Aleksandar Vučić - immer bedroht?
27. Juli 2018"Das Ende von Vučić?", stand im Februar letzten Jahres in fetten weißen Buchstaben über der Titelseite des Belgrader Boulevardblattes "Informer". Daneben zeigt eine Fotomontage den starken Mann Serbiens Aleksandar Vučić mit einer Schlinge um den Hals. Die ganze Opposition habe sich gegen ihn verschworen, seine Tage seien wohl gezählt, war dort zu lesen. "Volk, stehe auf, die Diebe wollen an die Macht zurück, um Serbien zu ruinieren", alarmierte das Blatt.
Seinen Chefredakteur Dragan Vučićević und den serbischen Präsidenten Vučić verbindet eine langjährige Freundschaft, keiner der beiden macht einen Hehl daraus. Und das obwohl der frühere nationalistische Falke Vučić mit seiner allmächtigen Fortschrittspartei nach eigenen Worten die proeuropäische Agenda verfolgt, während "Informer" die offen prorussische Position bezieht. Mit seinem Hetzblatt und durch unzählige Fernsehauftritte ist Vučićević so etwas wie das inoffizielle Sprachrohr von Vučić.
CIA, Kroaten, Tycoons…
Vučić regiert seit sechs Jahren das Balkanland. Er eliminierte und zersplitterte die politische Konkurrenz weitgehend auch durch Gleichschaltung der Medienlandschaft. Außer einem Kabelsender und ein paar auflageschwachen Wochenzeitungen umschmeicheln die Mainstream-Medien ihren Präsidenten abwechselnd mit Lob und der Jagd auf Kritiker.
Jene Titelseite von "Informer" hatte aber eine neue Qualität. Seitdem wird Vučić zwar weiterhin als omnipotent, fehlerfrei und vom Volk beliebt dargestellt, doch auch als sehr bedroht. Die Opposition und ausländische Mächte wollten ihn töten, wird kolportiert. Und das, obwohl er doch alles für sein Volk tue, tönen die Medienfreunde und TV-Talkmaster des Regierungschefs.
"Was lächerlich, jämmerlich oder wie Boulevardklatsch aussehen mag, ist tatsächlich eine ernsthaft durchdachte politische und mediale Strategie", sagt die Journalistin Tamara Skrozza, langjähriges Mitglied des serbischen Presserates. "Wenigstens einmal wöchentlich haben wir das angebliche Thema "Kopfgeldjagd auf den Präsidenten".
Die kolportierten Attentatsplanungen wurden mit der Zeit immer kreativer und die Liste der angeblichen Verschwörer immer länger. Mal sind es die westlichen Geheimdienste CIA und MI6, mal serbische Tycoons und Kriminelle. Als Strippenzieher wurden auch schon die Botschafter der EU-Länder und der USA genannt, oder auch die verhassten Kosovo-Albaner und Kroaten. Selbst das in der Bevölkerung beliebte "orthodoxe Mütterchen" Russland wurde als angebliche Brutstätte antiserbischer Verschwörungen nicht geschont.
Doch warum will der stets laut und belehrend auftretende Vučić als einer dastehen, den angeblich jeder jederzeit umbringen kann? "Er bemüht den biblischen Archetyp - er sei David im Kampf gegen Goliat", meint der Soziologe Jovo Bakić von der Belgrader Philosophischen Fakultät. "Vučić wird als objektiv schwächer dargestellt, doch sein Mut sei so groß, dass er alle Verschwörer-Mächte besiege."
Das ständige Melodrama
Das Verhältnis von Vučić und der ihm treu ergebenen Medien zur Wahrheit lässt sich bemessen. Das unabhängige Portal "Istinomer" ("Wahrheit-o-meter") stufte 90 Prozent der Vučić-Statements im ersten Präsidentschaftsjahr als unwahr ein. Es sind meistens leicht zu überprüfende Aussagen über die Zahl neuer Jobs oder die Entwicklung des Wirtschaftswachstums. Das Portal fakenews.rs notierte im letzten Jahr 362 Lügen von "Informer" - allein auf Titelseiten.
Im offiziellen Brüssel weiß man mittlerweile, wie es um die Medien in Serbien bestellt ist. Die fehlende Pressefreiheit ist immer ein Thema in den EU-Fortschrittsberichten. Weitere Evergreens: eine kontrollierte Justiz und die Verteilung öffentlicher Aufträge und Jobs durch die Gnade der Partei. Doch während die Kritik höchstens diplomatisch ausfällt, wird Vučić in Brüssel, Berlin und anderswo regelrecht hofiert.
Wie die meisten Kritiker in Serbien, mutmaßt der Soziologe Bakić, dass das mit Kosovo zu tun habe. Der früheren serbischen Südprovinz fehlt die Anerkennung durch die UN, wo Russland und China im Sinne Serbiens die Aufnahme blockieren. Vučić sei bereit, den Weg für Kosovo frei zu räumen, wenn er mit seinem autokratischen Stil weiterhin die Unterstützung aus der EU genieße, so die gängige These in Belgrad. Dieses Jahr wird als Zielgerade angesehen, bevor Belgrad und Priština ein Normalisierungsabkommen abschließen.
Nicht nur die Entwicklung in der Kosovo-Frage und die immer stärkere Autokratie gelte es medial zu verleugnen, sagt Bakić, sondern auch die wirtschaftliche Misere und Abwanderung von zigtausend jungen Menschen jährlich. Das Ziel der "Attentats-Berichte" sei, ständig eine Psychose in der Öffentlichkeit zu befeuern. "Das sind Nebelkerzen, so dass sich das Volk damit beschäftigen muss, wie der furchtlose Führer angeblich selbst sein Leben für Serbien opfern würde."
Vor kurzem zeigte Vučić den Reportern der Financial Times den Balkon des neuen Palastes, den Sitz des Präsidenten in Belgrad. Genau von der Stelle, so referierte er Geschichte, wurde die Leiche des serbischen Königs Aleksandar nach dem Putsch 1903 geworfen. Ganz und gar melodramatisch - so beschrieben es die Journalisten - fügte Aleksandar Vučić noch hinzu: "Kein Aleksandar hat Macht überlebt."