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PolitikMexiko

Die Impf-Ablehnung der Indigenen in Mexiko

24. Juli 2021

Mexikos Corona-Impfkampagne kommt nur sehr schleppend voran. Auch weil viele der indigenen Gemeinden große Vorbehalte gegen die COVID-19-Impfung haben.

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Mexico | Indigenous Wixarica people receive vaccines
Corona-Impfungen in der indigenen Wixarica-Gemeinde im April 2021Bild: Ulises Ruiz/AFP/Getty Images

Wenn die Menschen in den indigenen Gemeinden von Chiapas so erkranken, dass auch die traditionelle Medizin nicht weiterhilft, wenden sie sich an Gerardo González Figueroa. Seit 38 Jahren arbeitet er im südlichen Bundesstaat an der Grenze zu Guatemala als Arzt und als Sozialarbeiter, länger als sein halbes Leben. Und jetzt hat González Figueroa die vielleicht schwierigste Aufgabe in all den Jahren vor sich: die Menschen davon zu überzeugen, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen.

"Sie sagen mir, die Impfungen seien dazu da, die Menschen zu töten. Jeder, der sich impfen lässt, würde nach spätestens zwei Jahren sterben."

Chiapas könnte weltweit als Blaupause dienen, welch große Herausforderung es ist, den Impfstoff in Regionen zu bringen, die größtenteils von der Außenwelt abgeschnitten sind. Bergiges Hochland und dichte Regenwälder sind typisch für den Bundesstaat mit seinen fünf Millionen Einwohnern, der mit gerade einmal 15 Prozent die niedrigste Impfquote in Mexiko hat.

Vertrauen eher in die Dschungel-Apotheke

Viele der fünf Millionen Einwohner sind Indigene, die es seit Jahrhunderten gewohnt sind, Krankheiten mit ihrer ganz eigenen Hausapotheke direkt vor der Haustür zu kurieren: mit Pflanzen aus dem Urwald. Und die der Schulmedizin seit jeher skeptisch gegenüberstehen.

"Neulich habe ich es geschafft, einen Wortführer von einer Corona-Impfung zu überzeugen", sagt der Arzt, "aber als wir ihn baten, das als Beispiel doch bitte in die Gemeinde weiterzutragen, sagte er, das könne er nicht. Die Gemeinde hätte eine Vereinbarung getroffen, dass sich niemand impfen lässt. Und er hätte diesen Pakt heimlich gebrochen."

Die Impfskepsis hat auch viel damit zu tun, dass die Indigenen nicht nur geographisch, sondern auch beim Informationsfluss vom Rest Mexikos abgetrennt sind. Die staatlichen Informationen zu COVID-19 kommen nur spärlich an, und viele in den indigenen Gemeinden vertrauen lieber auf dubiose Whatsapp-Videos, welche die Krankheit verharmlosen. Manche glauben bis heute nicht, dass das Coronavirus überhaupt existiert.

Mexikanischer Arzt Gerardo González Figueroa
"In den Videos sagen Wissenschaftler ganz andere Dinge, aber die Übersetzungen sind falsch" - Gerardo González FigueroaBild: Gerardo González Figueroa

Hinzu kommt: Die indigenen Gemeinden wurden nicht so hart von Corona getroffen wie allseits befürchtet. "Einige Kollegen und ich hatten große Angst, dass die Sterberaten hier durch die Decke gehen, aber das ist nicht passiert", sagt Gerardo González Figueroa.

Impfen in abgelegenen Gebieten - eine logistische Herausforderung

Für den Arzt sind die Impfungen eine wahre Herausforderung. Neulich hat er sich wieder zu Fuß auf den Weg zu einer abgelegenen Gemeinde gemacht. Mit der Gewissheit, dass er viele Menschen erreichen könne, weil just an dem Tag der Markt geöffnet war. Sechs Stunden war er unterwegs, mit viel Eis im Gepäck, um den Impfstoff zu kühlen.

Immerhin hat die Regierung jetzt ihre Strategie geändert. Ärzte wie González Figueroa und die Impfteams, die sich auf den beschwerlichen Weg zu den indigenen Gemeinden machen, haben jetzt den chinesischen Impfstoff CanSino im Gepäck. Dieser muss nur einmal geimpft werden, um sich vor COVID-19 zu schützen.

Gerardo González Figueroa hat sich natürlich auch selbst impfen lassen, um die Skeptiker davon zu überzeugen, dass die Impfung absolut harmlos ist. Er wird in Zukunft vor allem Überzeugungsarbeit bei den Wortführern der indigenen Gemeinden leisten, nur über sie kann die Impfkampagne erfolgreich sein. Mit einem Lachen sagt er: "Wenn ich in zwei Jahren wirklich sterben sollte, war es hoffentlich nicht wegen der Impfung."

Dritte Welle, aber weniger Intensivpatienten

Schätzungsweise 17 Millionen Indigene leben in Mexiko, jeder siebte Mexikaner also zählt zu dieser Bevölkerungsgruppe. Zwar leben viele von ihnen bereits in den Städten, für die Bekämpfung der Corona-Pandemie heißt das trotzdem übersetzt: die viel beschworene Herdenimmunität ist nur möglich, wenn sich auch ein Großteil der Indigenen impfen lässt.

Dabei schlittert Mexiko mit 16.000 Neuinfektionen täglich gerade mit voller Wucht in die dritte Welle. Auch der Gesundheitsexperte Xavier Tello ist besorgt: "Die Situation mit COVID-19 in diesem Moment ist sehr kritisch und quasi außer Kontrolle, auch weil die dritte Welle in Bezug auf die Ansteckungen noch aggressiver ist als die zweite. Die gute Nachricht ist, dass nicht mehr so viele Menschen auf den Intensivstationen landen und sterben, weil die meisten Menschen über 50 Jahre geimpft sind."

Xavier Tello Chirurg und Gesundheitsexperte
"Der Impfstoff muss zu den Menschen kommen und nicht umgekehrt" - Xavier TelloBild: Xavier Tello

Mittlerweile können sich auch die 18- bis 29-Jährigen pieksen lassen, doch die Impfkampagne kommt in dem Land, das als erstes in Lateinamerika mit den Impfungen begann, trotzdem nur im Schneckentempo voran. Mit einer Impfquote von 17,7 Prozent ist gerade einmal jeder sechste Mexikaner vollständig geimpft. Was aber generell weder mit Ablehnung noch mit Impfmüdigkeit zu tun hat.

Fehler der mexikanischen Regierung 

"Während in Europa genügend Impfstoff da ist, aber viele sich nicht impfen lassen wollen, ist es hier umgekehrt: Nur in Chiapas ist der Widerstand groß. Ansonsten wollen die Menschen eigentlich die Spritze, aber es ist nicht genügend Impfstoff da", sagt Tello. Das hat viel damit zu tun, dass nur in den USA, Brasilien und Indien mehr Menschen im Zusammenhang mit Corona gestorben sind als in Mexiko. 238.000 lautet die Schreckenszahl.

Auch Tello fordert die Regierung auf, sich vermehrt an die Sprecher in den indigenen Gemeinden zu wenden, die "Influencer", wie er sagt. Dahingehend sei in der Vergangenheit zu wenig passiert. Und überhaupt: Die Regierung habe es versäumt, den Impfstoff zu den Menschen zu bringen.

"Historisch gesehen gehören wir eigentlich zu den Impf-Weltmeistern. Aber weil die Regierung unbedingt die Kontrolle über den Impfprozess haben wollte, wurde der Impfstoff nicht ausreichend verteilt. Und so passiert es immer wieder, dass Menschen vier, sechs, acht Stunden anstehen müssen, um geimpft zu werden."