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Film

"Die Getriebenen": TV-Film über Flüchtlingskrise

Philipp Jedicke
15. April 2020

Robin Alexanders Buch "Die Getriebenen" erzählt, minutiös recherchiert, von den Tagen rund um Angela Merkels Beschluss, die deutschen Grenzen für Flüchtlinge offen zu lassen. Nun kommt der Film dazu ins Fernsehen.

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Imogen Kogge als Angela Merkel vor einer Limousine, umringt von Journalisten (Foto: ARD/rbb/Volker Roloff).
Bild: ARD/rbb/Volker Roloff

2015 war ein Schicksalsjahr für Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD. Der andauernde Krieg in Syrien löste eine der größten Fluchtbewegungen Richtung Europa aus. Merkels Diktum "Wir schaffen das" und die Entscheidung, die deutschen Grenzen für die Flüchtlinge offen zu halten, ernteten im In- und Ausland viel Zustimmung, aber auch massive Proteste. Die Auswirkungen der im Jahr 2015 gefällten Entscheidungen sind bis heute spürbar und bestimmen die öffentliche Wahrnehmung Merkels und ihrer Kanzlerschaft.

Der Politikjournalist Robin Alexander, der Merkel für die Tageszeitung "Die Welt" jahrelang als Berichterstatter begleitete, erzählt in seinem 2017 erschienenen Sachbuch "Die Getriebenen" von den Ereignissen jener Tage im Jahr 2015. Alexanders Buch wurde nach dessen Erscheinen vielfach gelobt. Die Presse war sich einig, dass er die Fakten detail- und faktenreich aufbereitet habe.

Doch es gab auch Kritik: Die "Süddeutsche Zeitung" bemängelte, der "oft prononciert konservative" Journalist Alexander lebe darin seine "Wut auf Merkel" aus, die "taz" bezeichnete "Die Getriebenen" gar als "manipulativ".

Ein stehender Mann gestikuliert und schimpft mit einem sitzenden Mann (Foto: rbb/carte blanche/Volker Roloff).
Damaliger Kanzleramtschef Peter Altmaier (Tristan Seith, rechts) konfrontiert Ex-Bundesinnenminister Thomas de Maizière (Wolfgang Pregler) mit harten FaktenBild: rbb/carte blanche/Volker Roloff

Hybrid aus Spielszenen und News-Ausschnitten

Während der Vorwurf der Manipulation bei einem Sachbuch durchaus schwer wiegen kann, folgen Filme ganz anderen Gesetzen: Gerade Spielfilme leben von Manipulation. Insofern ist Regisseur Stephan Wagner ein Wagnis eingegangen, als er sich dazu entschied, die Motive aus der Sachbuchvorlage größtenteils als Spielszenen zu inszenieren.

Er habe Erfahrung damit, wie er in einem Statement zum Film betont: "Mein Ansatz ist, Zusammenhänge von Politik und Gesellschaft mit Schauspielern in Rollen von Personen aktueller Zeitgeschichte hautnah, menschlich nachvollziehbar, zugleich emotional spannend und sachlich akkurat mit den Mitteln der Fiktion darzustellen."

Wagner verwendet reale und emotional stark wirkende Bilder aus Nachrichtensendungen, darunter die notleidenden Flüchtlinge am Budapester Bahnhof Keleti, die enthusiastischen Helfer entlang der Marschroute und in den deutschen Bahnhöfen und die vor Wut rasenden Anti-Merkel-Demonstranten in Heidenau. Und er fügt den faktenbasierten Sequenzen fiktive Szenen hinzu, in denen vor allem Merkel (Imogen Kogge) in privaten Situationen mit ihrem Mann Joachim Sauer (Uwe Preuss) zu sehen ist.

Verblüffende Ähnlichkeiten

Meist gelingt die Abwechslung von News- und Spielszenen. Doch es gibt in "Die Getriebenen" auch Szenen, in denen Schauspieler in reale Pressekonferenzen hineingeschnitten wurden. So antwortet zum Beispiel eine "falsche" Merkel nach der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Bern einer realen Bürgerin. Das wirkt irritierend und führt dazu, dass eine seltsame Distanz zum Geschehen entsteht. Auch die Dialoge wirken oftmals gestelzt: Die Politiker reden untereinander so, als wären sie auf einer Pressekonferenz.

Imogen Kogge als Angela Merkel sitzt im Restaurant einem Mann gegenüber (Foto: rbb/carte blanche/Volker Roloff).
Angela Merkel (Imogen Kogge) holt sich Rat bei Finanzminister Wolfgang Schäuble (Rüdiger Vogler)Bild: rbb/carte blanche/Volker Roloff

Das Schauspiel-Ensemble sieht seinen realen Vorbildern zum Teil zum Verwechseln ähnlich. Der souverän agierende Tristan Seith erreicht - mit einer Menge Kunststoff im Gesicht - allein schon durch Gestik und Stimmlage eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem damaligen Kanzleramtschef Peter Altmaier. Hauptdarstellerin Imogen Kogge lehnt "ihre" Merkel hingegen kaum ans Original an. Keines der hinlänglich bekannten Merkel-Klischees spiegelt sich in ihrem Spiel, nur die Frisur und die Wahl der Hosenanzüge sind Zugeständnisse.

Brillant verkörpert Josef Bierbichler den bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der Merkels Kurs ablehnt und wie ein angeschossener Löwe von seinem jüngeren Parteikollegen Markus Söder (Matthias Kupfer) attackiert wird. Auf Bundesebene lauert wiederum ein zynischer SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel (Timo Dierkes) darauf, dass die "ewige Kanzlerin" einen Fehler macht. Wolfgang Pregler spielt den kränkelnden Innenminister Thomas de Maizière als treuen Parteisoldaten, dem Merkel das Letzte abverlangt.

Merkel als Fels in der Brandung

Obwohl sich die Ereignisse um sie herum überschlagen, agiert Kogge als Merkel ganz und gar nicht wie eine Getriebene, im Gegenteil. Sie wirkt wie der Fels in der Brandung impulsiver Alpha-Männchen und lässt sich nicht zu schnellen Entscheidungen überreden. Das berühmte "Aussitzen", für das Merkel oft kritisiert wird, wirkt im Film eher besonnen denn zögerlich.

Imogen Kogge als Angela Merkel hält eine Rede (Foto: rbb/carte blanche/Volker Roloff).
"Wir schaffen das": Imogen Kogge als Angela MerkelBild: rbb/carte blanche/Volker Roloff

Dennoch bleibt unmissverständlich klar: Merkel muss sich in einer Zeit mehrerer parallel laufender Krisen (ein drohender Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, die Abhöraffäre seitens des US-Geheimdienstes NSA und die Machtkämpfe innerhalb der Koalition) mit einem gewaltigen Problem befassen, das sie und ihre Regierung offensichtlich zu lange auf die lange Bank geschoben haben. Merkel am Diensthandy, im Dienstwagen, am Tablet, das Ganze mit unheilvoll dräuender Streichmusik unterlegt: eine Darstellung des politischen Alltags in Krisenzeiten, wie man sie aus erfolgreichen Polit-Serien wie "Borgen" und "House of Cards" kennt, aber leider auch schon oft gesehen hat. 

Die Probleme sind noch dieselben

Portraitfoto Stephan Wagner mit Bart und Schiefermütze (Foto: carte blanche/Volker Roloff).
Regisseur Stephan WagnerBild: carte blanche/Volker Roloff

"Die Getriebenen" arbeitet sämtliche wichtigen Aspekte der Bundespolitik jener Zeit ab. Doch es sind gerade die Momente, in denen der Film von den reinen Fakten abweicht, in denen er am stärksten wirkt. Die fiktionalen Eheszenen zwischen Angela Merkel und Joachim Sauer sind es, die dem Film seine eigene Note geben. Hier entfaltet sich ein Spiel zwischen den beiden Schauspielern, von dem man mehr sehen will und für das man als Zuschauer gerne ein paar der rein faktenbasierten Szenen geopfert hätte.

Und beim Schauen des Films fällt auf: Aus heutiger Sicht wirkt das Jahr 2015 wie eine lang vergangene Ära. Doch die Probleme sind immer noch dieselben. Während die EU-Mitgliedsstaaten angesichts der Corona-Pandemie mit sich selbst beschäftigt sind, leiden nach wie vor tausende Flüchtlinge in den Auffanglagern unter unerträglichen Zuständen. Das letzte Wort, das Imogen Kogge als Angela Merkel im Film sagt, klingt wie eine düstere Vorahnung: "Scheiße."

"Die Getriebenen" ist am 15. April in der ARD zu sehen. Das gleichnamige Sachbuch von Robin Alexander ist 2017 im Siedler Verlag erschienen.