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Politik

Die Freitaler Feierabend-Terroristen

14. März 2017

Lange schaute die deutsche Justiz weg, wenn Neo-Nazis pöbelten und prügelten. Jetzt nicht mehr. Das Verfahren gegen die "Gruppe Freital" ist ein Terror-Prozess und ein Signal an die rechte Szene.

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Rechtsextremismus Deutschland Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa/J. Schlueter

Um zu verstehen, was es mit der "Gruppe Freital" auf sich hat, darf man Romeo nicht vergessen. Vor knapp drei Jahren kam der heute 19-jährige Ghanaer nach Deutschland. Ein unbegleiteter Flüchtling. Ines Kummer nahm ihn unter ihre Fittiche. Seitdem nennt er sie Mutti. Die 54-jährige grüne Stadträtin von Freital in Sachsen spricht regelmäßig mit Romeo. Allerdings nur noch per Telefon, denn Romeo hat Freital verlassen - unfreiwillig. Seit Herbst lebt er in Rheine in Nordrhein-Westfalen, über 500 Kilometer weit weg. Es war eine Evakuierung. Immer wieder war der Schwarzafrikaner Angriffen ausgesetzt, berichtet Ines Kummer. Bei einem Gartenfest mit Freunden war plötzlich die lokale Neonaziszene mit von der Partie. "Alle raus", schmierten sie mit Kreide auf die Straße und: "NS". Da war ihr klar: Romeo muss weg von Freital. 

Busfahrer und Terrorist

Timo S. soll dafür verantwortlich sein. Aber nicht nur er, sieben weitere Rechtsextremisten sitzen seit vergangener Woche auf der Anklagebank. Vor dem Dresdner Oberlandesgericht geht es um versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung, Sprengstoffanschläge und: Gründung einer terroristischen Vereinigung. Timo S. gilt als Rädelsführer der Gruppe. Der Busfahrer, 28, lebt seit 2014 in Freital und bekennt sich zum Rechtsextremismus. Als 2015 die ersten Flüchtlinge kommen und im Hotel "Leonardo" einquartiert werden, steht er an der Spitze einer sogenannten Bürgerwehr. Ihr Treffpunkt ist die örtliche Aral-Tankstelle. Immer nach Feierabend. Nicht gerade konspirativ. "Da war nichts im Verborgenen", sagt Ines Kummer, "das war Terror mit Ansage".

Hier verabredeten sie, "wer als Nächstes drankommt". Sie machen Jagd auf Flüchtlingshelfer und linke Politiker. In Tschechien besorgen sie sich Sprengstoff, der 130-mal stärker ist als der größte in Deutschland zugelassene Silvester-Böller. Die Sprengsätze nennen sie in ihrer Tarnsprache "Obst". Im Juni 2015 zertrümmern sie mit Baseballschlägern einen VW-Golf. Die Insassen - junge Leute - sind noch drin. Einer von ihnen ist Martin Dulig, Sohn des stellvertretenden SPD-Ministerpräsidenten Sachsens. Plötzlich wird das öffentliche Interesse an der rechten Szene etwas größer. Die Gruppe verhält sich eine Zeit lang ruhig. Monate später kleben Timo S. und seine "Bürgerwehr" Sprengstoff an die Scheiben einer Flüchtlingswohnung. Die Bundesanwaltschaft bewertet das später als Mordanschlag. Das alles hätte früher bekannt, aufgedeckt werden können. Denn in Freital war das Treiben der Neonazis stadtbekannt. Nur die Polizei will von all den Bedrohungen und Angriffen nichts gehört und nichts gesehen haben.

Deutschland Dresden - Prozess gegen die "Gruppe Freital"
Prozessauftakt am 7.3. in Dresden: Mike S., einer von insgesamt acht Angeklagten der "Gruppe Freital" Bild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Die Polizei, dein Freund und Helfer

Dabei liegt ihre Wache auf der anderen Straßenseite der Aral-Tankstelle, dem Hauptquartier der Truppe um Timo S. Als eine Flüchtlingshelferin Schutz bei der Polizei sucht, weil ihr Briefkasten weggesprengt wurde, wird sie mit den Worten fortgeschickt, wenn alle, die sich bedroht fühlten, zu ihnen kommen würden, könnten sie ihre Arbeit einstellen. Das bekommt auch Ines Kummer zu hören, die massivem Telefonterror ausgesetzt ist. Die Botschaft der anonymen Anrufer ist unmissverständlich: "Du kommst ins Gas."  

Protokolle von mitgeschnittenen Telefongesprächen legen nahe, dass die sächsische Polizei über Motive und Pläne der "Gruppe Freital" im Bilde war. Noch nicht endgültig geklärt ist die Rolle eines geheimen Zeugen, der als verdeckter Ermittler in der Gruppe gewesen sein könnte. Das alles sind Indizien dafür, dass die Polizei mehr wusste, mehr hätte wissen können über die rechte Terrorzelle.

Dass die Taten der "Gruppe Freital" nun in einem großangelegten Prozess bewertet werden, ist Verdienst der Bundesanwaltschaft. Sie hat den Fall an sich gezogen und damit der sächsischen Landesjustiz eine schwere Blamage zugefügt. Das Verfahren ist ein Signal an die rechte Szene, die in der Vergangenheit nur allzu oft von Behörden verharmlost wurde. Mit dem Prozessauftakt - vorerst sind 62 Verhandlungstage geplant - wird inzwischen gegen die dritte rechtsradikale Terrorvereinigung verhandelt. Im größten, dem NSU-Prozess, sind immer noch nicht die Urteile gesprochen. Hier geht es um zehn Morde und 15 Raubüberfälle, die jahrelang nicht im Zusammenhang gesehen wurden. Das juristische wie behördliche Versagen wirkt noch nach. Deshalb hat die Bundesanwaltschaft die "Gruppe Freital" als Gründung einer terroristischen Vereinigung eingestuft und den Fall gleich selbst übernommen.

Deutschland Aufmarsch Rechtsextremisten in Dortmund
Das neue Feindbild der rechten Szene: Flüchtlinge und Asylsuchende Bild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch

Die Stadt, der Terror und das große Schweigen      

Als am 19. April das Sondereinsatzkommando der GSG9 die "Gruppe Freital" auffliegen ließ und mehrere Mitglieder verhaftete, haben sich die Parteien im Freitaler Stadtrat gegenseitig die Schuld zugeschoben, wer denn am längsten über den Terror der Neonazis hinweggeschaut habe.

Die besondere Situation im 40.000-Einwohner zählenden Freital ist die, meint Ines Kummer. "Es gibt hier eine Minderheit, die kümmert sich, und eine Minderheit, die ist Neonazi." Das Problem sei aber die schweigende Mitte. "Die tut nichts."

 

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Volker Wagener Autor für DW Programs for Europe