Logik der Abschreckung
13. April 2010Das Zeitalter der atomaren Abschreckung begann am 6. August 1945 mit dem Abwurf der amerikanischen Atombombe auf Hiroshima. 78.000 Einwohner der japanischen Stadt wurden sofort getötet, weitere 50.000 starben in den folgenden Tagen.
Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter
Dank ihrer Atomwaffen waren die USA nach 1945 für kurze Zeit unangefochten die einzige Weltmacht. Doch Anfang der 50er Jahre zog die Sowjetunion bei der atomaren Bewaffnung nach. Es begann die Phase der gegenseitigen Abschreckung nach dem Motto, "Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter." Beide Großmächte verfügten über die gesicherte Zweitschlagsfähigkeit - also die Möglichkeit, auch nach einem atomaren Angriff der anderen Seite noch einen vernichtenden Gegenschlag führen zu können. Um die gegenseitige Verwundbarkeit auf Dauer zu gewähren, begrenzten sie mit dem ABM-Vertrag ihre Raketenabwehrkapazität auf je einen Schutzring um die Hauptstädte Washington und Moskau.
Doch das gegenseitige Misstrauen schürte den Rüstungswettlauf mit atomaren Massenvernichtungsmitteln. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges hatten die USA und die Sowjetunion jeweils rund 40.000 atomare Sprengköpfe in ihren Arsenalen. Anfang der 80er Jahre stationierten Washington und Moskau hochmoderne Mittelstreckenraketen in Europa; die Regierung von Präsident Ronald Reagan plante den Ausstieg aus dem ABM-Vertrag und verkündete Pläne ein umfassendes, weltraumgestütztes Raketenabwehrsystem; und in Washington erörterten Sicherheitsexperten der Administration das Szenario eines auf Europa begrenzten Atomkrieges.
Abrüstung statt Abschreckung
All dies unterminierte den Glauben an die Stabilität des Abschreckungssystems und führte in Europa wie in den USA zu massiver öffentlicher Kritik am atomaren Rüstungswettlauf. Auf einer Großkundgebung in Bonn mit über 300.000 Menschen kritisierte mit dem Panzergeneral Gert Bastian erstmals auch ein führender Militär Geist, Logik und Politik der Abschreckung. "Natürlich wenden wir uns gegen diese Nuklearwaffen in Ost und West, in deren Schatten wir nicht länger leben wollen, weil wir nicht glauben, dass der angedrohte Völkermord den Frieden erhalten kann", sagte Bastian damals und formulierte die Devise: "Abrüstung statt Abschreckung".
Ende der 80er Jahre verschrotteten die USA und die Sowjetunion zwar sämtliche atomaren Mittel- und Kurzstreckenraketen. Doch trotz Ende des Kalten Krieges und auch nach dem Zerfall der Sowjetunion sowie ihres früheren Militärbündnisses Warschauer Pakt blieben die USA und Russland bis heute bei der gegenseitigen Bedrohung ihrer Territorien durch mit Atomsprengköpfen ausgerüstete Langstreckenraketen, Fernbomber und U-Boote.
Bush drohte Atom-Schurken
Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 rechtfertigen die USA und ihre NATO-Verbündeten das Festhalten an der atomaren Abschreckungspolitik auch mit neuen Bedrohungen: Staaten wie der Iran oder Nordkorea, die mutmaßlich oder tatsächlich eigene Atomwaffen anstreben oder Terroristen unterstützen. Die Bush-Administration drohte diesen Schurkenstaaten sogar offen mit militärischen Präventivschlägen, ausdrücklich auch mit atomaren Waffen.
Die Obama-Administration verzichtet in ihrer Anfang April veröffentlichten Nuklearwaffendoktrin zwar auf diese ausdrückliche Drohung. Doch die Gefährdung der USA sieht Präsident Obama ähnlich wie sein Vorgänger. "Die Gefahr eines globalen Atomkrieges ist zwar zurückgegangen, doch das Risiko eines atomaren Angriffs ist gestiegen. Mehr Länder haben sich inzwischen Atomwaffen beschafft", so Obama. Und deshalb halten die USA an ihrer atomaren Abschreckungspolitik fest, solange noch ein anderer Staat auf der Erde über Atomwaffen verfügt.
Auch Russland, China, Frankreich und Großbritannien rechtfertigen ihr Festhalten an atomaren Massenvernichtungswaffen weiterhin mit der Notwendigkeit der Abschreckung - ebenso wie die seit den 70er Jahren neu hinzugekommenen Atomwaffenstaaten Israel, Indien und Pakistan. Entsprechend argumentieren die Befürworter eigener Atomwaffen in Iran, Nordkorea und anderen Staaten. Die Logik der Abschreckung scheint ungebrochen.
Autor: Andreas Zumach
Redaktion: Manfred Götzke