jesuiten, des Ordens des Papstes, die Studie vor. Und auf jeden Fall werden die Ergebnisse auch im Oktober im Vatikan vorliegen. Denn vor einigen Tagen hatten die drei ein "langes und intensives Gespräch" mit dem Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode. Er wird als einer von drei deutschen Bischöfen drei Wochen im Vatikan mitdiskutieren. "Und er wird die Studie mitnehmen", sagt Tobias Roth. Dort werden dann vor allem Kardinäle und Bischöfe bis zum 25. Oktober über den weiteren kirchlichen Kurs beraten.