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Die hässliche Fratze der Medien - Das Geiseldrama von Gladbeck

28. Mai 2009

Zwei Gangster rauben eine Bank aus, nehmen Geiseln und flüchten mit ihnen. Alles vor laufenden Kameras, im Schlepptau immer die Journalistenmeute. Was wie eine böse Mediensatire klingt, wird 1988 bittere Realität.

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Nach der Geiselnahme von Gladbeck kommen die Bankräuber und ihre Geiseln am 18. August, 1988, in ihrem Fluchtauto in die Koelner Innenstadt in der Fussgängerzone, wo sie von Neugierigen, Fotografen und Reportern umringt werden.
Journalistische Ethik ade: Reporter kämpfen um das beste FotoBild: AP

So hatten sich Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner das sicher nicht vorgestellt. Am 16. August 1988 überfallen sie in Gladbeck eine Bank und nehmen zwei Geiseln. Die Flucht geht quer durch die Bundesrepublik. In Bremen bringen die Bankräuber einen Bremer Linienbus mit 30 Personen in ihre Gewalt. Die Türen sind offen, immer wieder nähern sich Fotografen dem Bus und machen in aller Ruhe Aufnahmen von den Insassen und Rundfunkreporter lassen sich von den Entführern den Tathergang erzählen.

Dieter Degowski (zweiter von links) hält Geisel Silke Bischoff eine Pistole an den Hals, während das Fluchtauto von Journalisten umzingelt wird.
Die Pistole noch einmal an den Hals, bitte: Dieter Degowski posiert für die FotografenBild: AP

Die Polizei beobachtet die Entführer, greift aber nicht ein. Bremens Polizeipräsident Eckhard Mordhorst räumt später ein, es habe technische Probleme mit Funkverbindungen und "Versäumnisse im Bereich der Ausstattung" gegeben. Abends startet der Bus Richtung Hamburg, im Gefolge ein Pulk von Medienleuten. Auf der Toilette einer Autobahnraststätte, wo die Verbrecher eine Pause machen, verhaftet die Polizei Rösners zwischenzeitlich dazu gekommene Freundin. Ein fataler Fehler: Obwohl Marion Löblich gleich wieder freigelassen wird, schießt Degowski einem 15-Jährigen in den Kopf. Emanuele de Giorgi stirbt noch auf der Raststätte.

Regieanweisungen für die Gangster

Die dramatischen Entwicklungen im Geiseldrama verfolgt die Fernsehnation gebannt am Bildschirm und im Hörfunk. Die Flucht geht weiter in die Niederlande. Dort steigen die Verbrecher mit nur noch zwei Geiseln in ein neues Fluchtauto um und fahren nach Köln. In einer Fußgängerzone werden sie von einer Menschentraube aus Schaulustigen und Journalisten umringt. Rösner gibt wieder ein Interview:

Reporter: "Können Sie mir einmal sagen für den WDR, wie wird es jetzt weitergehen?"

Rösner: "Ja, wir werden jetzt solange fahren, bis wir uns in Sicherheit fühlen."

Reporter: "Haben Sie das Gefühl, Sie werden weiter verfolgt?"

Rösner: "Ja, die sehen Sie doch an jeder Ecke!"

Reporter: "Ich frage jetzt noch einmal die Geiseln, darf ich das? Wie fühlen Sie sich?"

Entführer Hans-Jürgen Rösner (links), beantwortet, mit einer Pistole in der Hand, Fragen von Journalisten.
Interview mit Waffe: Hans-Jürgen Rösner beantwortet bereitwillig FragenBild: picture-alliance/ dpa

Schließlich quetscht sich ein Zeitungsreporter ins Fluchtauto. Der Journalist wittert eine "story" und lotst den Wagen aus der Kölner Innenstadt. Nur eine Stunde ist Flucht vorbei. Als die Geiselnehmer mit ihrem Wagen auf dem Seitenstreifen anhalten, rammt die Polizei das Auto von hinten und eröffnet das Feuer. Die Geisel Silke Bischoff wird erschossen. Bei der Festnahme werden die Entführer und die zweite Geisel verletzt. Die traurige Bilanz nach 54 Stunden Medienwahnsinn: Zwei Geiseln und ein Polizist sind tot.

Reality-Show mit tödlichem Ausgang

Doch welche Mitschuld tragen die Medien an dem Desaster? Dass Journalisten die Polizeiarbeit behindert haben, steht bis heute im Raum. Zeitungs-, Radio- und Fernsehreporter haben die Entführer unterstützt und sich durch gewissenlose Live-Berichterstattung hervorgetan, sagen Medienkritiker. Hilfreich bei der Ergreifung der Täter waren sie jedenfalls nicht, so Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Schnoor: "Wenn sich die Journalisten aus den Ermittlungen nicht heraushalten, kann die Polizei auch nicht besser arbeiten."

Polizisten stehen auf der Autobahn. Der Fluchtwagen der Geiselnehmer (rechts) wurde von dem Mercedes der Polizei (links) auf der Autobahn 3 bei Bad Honnef gestoppt.
Traurige Bilanz nach 54 Stunden: Zwei Geiseln und ein Polizist sind totBild: picture-alliance/ dpa

Von einem "Live-Krimi" sprach selbstkritisch der damalige Intendant des Norddeutschen Rundfunks Peter Schiwy: Konkurrenzkampf gebe es in vielen gesellschaftlichen Bereichen und trotzdem komme man zu Übereinkünften. "Angesichts der Gefährdungen und der Opfer von Menschenleben muss der Wettbewerb seine Grenzen haben." Inzwischen sind Interviews mit Geiselnehmern während des Tatgeschehens laut Pressekodex des Deutschen Presserates verboten. Und dennoch war Gladbeck ein Dammbruch: 1988 gab es Reality-Formate à la „Big Brother“ noch nicht. Beim Geiseldrama verfolgte die Nation zum ersten Mal voll Voyeurismus ein Geschehen live vor dem Fernseher mit. So gesehen war Gladbeck die erste Reality-Show im deutschen Fernsehen – mit tödlichem Ausgang.

Autor: Michael Marek

Redaktion: Ramon Garcia-Ziemsen