Die Jogginghose: Schlabberlook als Modestatement
21. Januar 2018Sie labbert und schlabbert am Bein. Ästheten verurteilen sie aufs Schärfste. Trotzdem liegt sie wohl in nahezu jedem Kleiderschrank. Die Jogginghose ist ein umstrittenes Stück Stoff - vor allem, wenn sie an ihrem Träger die eigenen vier Wände verlässt und sich ohne sportlichen Einsatz auf die Straße wagt.
Joggen ohne Jogginghose
Die Zeiten, in denen die Funktionalität der Jogginghose im Vordergrund stand, sind längst vorbei. Der Tag der Jogginghose am 21. Januar stellt da keine Ausnahme dar. "Die wenigsten Leute joggen noch in einer Jogginghose", sagt auch Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts in Köln. "Die klassische Jogginghose ist aus Baumwolle, einem Material, das recht schwer ist. Heute sind Sporthosen extrem technisiert. Sie bestehen aus synthetischen Fasern, die zur Leichtigkeit verwoben werden und dadurch für moderne sportliche Interessen viel geeigneter sind."
Neben dem Material zeichnet sich die klassische Jogginghose aus durch ihre Eingrifftaschen, einen Kordelzug am Bund, ihre weitgeschnittene Form sowie ein Bündchen, das das Bein abschließt. Sie und ihre nahe Verwandte, die Trainingshose, die gerne in schrillen Farben und Kombination mit einer passenden Jacke getragen wird, begleiten uns seit der Fitness-Bewegung der 1970er und 1980er Jahre. 2010 riefen schließlich vier österreichische Schüler den Tag der Jogginghose ins Leben. Mittlerweile gehen an diesem Tag weltweit Menschen in Jogginghose in die Schule, auf die Straße oder ins Büro.
Vom Sofa auf den Laufsteg
Abseits vom Tag der Jogginghose wird der Klassiker im Jahre 2018, wenn schon nicht beim Sport, entweder zuhause auf dem Sofa oder auf den Laufstegen dieser Welt getragen. Eine Entwicklung, die auf den ersten Blick äußerst paradox erscheint. Ist Homewear plötzlich gleichzusetzen mit Haute Couture?
Was man seit einigen Jahren auf den Modenschauen und zunehmend auch auf der Straße beobachten könne, habe nicht mehr viel mit dem grauen, ausgebeulten Beinkleid der 1980er und 1990er Jahre zu tun. Deshalb könne man auch nicht uneingeschränkt von einer Akzeptanz der Jogginghose sprechen, so Müller-Thomkins. "Die Jogginghose an sich ist nicht unbedingt salonfähig. Das, was aus ihr geworden ist, aber durchaus. Wir reden hier von Hosen aus Seide mit Applikationen aus Swarovski-Steinen, also edlen Materialien, die dem Schnitt folgen und die Jogginghose eindeutig zitieren."
Fitness-Gesellschaft und Proportionen-Verschiebung
Den Trend zur Jogginghose als Bekleidung für Modebewusste kann man Müller-Thomkins zufolge durch zwei Entwicklungen begründen: Zum Einen wachse die Bedeutung von Fitness und Wellness in der Gesellschaft, viele Menschen fänden an einem immer bewussteren Lebensstil Gefallen. Sportlich orientierte Kleidung gehe dadurch automatisch in unsere Alltagsbekleidung ein. Die Folge: Immer mehr "Athleisure"-Wear, also ein Mix aus Sport- ("athletics") und Freizeittextilien ("leisure"), werde getragen.
Desweiteren beobachtet Müller-Thomkins eine grundsätzliche Verschiebung der Proportionen in der aktuellen Mode. "Der Erfolg der Jogginghose liegt auch daran, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der ein Silhouetten-Wandel stattfindet. Wir gehen von der schmalen, körperbetonten Hose zu weiteren Formen über. In einer Zeit, in der die Hosen insgesamt weiter werden, ist die Akzeptanz einer solchen 'Leisure-Hose' auch größer."
Die Jogginghose als "frivoles Understatement"
Die klassische graue Schlabber-Jogginghose kommt zwar ursprünglich aus der Fitness-Bewegung. Doch sie wurde bald zum Sinnbild der Gemütlichkeit, das auch außerhalb der eigenen vier Wände getragen und aufgrund seiner "Kulturlosigkeit" zur geschmacklosen Uniform sozial Schwacher degradiert wurde. Kunstfiguren wie Cindy aus Marzahn und Ottmar Zittlau haben Jogginghosen-Träger seit jeher als prollige und einfach gestrickte Menschen persifliert.
Lediglich in der Hip-Hop-Szene wurde die umstrittene Hose gerade deshalb getragen, weil sie mit einer Herkunft von der Straße assoziiert wurde. Nun werden Variationen der Jogginghose zu Modestatements einer breiteren Masse. Ihr Image in der westlichen Welt scheint sich vom Eindruck einer Streetwear für Mittellose und Kleinkriminelle zu entfernen.
In ärmeren Ländern wird die Jogginghose allerdings noch immer mit einer Schlechterstellung in Verbindung gebracht. "Die bestangezogenen Menschen gibt es in den ärmsten Ländern. Sie putzen sich fein raus, mit Zweireihern, Nadelstreifen, Hut und Krawatte. Die kämen sicher nicht auf die Idee, eine Jogginghose zu tragen. Es ist geradezu ein Phänomen, dass sich die Menschen in den reichsten Ländern der Welt häufig in Sack und Asche kleiden. Das ist wie ein frivoles Understatement einer Wohlstandsgesellschaft, das im Downgrading der Stilistik besteht", erklärt Müller-Thomkins.
Ein bequemes Statement
Ob frivol oder nicht - eine Jogginghose ist für manche Bequemlichkeit, für manche ein Modestatement. Es scheiden sich die Geister daran, ob das nun geschmacklos oder besonders trendy ist. Sie auf der Straße zu tragen, ist ein Luxus, den wir uns nur in einem sozio-kulturellen Umfeld leisten können, in dem nicht unbedingt Rückschlüsse von der Kleidung auf den Wohlstand ihres Trägers gezogen werden. In diesem Sinne ist Karl Lagerfelds berühmter Ausspruch "Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren" heute wohl überholt. Denn gerade wer eine Jogginghose trägt - ob am Tag der Jogginghose oder im Alltag - übernimmt die Kontrolle, indem er eine Haltung demonstriert, die sich über alte Konventionen hinwegsetzt.