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Die baltischen Länder und ihre Lutheraner

Witold Janczys
28. April 2017

In der Sowjetunion wurden Geistliche und Gläubige deportiert oder erschossen und Kirchengebäude zerstört. Nicht nur orthodoxe Christen hatten es schwer, sondern auch Lutheraner. Wie steht es um sie heute?

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Litauen
Evangelisch-lutherische Kirche in litauischen VilniusBild: Alma Pater

"Wir haben einen Großteil des Kirchenbesitzes zurückbekommen, aber leider nicht die Mitglieder, die wir durch viele tragische Ereignisse verloren haben", sagte im Gespräch mit der Deutschen Welle Bischof Mindaugas Sabutis von der Evangelisch-lutherischen Kirche Litauens.

Derzeit gehören der Kirche in Litauen rund 20.000 Gläubige an. In Estland gaben bei der Volkszählung von 2011 rund 108.000 Menschen an, Lutheraner zu sein. In Lettland besuchen rund 700.000 Menschen gelegentlich Gottesdienste der Evangelisch-lutherischen Kirche beziehungsweise identifizieren sich mit ihr. 42.000 Menschen besuchen regelmäßig die Gottesdienste und beteiligen sich aktiv am Kirchenleben.

Vor der Christenverfolgung

Statistiken aus dem Jahr 1904 zufolge besaß die Evangelisch-lutherische Kirche einst auf dem Territorium des Russischen Reiches 287 Kirchengebäude und hatte mehr als eine Million Mitglieder. Pfarreien bestanden nicht nur im Nordwesten des Landes und im Baltikum, sondern auch im Kaukasus und in Zentralasien. Die lutherische Kirche war im Zarenreich in monoethnische deutsche, finnische, schwedische und estnische Gemeinden gegliedert, da Missionsarbeit unter orthodoxen Christen gesetzlich verboten war.

Litauen
Bischof Mindaugas Sabutis von der Evangelisch-Lutherische Kirche in LitauenBild: DW/W. Janzcys

Die Russische Orthodoxe Kirche hatte 1914 im Russischen Reich mehr als 54.000 Kirchen und Klöster. Als die größte und einflussreichste Kirche war sie das Hauptziel der Christenverfolgung in der von kommunistischer Ideologie geprägten Sowjetunion, die 1922 gegründet wurde. Im Jahr 1987 gab es nur noch 6893 orthodoxe Kirchen und 15 Klöster.

Die kurze Blütezeit der Lutheraner

Litauen, Lettland und Estland gehörten zunächst nicht der Sowjetunion an. Zwischen den beiden Weltkriegen waren sie unabhängige Staaten. In diese kurze Zeit fällt die Blüte der lutherischen Kirche. Theologische Fakultäten von Universitäten bildeten neue Priester aus und die Gemeinden wuchsen.

"Zwischen 1920 und 1940 gab es in Litauen etwa 200.000 bis 250.000 Gläubige. Rund zehn Prozent der Bevölkerung des Landes gehörten der lutherischen Kirche an", sagte Bischof Mindaugas Sabutis. Noch mehr Gläubige gab es in Estland und Lettland, wo die Kirche traditionell stärker verwurzelt war.

Die Verfolgung durch die Sowjets

Als die baltischen Staaten im Jahr 1940 infolge des Molotow-Ribbentrop-Paktes zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion von Moskau besetzt wurden, begann die Verfolgung von Gläubigen und Pastoren durch die Kommunisten. Der Evangelisch-lutherischen Kirche in Estland zufolge wurden alle christlichen Organisationen aufgelöst und das Eigentum der Kirche konfisziert. Geistliche wurden nach Sibirien verbannt.

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Mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt begann die Verfolgung der Kirche im BaltikumBild: picture alliance / dpa

Auch für die Kirche in Litauen begann eine dramatische Zeit. Ethnische Deutsche siedelten massenweise nach Deutschland über. "Im Januar und Februar 1941 verließen Litauen etwa 40.000 ethnische Deutsche. Einige Gemeinden lösten sich vollständig auf", so Bischof Mindaugas Sabutis.

In Lettland kam es ab 1940 ebenfalls zu Repressionen. Viele Kirchen wurden zu Lagerhallen, Werkstätten, Clubs und Kinos umfunktioniert. "Opfer der ersten Massendeportationen waren Geistliche und aktive Gemeindemitglieder", sagte der DW Dāvis Brūvers, stellvertretender Leiter der Abteilung für internationale Beziehungen der Evangelisch-lutherischen Kirche Lettlands. Ihm zufolge haben viele überlebt, da der Zweite Weltkrieg begann.

Flucht vor der Roten Armee

Flucht in den Westen
Gegen Ende des 2. Weltkriegs flohen viele Gläubige vor der Roten ArmeeBild: dpa

Mit Ende der deutschen Besatzung des Baltikums flohen im Herbst 1944 etwa 80.000 Esten aus Angst vor Verfolgung durch die sowjetische Rote Armee, darunter Zehntausende Lutheraner. Als Estland wieder Teil der Sowjetunion geworden war, begann wieder die Verfolgung der Kirche.

So auch in Lettland. Pastoren, die dort noch zurückgeblieben waren, wurden nach Sibirien geschickt. "Nur wenige haben überlebt", sagte Dāvis Brūvers. Ihm zufolge erlaubten die Sowjets nicht, im Krieg beschädigte Kirchen instand zu setzen, wodurch sie noch weiter verfielen. "Die Gesetze waren streng. Man durfte nicht als Diakon arbeiten und Jugendarbeit war verboten", so Brūvers. Auch durfte die Bibel nicht gedruckt werden.

Aus Angst um ihr Leben flohen auch aus Litauen viele aktive Christen vor der Roten Armee. Bischof Mindaugas Sabutis zufolge gab es in Litauen danach in den großen Städten Litauens gar keine lutherischen Gemeinden mehr.

 

Nach dem Zerfall der Sowjetunion

Russland Michail Gorbatschow
Mit Gorbatschow kam die Wende - auch für die KircheBild: AP Photo/B. Yurchenko

Die Lage der Lutheraner im Baltikum begann sich erst Ender der 1980er Jahre zu bessern. Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, hatte mit der "Perestroika" ab Anfang 1986 einen Prozess zum Umbau und zur Modernisierung des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Systems der Sowjetunion eingeleitet. Der Prozess stand in engem Zusammenhang mit der Verbreitung der Meinungs- und Pressefreiheit unter dem Schlagwort "Glasnost", wörtlich "Offenheit".

Doch zu einer richtigen Wiedergeburt der Kirche kam es erst nach 1990, als Litauen, Lettland und Estland wieder als unabhängige Staaten die Sowjetunion verließen. Heute können die Lutheraner, aber auch andere Christen im Baltikum ihren Glauben frei ausüben.