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Prager Revolutionshymne

21. November 2009

November 1989: In der Tschechoslowakei kommt die Samtene Revolution ins Rollen. Die Sängerin Marta Kubišová, die vorher 20 Jahre lang schweigen musste, darf nun wieder ihre Hymne des Widerstands singen.

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Die Sängerin Marta Kubišová (Foto: dpa)
Die Sängerin Marta Kubišová (Archivbild: 25.11.1989)Bild: DPA

Prag im November 1989. Die Ereignisse der Samtenen Revolution überschlagen sich, seit am 17. November aus einem Gedenkmarsch von Studenten ein Protestmarsch gegen die kommunistischen Machthaber wurde. Das Regime der Tschechoslowakei ist dabei, zu kollabieren. Marta Kubišová steht singend auf einem Balkon hoch über dem Wenzelsplatz neben dem Dichter und späteren Präsidenten Vaclav Havel. Unter ihnen stehen viele Menschen. Über 20 Jahre hatte die Sängerin Kubišová auf keiner Bühne mehr gestanden. Jetzt ist der unvergessene Star der 1960er-Jahre wieder da. "Als ich den Wenzelsplatz sah, übervoll mit Menschen, da hab ich gedacht, so ein Comeback das hat noch nie eine Sängerin auf der Welt gehabt", sagt sie.

Lieder für den Frieden

Das Friedenslied "Modlitba" - Gebet -, das sie sang, war im August 1968 schon einmal die Hymne für den Widerstand gegen den Kommunismus. Damals setzten die Truppen des Warschauer Paktes mit Panzern und Kalaschnikows den Reformen des Prager Frühlings ein Ende. In diesem Chaos schmuggelte Marta Kubišová ihre neue Aufnahme in die letzten freien Sendungen des Tschechoslowakischen Rundfunks. "Auf dass der Friede weiter mit diesem Land sei": Diese Worte spiegelten sich damals in die Herzen der verzweifelten Menschen.

Marta Kubišová bei einem Auftritt (Foto: Veronika Patková-Kurelová / Divadlo Ungelt)
Die Samtene Revolution hat ihr eine zweite Chance beschertBild: Veronika Patková-Kurelová / Divadlo Ungelt

Damals glaubte Marta Kubišová wie die meisten anderen, dass die Russen innerhalb von zwei Jahren wieder aus ihrem Land abziehen. "Das dauerte dann zehn Mal länger als ich geahnt hatte. Aber ich bedauere nicht, wie das damals mit meiner Karriere lief. Denn ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich bei irgendjemandem betteln gehe, um in irgendeiner Bar zu singen", sagt sie im Rückblick.

Büro statt Bühne

Anders als Karel Gott arrangierte sie sich nach der 1968er-Invasion nicht mit dem System. Die Kommunisten reagierten darauf mit Rufmord. Kubišová soll, so die absurde Kampagne, mit dem abgesetzten Reformer Alexandr Dubček Pornoaufnahmen gemacht haben. Die Sängerin erhielt Auftrittsverbot. "Am Anfang habe ich zu Hause Plastiktüten für Spielwaren geklebt. Eine andere Arbeit erlaubte mir das Regime nicht. Später war ich Schreibkraft im Amt, das für die Plattenbausiedlungen zuständig war", erinnert sich die Sängerin.

Foto von Marta Kubišová in jungen Jahren (Foto: dpa)
Marta Kubišová bei einem geheimen Treffen der Dissidenten (Archivbild: 1978)Bild: picture-alliance / dpa

Marta Kubišová ist in den 1970er-Jahren im Visier des Geheimdienstes. Sie steht in Kontakt mit den Dissidentenkreisen um Havel und unterzeichnet die berühmte Protestnote "Charta 77". Eine Rückkehr auf die Bühne hatte Kubišová damals für immer abgeschrieben.

Die zweite Karriere

"Ich habe mich dann einfach mit der Situation abgefunden und habe mir die Zeit bis zur Rente ausgerechnet. Und plötzlich war die Samtene Revolution da. Ich weiß nicht, ob irgendjemand damit gerechnet hatte. Ich ganz sicher nicht", sagt Kubišová. Für die damals schon 47-Jährige begann mit dem Schicksalsjahr 1989 eine zweite Karriere: Ihre alten Platten wurden neu aufgelegt, in den 20 Jahren seit der Samtenen Revolution sind Dutzende neuer Lieder und CDs hinzugekommen. Viele davon hat sie mit ihren Kollegen von damals aufgenommen.

Marta Kubišová brauchte einen langen Atem, um endlich wieder auf der Bühne stehen zu können. Aber sie hat es geschafft. Heute ist sie eine Grande Dame der tschechischen Musikszene.


Autor: Christian Rühmkorf
Redaktion: Julia Kuckelkorn