Die Macht der Waffen
26. Juli 2013Sie sitzen hinter Gittern. Sie kommen aus zerrütteten Familien. Und sie sind arm. Die acht jugendlichen Straftäter, mit denen Papst Franziskus am Freitag (26.07.) beim Weltjugendtag in Rio de Janeiro zusammentreffen wird, haben Gott erst im Gefängnis kennengelernt.
Zwei Welten treffen aufeinander, wenn der argentinische Pontifex und die brasilianischen Jugendlichen einander begegnen. Auf der einen Seite der Alltag von Millionen von Lateinamerikanern, deren Leben von Armut und Gewalt bestimmt ist. Auf der anderen Seite der katholische Kosmos zwischen Himmel und Hölle.
Das Leben der straffälligen Jugendlichen hinter den dicken Mauern gleicht oft schon auf Erden der Hölle. Viele haben zwar von dem Leidensweg Jesu Christi gehört, an den hunderttausende Gläubige an diesem Freitag mit einem Kreuzgang an der Copacabana erinnern. Doch die meisten von ihnen sind zu sehr mit dem eigenen Teufelskreis aus Drogen und Gewalt beschäftigt.
Kein Geld, kein Platz
Im "Centro Don Bosco" in Rio de Janeiro sind insgesamt 215 jugendliche Straftäter zwischen zwölf und 17 Jahren in 21 Zellen zusammengepfercht. Die Mehrheit von ihnen sitzt wegen Drogendelikten ein. Lautes Stöhnen und Schreie erfüllen den schmalen Gang zwischen den Zellen, schwarze Arme dringen durch die Gitter.
"Es ist furchtbar", räumt der stellvertretende Direktor der Einrichtung, Flavio Artur Alves da Cunha, ein. "Wir sind total überbelegt." Eigentlich sollten viele Insassen nur vorübergehend für 50 Tage in der Anstalt bleiben und dann auf andere Einrichtungen verteilt werden. Doch weil Geld für den Ausbau fehle, kämen die Arbeiten nur langsam voran.
Die junge brasilianische Gefängnisbevölkerung wächst in erschreckendem Ausmaß. Während 2011 in den ersten drei Monaten im Bundesstaat Rio de Janeiro über 700 Minderjährige festgenommen wurden, die mit dem Gesetz in Konflikt kamen, waren es im Jahr 2013 bereits über 1.700, so das staatliche Institut für öffentliche Sicherheit (ISP).
Glauben vs. Waffen
Von der "Revolution des Glaubens", die der Papst beim Weltjugendtag vor den begeisterten Pilgern ausrief, sind hinter den hohen Mauern nur wenige Jugendliche erfasst worden. "Wir haben eine mächtige Konkurrenz, die Macht der Waffen", sagt Roberto José dos Santos von der kirchlichen Hilfsorganisation Amar. "Das Gefühl der Allmacht, das einen Vierzehnjährigen überkommt, wenn er eine Waffe in der Hand hält, ist enorm."
Der 64-Jährige ist einer der 50 katholischen Laien von Amar, die regelmäßig Gottesdienste im "Centro Don Bosco" veranstalten, das ganz in der Nähe des internationalen Flughafens von Rio de Janeiro liegt. Die Jugendlichen mögen ihn. Als er mit ihnen in der Kapelle ein Gebet spricht, wird es auf einmal ganz still. "Denkt an eine Person, die ihr gerne bei Euch hättet", sagt Roberto dos Santos. "Denkt daran, dass Jesus will, dass ihr innerlich wachst und reift!"
Schweigen. Eine Person, die sie gerne bei sich hätten, gibt es für viele der Insassen nicht. Ihre Familien sind zerrüttet, viele haben den Kontakt zu ihren Angehörigen verloren. Die ehemalige Insassin Michelle Felix findet das ganz normal. Sie selbst flüchtete einst vor den gewaltsamen Attacken ihrer Mutter ins Drogenmilieu und verbrachte deshalb eineinhalb Jahre in einer Haftanstalt für Mädchen.
Hoffnung und Vertrauen
Heute produziert die 21-Jährige gemeinsam mit jugendlichen Straftätern Videos für den Gefängnis-Fernsehkanal "TV Novo Degase", der vom Bildungssekretariat der Landesregierung Rio de Janeiros finanziert wird. Ihre Kurse sind gefragt. "Meine Familie, das sind heute die Schüler, und mein Vater, das ist der Fernseh-Direktor", sagt sie. Die schweren Jungs haben ihrer zierlichen Lehrerin bereits einen liebevollen Spitznamen verpasst: "General Michelle".
Vor einem Monat interviewte "General Michelle" Erzbischof Dom Orani Tempesta. Rios Oberhirte zeigte sich vor der Kamera offen und verständnisvoll. Auf die Frage, was er denn davon halte, dass der Papst in einem Gefängnis bei Rom Strafgefangenen die Füße gewaschen habe, antwortete er franziskanisch: "Das ist eine katholische Tradition. Sie zeigt, dass die Kirche auch für diejenigen da ist, die ausgeschlossen sind." Der Papst wolle den jugendlichen Häftlingen, mit denen er sich beim Weltjugendtag treffe, Hoffnung und Vertrauen schenken.
Zuhause vor dem Nichts
Für den ehrenamtlichen Betreuer Roberto José dos Santos ist das ein wichtiges Zeichen. "Es ist schwierig, die Jugendlichen wieder auf den Weg zu bringen", weiß er. 99 Prozent stammten aus der Favela, wie die Armutsviertel in Rio genannt werden. Viele würden kurz nach ihrer Entlassung erneut verhaftet und eingewiesen. "Wenn sie nach Hause kommen, stehen sie oft vor dem Nichts. Bis jetzt heißt es immer: Geht zur Gemeinde in eurem Viertel. Aber das reicht nicht", findet Roberto dos Santos. "Da müssen wir noch mehr tun."