Die lauernde Gefahr: Streubomben im Libanon
1. August 2010Zum ersten Mal seit vier Jahren wird Nimr Mustafa diesen Herbst wieder seine Olivenbäume ernten können: "Ich habe 75 Olivenbäume auf meiner Plantage. Seit 2006 habe ich sie nicht mehr betreten." Nimr hat dort Streubomben entdeckt. Eine Minenräumgruppe der internationalen Organisation "Mines Advisory Group" (MAG) hat schließlich das Landstück gesäubert. Für den Direktor einer kleinen Dorfschule ist der Erlös aus der Olivenernte, ungefähr 1500 US-Dollar pro Saison, ein wichtiges Nebeneinkommen.
Vom Feld abgeschnitten
In der Nähe von Mustafas Grundstück wohnt Mohamed Nasrallah in einem bescheidenen Häuschen. Hinter dem einstöckigen Haus liegt eine kleine Obst- und Olivenplantage. Nur unter großer Vorsicht und voller Angst betritt der Vater von vier Kindern diesen Teil seines Besitzes: "Bei mir fand noch keine endgültige Säuberung von den Streubomben statt. Trotzdem gehe ich auf mein Land. Ich muss mich um die Bäume kümmern, sie gießen und die reifen Früchte ernten. Ich kann doch nicht die Bäume sterben lassen!" Seinen Kindern hat er verboten, die Plantagen rund um das Haus zu betreten. Zum Spielen bleiben ihnen nur der Hof und die umliegenden Straßen.
Trügerische Idylle
Nasrallah und Mustafa leben im Südlibanon, im Dorf Yuhmur, einige Kilometer östlich der Stadt Nabatiyya. Der Litani-Fluss durchquert an dieser Stelle eine tiefe Schlucht. Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass vor vier Jahren in diesem idyllischen 2000-Seelendorf erbitterte Gefechte tobten. 2006, im Krieg zwischen der Hisbollah und Israel, gehörte diese Gegend zu den am stärksten umkämpften Gebieten. An manchen Wänden und auf einigen Seitenstraßen kann man noch Spuren von Granatsplittern erkennen. Aber alle Häuser sind inzwischen wieder aufgebaut. Die meisten Straßen sind frisch asphaltiert.
An Strommasten hängen Bilder der gegen Israel gefallenen jungen Männer und das Parteizeichen der Hisbollah, grüne Schrift auf gelbem Grund. Die Plakate hängen dort schon lange und sind von der Sonne stark gebleicht. Aber der Krieg geht in Yuhmur weiter. Ungefähr 80 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche und der Waldgebiete sind noch mit Streubomben verseucht. Sie lauern unter der Erde, zwischen Felsen, in Abflussrohren, auf Bäumen oder in Trockenmauern.
Die israelische Armee hat 35 Jahre alte Munition verwendet, sagt Mohamed Scheikh vom Minenräumzentrum der libanesischen Armee: "Das hatte zur Folge, dass der Prozentsatz der Blindgänger sehr hoch war. In manchen Gebieten lag sie bei 100 Prozent. 43,6 Quadratkilometer im Südlibanon waren betroffen. Die Hälfte davon konnten wir inzwischen säubern." Streubomben sind tückische Waffen. Sie haben kein Fälligkeitsdatum: "Sie sind immer im Einsatz. Und je länger sie in der Erde bleiben, desto empfindlicher und gefährlicher werden sie. Durch starken Regen und Sturzbäche ändern sie ihre Position."
Bewusstes Risiko
Bauern und Hirten gehören zu den am meisten gefährdeten Gruppen. Sie wissen zwar um die Gefahr, die von den Blindgängern ausgeht. Aber sie sind, wie Mohamed Nasrallah, oftmals gezwungen, die nur oberflächlich gesäuberten Felder zu bestellen oder ungesäubertes Weideland zu betreten. Viele Menschen im Süden des Zedernstaates sind auf die Land- und Tierwirtschaft angewiesen. Es gab zwar Entschädigungen und Spenden für den Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Gebäude - aber nicht für Schäden und Verdienstausfälle durch die Streubomben. Seit dem Ende der Kriegshandlungen im August 2006 sind 46 Zivilisten durch Streubomben getötet und 340 verwundet worden.
Nach Schätzungen der libanesischen Armee soll der Süden des Landes bis zum Jahr 2014 frei von Streubomben sein, vorausgesetzt, es gibt keine Einsparungen bei der Finanzierung der Minensuchtrupps. Es ist kaum davon auszugehen, dass dieser Zeitplan eingehalten werden kann. Denn übereinstimmend berichten internationale Organisationen, die bei der Minenräumung arbeiten, dass das Spendenaufkommen stark rückläufig ist. Nach dem Krieg 2006 gab es viel Geld, sagt Ali Shuaib von der Organisation "Mines Advisory Group": "Dann nahm es nach und nach ab. Wir hatten 400 Angestellte, jetzt sind es nur noch 217. Je weniger Geld wir haben, desto langsamer läuft die Minenräumung."
Autorin: Mona Naggar
Redaktion: Helle Jeppesen