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Die Kirche im Dorf lassen

19. Juni 2002

Kirchen sind Zeitzeugen: Sie erzählen von Land und Leuten, von Geburt und Tod, guten und schlechten Tagen. Wer in den Dörfern Ostdeutschlands unterwegs ist, der trifft längst nicht überall auf eine florierende Gemeinde.

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Nahe am Verfall: Die Dorfkirche in Schöngleina in ThüringenBild: AP

Knapp zehntausend Kirchen zwischen Rügen und dem Erzgebirge sind baufällig. 350 von ihnen sind akut einsturzgefährdet. Doch die Kirche soll im Dorf bleiben, da sind sich auch die als notorische Atheisten verschrienen Ostdeutschen einig. Was also tun?

Schöngleina: Mit gutem Beispiel voran

Schöngleina mit seinen 550 Einwohnern liegt idyllisch in der Nähe von Jena. Mitten im Ort, auf einer leichten Anhöhe, steht die Kirche: Sie ist fast vierhundert Jahre alt, Teil eines einstmals bedeutenden Hofgutes. Die Kirche ist eine der reizvollsten der umliegenden Region - und eine der verfallensten.

Zu DDR-Zeiten ging in dem Dorf kaum noch jemand zum Gottesdienst, in den 1980er Jahren gab die Gemeinde die Kirche auf: Das Interieur wurde entfernt und eingelagert oder an andere Gemeinden abgegeben. Nach und nach wurde die Kirche vollends vernachlässigt. Erst 1993 kam ein neuer Pfarrer in den Ort und ergriff die Initiative zur Rettung der Dorfkirche. Seitdem stehen die Chancen gut für das Bauwerk.

Milow: Wenn die Kirche keine Kirche mehr ist

Gutshaus und Dorfkirche in Liebenberg
Ebenfalls renovierungsbedürftig: Gutshaus und Dorfkirche in LiebenbergBild: AP

Dort, wo heute knapp 1500 Milower Bürger ihre Geldgeschäfte erledigen, wurde früher gebetet. Prinz Moritz von Anhalt-Dessau wäre erstaunt, wie sich das Gebäude, das er Mitte des 18. Jahrhunderts errichten ließ, verändert hat. Im früheren Altarraum steht nun der Geldautomat, daneben hängt ein Kasten für Überweisungszettel. Die Milower finden es in Ordnung, dass die Kirche jetzt ein Geldinstitut beherbergt. "Viele haben jetzt täglich einen Grund, in die Kirche zu gehen, um sich Geld zu holen oder die Kontoauszüge", so eine Sparkassenangestellte.

Umnutzungen von Kirchengebäuden sind keineswegs eine Erscheinung unserer Zeit. In den Niederlanden und in England ist das in der Vergangenheit schon häufig gemacht worden: Kirchen wurden zu Appartements, Schwimmbädern oder Diskotheken umgebaut. Doch Professor Gottfried Kiesow von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz warnt davor, die Gotteshäuser bedenkenlos ihrer ursprünglichen Funktion zu berauben oder sie gar abzureißen und als Bauplätze zu verkaufen. Damit würde eine Entwicklung losgetreten, die nur schwer zu stoppen wäre.

Küstrinchen: Wettlauf mit der Abrissbirne

Den Ort Küstrinchen in der tiefsten Uckermarck findet man nur, wenn man wirklich dorthin möchte. Junge Leute gehen weg, weil sie hier keine Zukunft haben. Der Dorfkern besteht aus ein paar Häusern, die sich locker um einen Dorfanger gruppieren, keine Kneipe, kein Supermarkt, keine Schule. Lediglich die Bushaltestelle stellt die Verbindung zur Welt her.

Am Rande des Dorfangers: die Kirche. Bis vor kurzem war der barocke Putzbau noch völlig mit Gestrüpp überwuchert und kaum zu erkennen. Dann taten sich ein paar Dorfbewohner zusammen und legten mit Pferden und Traktoren das Gebäude frei. Aber das Gebäude ist verwahrlost und der dazugehörige Friedhof auch. 1973 fand dort die letzte Beerdigung statt. Heute kommt kein Pfarrer mehr in das versteckte Dorf in der Uckermark.

Bereits 1975 wurde das baufällige Gebäude notgesichert. Aber den nächsten Winter übersteht es in seinem jetzigen Zustand vermutlich nicht mehr. Wenn nicht schnell etwas geschieht, wird die Kirche in Küstrinchen vielleicht zum ersten Abrissfall. (Susanne von Schenck / arn)