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Die Gleichberechtigung muss weitergehen

Manuela Kasper-Claridge9. November 2015

Emilie Marcus, Chefredakteurin des renommierten Wissenschaftsmagazins "Cell", beschreibt im DW-Interview, dass ein höherer Frauenanteil in der Forschung bessere Resultate bringen könnte.

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Emilie Marcus Chefredakteurin Cell-Press
Emilie Marcus, Chefredakteuerin des Wissenschaftsmagazins Cell-PressBild: Cell-Press

Deutsche Welle: Warum ist die Gleichberechtigung in der Wissenschaft überhaupt wichtig?

Emilie Marcus: Die Wissenschaft selbst zeigt doch, dass uns nur eine Vielfalt von Perspektiven und Betrachtungsweisen voran bringt. Das generiert neue Ideen. Wenn Sie sich aber stattdessen begrenzen, nur auf Bekanntes zurückgreifen, nicht vielfältig vorgehen, kommen sie nicht voran.

Deshalb ist es in der Wissenschaft wichtig, aber auch auf anderen Gebieten, eine Mischung zu haben, eine Vielfalt von Ideen und Perspektiven. Ein Aspekt dieser Vielfalt ist ein gleichberechtigter Anteil von Frauen und Männern in der Forschung. Natürlich gibt es auch andere Aspekte, aber die Resultate sind in gemischten Teams besser, weil sie die Themen anders angehen.

Gibt es wissenschaftliche Themen, die nicht verfolgt werden, weil es nicht genug Wissenschaftlerinnen gibt?

Ich glaube schon, dass bestimmte Betrachtungsweisen nicht weiter verfolgt wurden, weil Frauen in der Forschung unterrepräsentiert sind. Ich weiß natürlich nicht, ob diese Themen wirklich einzigartig sind. Allerdings zeigt die aktuelle Geschlechterstudie, dass sich Wissenschaftlerinnen in rein weiblichen Forschungsgruppen mit anderen Themen beschäftigen als gemischte oder rein männliche Teams.

Es gibt also Belege, dass sich Frauen mit Themen befassen, die sonst eventuell nicht vorkommen würden. Aus globaler Perspektive muss man sagen, dass es besser ist, wenn Frauen in gemischten Forschungsteams ihre eigene Perspektive einbringen.

Können Sie uns Beispiele geben, welche Aspekte nicht untersucht wurden, weil Frauen nicht an der Forschung beteiligt waren?

Frauen sind sensibler und befassen sich stärker mit den Folgen der Forschungen. Es geht ihnen auch um die gesellschaftlichen Auswirkungen. Generell sind Frauen interessierter an den menschlichen Aspekten der Forschung und befassen sich mit deren Bedeutung für die Gesellschaft und die Umwelt. Die Wissenschaftlerinnen integrieren mehr, sind offen für andere Ideen und hinterfragen ihre eigenen Betrachtungsweisen. Eine homogenere, nicht gemischte Gruppe, würde dies nicht tun“.

Was ist Ihre Erfahrung. Unterstützen männliche Forscher eher andere Männer, weil sie diese besser verstehen?

Ich möchte diese Verallgemeinerungen vermeiden. Es bringt nichts, Frauen gegen Männer auszuspielen. Ja, es gibt unterschiedliche Betrachtungs- und Herangehensweisen und ja, Männer sind fachlich breiter aufgestellt.

Natürlich ist es eine Tatsache, dass eine gleichartige Gruppe sich eher wieder Gleiche sucht. Egal, ob das jetzt ein Frauen- oder Männerteam ist. Deshalb sollten diese homogenen Gruppen besser nicht entstehen, denn das verhindert die Offenheit für neue Ideen und für Andersdenkende.

Das Thema Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Wissenschaft ist nicht neu. Es gibt viele Daten darüber und trotzdem ändert sich nichts. Woran liegt das?

Ich glaube, wir müssen uns dazu die Struktur der wissenschaftlichen Forschung genauer anschauen. Das Umfeld ist extrem wettbewerbsorientiert und der Druck nimmt sogar noch zu. Sie haben also diese herausfordernde Ausgangslage und dazu kommt, dass die akademische Forschung sehr personalisiert ist. Die Preise werden an Individuen vergeben, die Positionen auch.

Der Teamaspekt spielt nur eine untergeordnete Rolle. Sie können dieses individuelle wettbewerbsorientierte Umfeld mit dem eines olympischen Läufers vergleichen, unabhängig davon, ob Mann oder Frau. Sie müssen alles für ihre Karriere tun, vieles aufgeben, nur dann kommen sie weiter. Dieses Umfeld ist in der Wissenschaft nicht immer optimal.

Dr. Emilie Marcus ist Chefredakteurin des renommierten Wissenschaftsmagazins "Cell", in der Forscher zu biomedizinischen Themen publizieren, darunter zahlreiche Nobelpreisträger. Emilie Marcus erwarb ihren Doktor an der Universität von Yale, Connecticut, USA. Sie ist zu Gast bei der "Falling Walls Conference" in Berlin. Dort diskutieren Wissenschaftler, Politiker und gesellschaftliche Gruppen über die Zukunft von Wissenschaft und Gesellschaft. Das Interview wurde gekürzt.

Die Fragen stellte Manuela Kasper-Claridge.