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Die Geburt des neuen Europas

Klaus Dahmann1. Mai 2004

Der Weg zur Erweiterung der Europäischen Union war lang und steinig: ein Überblick über die wichtigsten Stationen.

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Überall in Europa wird gefeiert - <br>auch in Wroclaw (Breslau)Bild: AP


"Unseren neuen Mitgliedern sage ich ein herzliches Willkommen in unserer Familie. Unser neues Europa ist geboren!" Dem dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen stand der Stolz ins Gesicht geschrieben, als er Mitte Dezember 2002 beim EU-Gipfel in Kopenhagen den Durchbruch verkündete: "Wir haben endlich die blutigen Kapitel zweier verheerender Weltkriege und des Kalten Kriegs geschlossen. An ihre Stelle ist die gemeinsame Mission eines vereinten Europas getreten."

Stabilität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit

Kopenhagen - zehn Jahre zuvor: Zum Abschluss der dänischen Ratspräsidentschaft legten die Staats- und Regierungschefs im Sommer 1993 den Grundstein für die größte Erweiterung in der Geschichte der EU. Sie definierten die so genannten Kopenhagener Kriterien, die alle beitrittswilligen Staaten erfüllen müssen: zum einen politische Voraussetzungen wie Stabilität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sowie die Wahrung von Menschenrechten; zum anderen eine funktions- und konkurrenzfähige Marktwirtschaft. Jedem Staat aus Mittel- und Ost-Europa, der diese Kriterien erfülle, stehe die Tür in die EU offen, lautete die Botschaft des Kopenhagener Gipfels.

Zu dieser Zeit hatte die EU bereits mit drei Staaten so genannte Europa-Abkommen geschlossen, die eine unverbindliche Beitritts-Perspektive beinhalteten: mit Ungarn, Polen und der damaligen Tschechoslowakei. 1993 kamen Assoziierungs-Abkommen mit Rumänien und Bulgarien hinzu, 1995 folgten die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen und 1996 Slowenien.

Problem Türkei

Neben den ex-kommunistischen Ländern Ost- und Mitteleuropas standen noch drei weitere Staaten auf der Liste der Beitrittswilligen: die beiden Mittelmeer-Inseln Malta und Zypern, die bereits offiziellen Kandidaten-Status genossen, sowie die Türkei, deren Wunsch auf Aufnahme in die EU man allerdings noch mit großer Zurückhaltung betrachtete.

Eine Frage rückte dabei in den Vordergrund: Soll man die beitrittswilligen Länder in festgelegten Gruppen und Fristen aufnehmen? Oder ist es besser, den Beitrittsprozess mit allen Kandidaten gleichzeitig zu beginnen und dann je nach Fortschritt einzeln über den Zeitpunkt der Aufnahme zu entscheiden? Erst 1998 wurde beschlossen: Die EU nimmt gleichzeitig mit zwölf Ländern konkrete Beitritts-Verhandlungen auf - nur die Türkei bleibt außen vor.

"Politische Mission"

Das war eine Lösung, für die sich auch die deutsche Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl stark gemacht hatte. Nach dem Ende seiner 16-jährigen Amtszeit charakterisierte er seine Europa-Politik mit den Worten: "Politische Inspiration und Mission heißt für mich auch, dass man ein Stück weiterdenkt. Und zu diesem Weiterdenken gehört für mich, dass wir, die Europäer der heutigen Europäischen Union, unser Versprechen halten gegenüber jenen Ländern in Mittel-, Ost- und Südost-Europa, die darauf bauen, Teil Europas zu sein."

Um dieses Versprechen jedoch halten zu können, musste auch die Europäische Union selbst reformiert werden, um mit 25 oder mehr Mitgliedern überhaupt noch handlungsfähig zu sein. So war beispielsweise klar, dass das Prinzip der Einstimmigkeit bei Entscheidungen nicht mehr durchzuhalten war. Denn wenn jeder Staat auch weiterhin in nahezu allen Bereichen de facto ein Veto-Recht hätte, würde das die EU in ihrer Beschluss-Fähigkeit völlig lähmen. Aber auch zahlreiche weitere Reformen waren notwendig - vor allem das schwierige Kapitel Agrar-Subventionen. Denn viele der Anwärter-Staaten sind stark landwirtschaftlich geprägt, und ein Festhalten an den hohen Zuschüssen für Bauern würde den EU-Etat in den Ruin treiben.

Agenda 2000 als Grundstein

Ein erster Anlauf, um die EU fit für die Erweiterung zu machen, wurde 1997 beim EU-Gipfel in Berlin unternommen. Die dort verabschiedete Strategie mit dem Namen "Agenda 2000" bildete die Grundlage für den Gipfel in Nizza drei Jahre später. Bundeskanzler Gerhard Schröder war sich des hohen Erwartungsdrucks bewusst, als er im Juni 2000 nach Südfrankreich reiste: "Das Europa der 15 wird sich bis 2002, Anfang 2003 aufnahmefähig machen. Das ist eine Verpflichtung, die wir uns auferlegt haben und die wir in Nizza auch erfüllen müssen."

Der Nizza-Gipfel entwickelte sich jedoch zu einer quälend langen Marathon-Sitzung. Zwar wurde ein Großteil der Reformen letztlich beschlossen: Beispielsweise einigte man sich auf zahlreiche Bereiche, in denen künftig Mehrheits-Entscheidungen möglich sind. Aber wichtige Fragen blieben offen, unter anderem das schwierige Kapitel Agrar-Subventionen. Eine Einigung fanden die Staats- und Regierungschefs erst im Herbst 2002 beim Gipfel in Brüssel: Für die Subventionen wurde eine Obergrenze festgelegt; zudem wurde beschlossen, dass die Landwirte in den Beitrittsländern erst nach und nach in voller Höhe Zuschüsse bekommen sollen.

Erledigte Hausaufgaben

Damit waren die letzten EU-internen Hürden auf dem Weg zur Ost-Erweiterung genommen. Und auch zehn Beitritts-Kandidaten hatten bis Ende 2002 ihre Hausaufgaben so weit erledigt, dass Erweiterungs-Kommissar Günter Verheugen den Staats- und Regierungschefs ihre Aufnahme empfahl: "Die zehn Länder haben es verdient. Die zehn Länder haben es aus eigener Kraft geschafft, die unglaublich schwierigen und anspruchsvollen Beitritts-Bedingungen zur Europäischen Union zu erfüllen."

Inzwischen ist auch die nächste Erweiterungs-Runde schon geplant: Bulgarien und Rumänien, die dieses Mal noch außen vor geblieben sind, haben das Ziel-Datum 2007. Und es könnten noch weitere Staaten mitziehen: die Türkei beispielsweise, deren Beitritts-Wunsch Ende 2004 nochmals geprüft werden soll; oder Kroatien, das zwar spät konkrete Schritte in Richtung EU unternommen hat, dafür aber mit hohem Tempo Reformen durchführt.

"Im Interesse der Kinder und der Kindeskinder"

Auch wenn die unmittelbar bevorstehende Erweiterung noch große Anstrengungen fordern wird: Die Tür zur EU wird sich am 1. Mai 2004 nicht schließen. Allen Erweiterungs-Kritikern hält Außenminister Joschka Fischer entgegen: "Was wir da an Sicherheit und Wirtschafts-Wachstum bekommen, ist eigentlich nicht bezahlbar. Deshalb ist das in unserem Interesse und im Interesse unserer Kinder und Kindeskinder."