Die Faszination des Yorkshire-Rippers
21. März 2006Gerade ist mit "1977" der zweite Band des "Red Riding Quartetts" von Peace erschienen. Der britische Autor zeichnet darin ein finsteres Bild der nordenglischen Provinz Yorkshire in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren. Es geht um Mord, Korruption, Besessenheit und vermeintlich rechtschaffene Bürger. Im zweiten Band kommt die Geschichte des berüchtigten Yorkshire-Rippers zum ersten Mal ins Spiel. Peace wurde 1967 im Westen Yorkshires geboren, wo er auch aufwuchs. Er arbeitete erst in Istanbul als Englischlehrer, bevor er nach Tokio zog. Dort lebt er noch immer zusammen mit seiner Familie.
DW-WORLD: Herzlichen Glückwunsch, Sie haben den Krimi Preis 2006 für "1974" gewonnen, dem ersten von vier Büchern. Warum beschäftigen Sie sich im "Red Riding Quartett" mit dem Fall des Yorkshire-Rippers?
David Peace: In Yorkshire in den 1970er Jahren bin ich groß geworden. Es heißt oft, man soll über das schreiben, was man kennt. Was ich kenne, ist Yorkshire in den 1970ern. Unglücklicherweise gab es in den fünf Jahren von 1975 bis Ende 1980 als ich aufwuchs diese Jagd nach dem Serienmörder. Der Yorkshire-Ripper hat 13 Frauen ermordet und noch mehr überfallen. Das hat einen Großteil der Erinnerungen aus meiner Kindheit geprägt.
Warum wechseln Sie in jedem der vier Teile den Erzähler?
Ich mag diese Serien von Detektivgeschichten nicht, in denen immer der gleiche Kommissar der Held ist. Ich wollte ein möglichst breites Bild der Zeit und des Ortes wiedergeben, an dem ich aufgewachsen bin. Je mehr Erzähler ich habe, umso mehr Perspektiven kann ich darstellen. Die Hauptfiguren unterscheiden sich im Alter und durch ihren Hintergrund. Dadurch bekommt das Bild mehr Tiefe. Ich weiß, dass manche Leser das irritierend finden, aber ich wollte von Anfang an unterschiedliche Hauptfiguren haben.
Warum fehlt die weibliche Perspektive?
Yorkshire war zu der Zeit eine sehr männlich bestimmte Gegend. Sprache und Kultur waren davon dominiert. Frauen waren die Opfer des Rippers. In den 1970er Jahren gab es in Yorkshire keine weiblichen Polizisten in einflussreichen Positionen oder weibliche Journalisten als Polizeireporter. Darum konnte ich ihnen auch diese Rollen im Buch nicht geben.
Was würden Sie Kritikern antworten, die Ihre Geschichte zu hart und brutal finden?
Ich würde sagen beim ersten Buch, "1974", stimmt es. Ehrlich gesagt ist es kein Buch, auf das ich besonders stolz bin. Es ist deutlich zu erkennen, dass ich es geschrieben habe, bevor ich Kinder hatte. Es ist die Arbeit eines einsamen Mannes. Nachdem ich "1974" geschrieben hatte, machte ich mit "1977" weiter und hatte mit echten Verbrechen zu tun. Erst dann habe ich angefangen darüber nachzudenken, was es bedeutet: Es geht um Mord und Morde passieren. Ob sie fiktiv erzählt werden oder auf echten Fällen basieren – Morde sind ein Fakt. Es hat mich sehr beschäftigt, was es moralisch heißt, über Verbrechen zu schreiben: Es gibt das Krimi-Genre mit Büchern, Filmen, DVDs - der Tod dient zur Unterhaltung. Wir verkaufen etwas, das für die Menschen, denen es passiert, grauenvoll ist. Es war eine Kombination aus zwei Dingen: Eigene Kinder zu haben und über echte Verbrechen in Romanen zu schreiben, die mich aufmerksam machten für die Verantwortung, die man als Autor hat. So kam es, dass ich mich sogar etwas für "1974" schäme. Es hat den Krimi Preis gewonnen, darum sollte ich das vielleicht nicht sagen. Es gibt eine Reihe von Leuten, die dieses Buch nicht mögen und ich verstehe absolut, warum.
Hat es Sie überrascht, dass Ihre Bücher über Großbritannien in den 1970er und 1980er Jahren auch von Menschen gelesen werden, die diese Zeit und Gegend nicht kennen?
Die Bücher waren sogar erst in Japan, Frankreich und Italien gefragt. Danach sind sie auch in Großbritannien sehr erfolgreich geworden. Es hat mich überrascht, dass eine so spezifische Geschichte aus einer kleinen Region im Norden Englands aus einer zurückliegenden Zeit bei Lesern populär wurde, die nicht aus Yorkshire kommen.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Es könnte daran liegen, dass viele Menschen meines Alters zwischen 30 und Anfang 40 ähnliche Erinnerungen an die 1970er Jahre als eine Zeit des Umbruchs haben. Das Buch hat einen politischen Subtext: Es geht auch um das Scheitern der Linken und den Aufstieg der Konservativen im Land. Und es geht nicht um London, sondern um das Aufwachsen in Orten, die weit weg von der Hauptstadt sind. Ich habe in Frankreich, Italien und jetzt auch in Deutschland Menschen getroffen, die sich damit identifizieren können.
Außerdem gibt es in England noch immer diese große Faszination für den Yorkshire-Ripper, das könnte erklären, warum das Buch hier Erfolg hat. Vielleicht gilt das auch für Europa. In Japan allerdings haben die Leute das Buch bestimmt nicht gekauft, weil sie den Yorkshire-Ripper kennen. Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht, warum meine Bücher dort gelesen werden. Ich habe unglückliche Erinnerungen an diese Zeit, es war schwer, darüber zu schreiben. Es bewegt mich, dass sich Leser in anderen Ländern mit dem Geschriebenen identifizieren können. Man fühlt sich nicht ganz so alleine.
Was halten Sie von der Idee, Ihre Bücher zu verfilmen?
In England sollen - hoffentlich - vier Filme aus den Büchern gemacht werden. Der Vertrag ist unterschrieben, aber ob die Filme tatsächlich gedreht werden, weiß man nicht. Michael Winterbottom soll vermutlich bei "1974" Regie führen, das wäre natürlich sehr gut. "1974" kann ich mir auch gut als Film vorstellen, weil es einen Ich-Erzähler gibt. Aber die späteren Bücher sind schwieriger zu verfilmen und ich bin nicht sicher, ob es funktioniert würde.
Wissen Sie, wann es losgeht?
Vermutlich wird das Drehbuch für "1974" im Juni fertig sein, dann würden die Dreharbeiten im Januar 2007 beginnen. Aber so weit waren wir schon einmal und dann wurde das Projekt abgesagt. Das Problem ist die Brutalität in den Büchern. Deswegen sind Werbekunden nicht daran interessiert, mit den Büchern in Verbindung gebracht zu werden.