Die deutsche Nationalmannschaft
Die Nationalelf bei der Fußball-Europameisterschaft 2004 in Portugal
Das Fragezeichen
Miroslav Klose, in den letzten Jahren der Toptorschütze der Nationalmannschaft, hat ein hartes Jahr hinter sich. Ausgerechnet am introvertierten und harmoniebedürftigen Stürmer wollte sich der Chaos-Club 1. FC Kaiserslautern aufrichten. Als sein Wechsel zu Werder Bremen endlich feststand, wollte das Innenband im Knie nicht mehr mitspielen. Ob der Rekonvaleszent bis zur EM in Wettkampfform kommt? Klose, das Fragezeichen.
Der Stagnierer
Als Sebastian Kehl noch beim SC Freiburg spielte, gerieten sich Bayern München und Dortmund beim Buhlen um den jungen heftig in die Haare. Beide dachten, mit Kehl den kommenden deutschen Mittelfeld-Star an der Angel zu haben. Kehl biss schließlich bei der Borussia an - und stagniert seitdem. Zudem handelte er sich mit Unbeherrschtheiten eine ganze Reihe von Roten Karten ein. Kehl hat dadurch ein Image-Problem - und ist weiter von einer tragenden Rolle in der deutschen Mannschaft entfernt, als er es vom Potenzial her sein sollte.
Das Waschbrett
Seine Nominierung war fraglos die größte Überraschung, am ansonsten an Überraschungen so armen deutschen EM Kader. Der Stürmer von Hannover 96 war nach dem für zu alt befundenen Martin Max (20 Tore) in der abgelaufenen Saison aber mit 12 Treffern immerhin der zweiterfolgreichste deutsche Stürmer. Insgesamt machte ihn dies zur Nummer 12 ín der Bundesliga-Torjägerliste. Ob Brdaric mit dieser Bilanz die Abwehrreihen der europäischen Konkurenz zu schrecken vermag? Zumindest könnte Brdaric mit seinem durchtrainierten Oberkörper, den er nach Treffern gern mal zeigt, die Frauenwelt in Verzückung setzen - wenn es denn etwas zum jubeln gibt.
Die Hoffnung im Sturm
Deutschlands Sturm-Hoffnungen ruhen auf dem hochbegabten Kosmopoliten: Der in Brasilien geborene und zum Teil in Panama aufgewachsene Sohn eines in Frankreich geborenen deutschen Vaters und einer panamesischen Mutter hatte theoretisch die Möglichkeit, für Brasilien, Panama oder Deutschland auf Torejagd zu gehen. Nach dem grandiosen Jahr seines Erscheinens am Fußballhimmel, kriselte der Stuttgarter in dieser Saison prompt, kam aber zuletzt wieder deutlich besser in Tritt - wie sich das für einen Hoffnungsträger ja auch gehört.
Der schöne Gute
"Spiegel" wird Timo Hildebrand von seinen Stuttgarter Mannschaftskollegen genannt, weil er anscheinend an keinem vorbeikommt. Bälle kamen aber in dieser Saison auch wenige an ihm vorbei. Hildebrand blieb in dieser Saison 885 Spielminuten hintereinander ohne Gegentor und beerbte damit Oliver Kahns Rekord. Im Tor der Nationalmannschaft darf er Kahn allerdings noch nicht ablösen - obwohl Deutschland nach 885 Minuten EM ohne Gegentor ziemlich sicher Europameister wäre.
Der Leidensmann
Jens Nowotny gehört fraglos zu den Spielern der deutschen Auswahl, die auf höchstem europäischem Niveau agieren können - eigentlich. Zuletzt erwischte den Leverkusener aber zweimal in Folge die schwerste Verletzung, die man als Fußballer haben kann - ein Kreuzbandriss. Jeweils ein halbes Jahr Pause - und als Nowotny sich wieder spielfähig gekämpft hatte, musste er sich auslachen lassen, weil er plötzlich von Spielern verladen wurde, die eigentlich unter seinem Niveau stehen. Inzwischen ist die enorme Grundschnelligkeit weitgehend zurück, das Knie hält - aber ob die Wunden des Selbstvertrauens auch vernarbt sind? Das Turnier wird es zeigen.
Der Trainer der Herzen
Rudi Völler wurde nach der desaströsen EM 2000 zum Teamchef ernannt - völlig überraschend. Auch für Völler, der vorher noch nie eine Mannschaft trainiert hatte. Doch der frühere Weltklassestürmer traf bei Spielern und Publikum den richtigen Ton, führte die Mannschaft 2002 zur Verblüffung aller zur Vize-Weltmeisterschaft und ist an Popularität kaum zu überbieten. Dass "Tante Käthe", wie Völler schon lange Jahre wegen seiner grauen Haare genannt wird, vielleicht nicht das ganz große Taktiker ist, geht in der allgemeinen Rudi-Manie bisweilen unter. Dafür stellt Völler sich umso beschützender vor sein Team - gerade wenn es nicht gut läuft. Ob es ihm die Mannschaft danken wird?
Der Ungeliebte
Zu Christian Wörns fällt den meisten Fußballfans wenig ein. Zumindest wenig positives. Die Vorwürfe mangelnder Technik werden ihn wahrscheinlich genau so ewig verfolgen, wie seine Rote Karte beim WM Viertelfinale 1998 gegen Kroatien. Der harte Verteidiger mit der weichen Stimme ist aber fraglos einer der besten deutschen Defensivspieler und hat bei Borussia Dortmund als einer von wenigen eine konstant gute Saison hingelegt - und unter anderem beim Spiel gegen die Bayern Roy Makaay total ausgeschaltet. Wenn ihm das gegen den Holländer auch bei der EM gelingt, werden einige ihr Urteil vielleicht noch mal überdenken.
Der tragische Herausforderer
Jens Lehmann spielt bei der Mannschaft, von der ganz Europa schwärmt, ist mit Arsenal London gerade englischer Meister geworden und hat dabei einen über 100 Jahre alten Rekord geknackt - eine ganze Saison lang ungeschlagen zu bleiben. Er schien Anfang 2004 sogar auf dem Weg den schwächelnden Kahn aus dem Tor der Nationalmannschaft verdrängen zu können. Lehmann attackierte verbal und durch Leistung - und patzte dann ausgerechnet in der Champions-League. Dort, wo ihm ganz Deutschland auf die Finger schaute. Seitdem ist sein Platz auf der Bank wieder zementiert. Und Lehmann verspricht kleinlaut, Kahn zu unterstützen.
Der chronisch Unterschätzte
Dietmar Hamann wird nach über fünfzig Länderspielen noch immer chronisch unterschätzt - in Deutschland. Hierzulande hat sich anscheinend noch nicht herumgesprochen, dass Hamanns Position im defensiven Mittelfeld der Dreh- und Angelpunkt jeden moderen Fußballs ist. Bei seinem Club, dem FC Liverpool, weiß man jedenfalls, was man an dem zurückhaltenden Bayern hat: Sein Passspiel ist vorzüglich, die Zweikampfwerte überragend, die Technik außergewöhnlich, die Einstellung professionell, seine Weitschüsse gefürchtet. Kein Wunder, dass Hamann der einzige deutsche Stammspieler in einer europäischen Topliga ist.
Die Entdeckung
Phillipp Lahm ist ganz sicher die Entdeckung des letzten Jahres: Mit kaum zu glaubender Souveränität kocht der klein gewachsene 20-Jährige auf der linken Abwehrseite seine Gegner ab, ob sie jetzt von Manchester United kommen oder auch nicht, und liefert dazu noch mit seiner Dynamik und seinem Mut Impulse nach vorn. Wahrscheinlich das größte Talent auf seiner Position in Europa - und schon jetzt aus der Nationalmannschaft kaum noch wegzudenken.
Der Unerschrockene
Das muss ihm erst mal einer nachmachen: Der 22-Jährige aus der viel gerühmten Jugendabteilung des VfB Stuttgart hat auf der rechten Außenbahn gerade mal fünf Länderspiele gemacht, bevor er sich mit einem Bänderiss schwer verletzte. Doch Rudi Völler versprach ihm trotzdem einen Platz im Kader freizuhalten - Lohn für die professionelle Einstellung und die unerschrockenen Leistungen des Schwaben gegen die großen Namen in der Champions-League.
Der Umworbene
Ein Teil des bei der letzten WM so gelobten deutschen Mittelfeldes. Torgefährlich und dynamisch wurde er nach überstandenem Kreuzbandriss wieder ein feste Größe bei Borussia Dortmund - so groß, dass er vielleicht zum FC Bayern transferiert werden soll, um der klammen Borussia die nötigen Millionen in die Kasse zu spülen. In der Nationalmannschaft gesetzt.
Der deutsche Meister
Fabian Ernst verzauberte mit seine Kollegen von Werder Bremen in dieser Saison die Bundesliga, in der Nationalmannschaft wartet der defensive Mittelfeldspieler bislang allerdings vergeblich auf seinen Durchbruch - vielleicht weil ihm die genialen Nebenleute aus dem Verein fehlen. Sein Arbeitsnachweis beim peinlichen 1:5 gegen Rumänien ließ den 24-Jährigen jedenfalls nicht zum ganz großen Hoffnungsträger wachsen.
Der letzte Star
Der einzige Star unter den deutschen Feldspielern hat eine durchwachsene Saison hinter sich. Seine Führungsqualitäten wurden von berufenen und unberufenen Seiten angezweifelt, er quälte sich mit Verletzungen und gewann mit dem FC Bayern keinen Titel. Angeblich steht nun sogar ein Verkauf zur Debatte. Beim 7:0 gegen Malta lieferte Ballack mal wieder einen Beweis seeiner überragenden Qualitäten und schoss vier Tore - trotzdem wird sich bei der EM beweisen müssen.
Der Wiederauferstandene
Christian Ziege? Viele wussten bei der Nachnominierung von Ziege für den verletzten Christian Rahn gar nicht, dass er noch Fußball spielt, wo der Linksfuß doch seit der WM 2002 mit schweren Verletzungen gestraft war. Aber doch, Ziege spielt noch. Bei den Tottenham Hotspurs genau acht Mal in dieser Saison. Es wird wahrscheinlich eine ruhige EM für den erfahrensten aller deutschen Teilnehmer: Philipp Lahm ist zwar erst 20, hat aber den sichersten Stammplatz von allen.
Der Prinz
Vor ein paar Monaten kannrte ihn noch niemand: Da kickte Podoloski noch für die A-Jugend des 1. FC Köln. Nur ein paar Spiele später ist "Prinz Poldi" die Personifizierung kölscher Fußball-Hoffnungen und der drittjüngste deutsche Nationalspieler aller Zeiten - und manche hoffen sogar, dass der gradlinige und schnelle Stürmer so etwas wie der deutsche Michael Owen werden könnte.
Der mit der Cousine
Den Mittelfeldspieler vom FC Bayern kannten vor der Saison wirklich nur ausgewiesene Experten des deutschen Jugendfußballs. Doch Schweinsteiger machte sich schnell ein Namen: Zunächst löste er eines nachts die Alarmanlage beim FC Bayern aus, als er sich im Whirlpool verlustierte - "mit meiner Cousine", wie er entschuldigend meinte. Schließlich überzeugte er auch auf dem Platz, wo er vor allem beim Spiel gegen Real Madrid Talent und Respektlosigkeit bewies. Ein Hoffnungsträger für die Zukunft.
Der deutsche Brasilianer
Im WM-Finale gegen die Brasilianer spielte vor allem einer brasilianisch: Bernd Schneider. Seitdem läuft es beim wahrscheinlich besten deutschen Techniker nicht ganz so gut, vor allem bei seinem Verein Bayer Leverkusen erlebte er eine Durststrecke. Falls Schneider wieder in Form kommen sollte, ist er aus dem Mittelfeld kaum wegzudenken - als künstlerische Ergänzung zu den kämpfenden "Rumpelfüßlern" (Franz Beckenbauer).
Der Kämpfer
Den defensiven Mittelfeldspieler von Bayern München machte einst seine Dynamik und sein Willen zu einem Weltklassespieler auf seiner Position. Doch auch Jeremies wird nicht jünger. Nach einigen Verletzungen schaffte es "Jerry", einer der erfahrensten deutschen Feldspieler, nicht mehr zu einem Stammplatz im Verein und in der Nationalmannschaft. Ob er bei der EM ein wichtige Rolle spielen wird ist völlig offen.
Der Adjutant
Völlers Mann fürs Trainer-Handwerk. Der ehemalige Bundesliga-Spieler (Schalke) scheiterte zwar bei seinem Engagement als Bundesliga-Trainer (Borussia Dortmund), gilt aber als Idealbesetzung hinter der Galionsfigur Völler.
Der wankende Titan
Der beste Torhüter der Welt? Zuletzt kamen erhebliche Zweifel auf. In entscheidenden Spielen leistete sich "King Kahn" entscheidende Patzer und das Undenkbare geschah: Der "Titan" im deutschen Tor wurde öffentlich angezählt. Ob ihn das bei der EM zu großen Leistungen anstachelt? Bei seiner Persönlichkeitsstruktur durchaus denkbar - zumal Kahn der große Titel mit der Nationalmannschaft noch fehlt.
Der Wackelige
Arne Friedrich war der Aufsteiger der letzten Saison. In der aktuellen Spielzeit war Friedrich noch nicht stabil genug, um sich erfolgreich gegen die Abwärtsspirale bei Hertha BSC Berlin zu wehren. Die Folge waren sehr wackelige Leistungen des rechten Verteidigers. Wenn der Klassenerhalt dem kopfballstarken Friedrich wieder etwas Sicherheit gegeben hat, dürfte er gesetzt sein.
Der stille Meister
Einer von denen, die auf dem Platz wenig auffallen, im modernen Fußball aber zum Schlüsselspieler geadelt werden. Frank Baumann ist ein Spieler, den sich eigentlich jeder Trainer für seine Position wünscht: Schnell, kopfball- und zweikampfstark, intelligent bei der Spieleröffnung. Das große Problem ist jedoch sein Phlegma. Und so steht der stille Franke trotz seiner 22 Einsätze im Nationaltrikot und trotz seiner frisch errungenen Meisterschaft auf der Kippe - wie eigentlich immer.
Der knipsende Veteran
Fredi Bobic, schon bei der EM 1996 in England für Deutschland aktiv, hat ein Katastrophenjahr hinter sich: Als vermeintlicher Führungsspieler wechselte der Strafraumstürmer im letzten Sommer zu Hertha BSC und ging dort in der Abwärtsspirale mit unter. Lange gab es in Berlin für ihn nur Platz auf der Bank, bevor er auf der Zielgerade der Saison wieder zu treffen begann - gerade rechtzeitig zur EM?