Der Handel in Zeiten des Internets
2. Juni 2013Seit 35 Jahren verkauft Peter Weilguni in seinem Fachgeschäft elektronische Bauteile und Geräte. Auf 30 Prozent schätzt er inzwischen den Anteil derjenigen, die seinen Laden in der Bonner Innenstadt aufsuchen, sich dort informieren, ihre Produkte aber bei Internet-Händlern bestellen. "Showrooming" nennt sich das Phänomen, das immer mehr um sich greift. Weil Weilguni viele elektronische Spezialteile führt, die heute nur noch wenige Geschäfte im Sortiment haben, sieht er seine persönliche Zukunft zwar nicht bedroht. Doch viele andere Händler hätten durch das neue Einkaufsverhalten bereits aufgeben müssen. "Die kleinen Läden sterben ja alle. Existieren können nur noch die großen Verkaufsmärkte." Unter dem Trend, sich in ihrem Geschäft zu informieren, ohne zu kaufen, hatte auch eine Händlerin im australischen Brisbane zu leiden. Sie versucht nun, das Problem mit einer Informationsgebühr zu lösen und fordert fünf Dollar Eintritt von ihren Kunden, die dann bei einem Einkauf wieder verrechnet werden.
Kai Falk, Geschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland, glaubt allerdings nicht an das Szenario ausgestorbener Innenstädte zugunsten von prosperierenden Online-Unternehmen. "Nur jeder zehnte Kunde informiert sich im Fachgeschäft und kauft dann online." Das Internet würde den Handel zwar stark verändern. Doch nur diejenigen, die sich nicht darauf einstellten, hätten große Schwierigkeiten. Inzwischen besitze jeder fünfte Einzelhändler neben seinem Geschäft auch einen Online-Shop und profitiere so von beiden Verkaufsmöglichkeiten.
Online-Angebote fördern den Einzelhandel
Auch Björn Bloching hält die Angst vor dem "Phänomen online" für unbegründet. Der Wirtschaftsexperte ist bei der Unternehmensberatung Roland Berger zuständig für Handel und Konsumgüter. Vor Kurzem hat er eine Studie vorgestellt, die zeigt, dass stationäre Geschäfte eher von Online-Angeboten profitieren als von ihnen verdrängt zu werden. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass wir extrem viele Offline-Einkäufe haben, die durch Online-Besuche angestoßen wurden. Die Menschen haben sich vorher Dinge im Internet angeschaut, kaufen sie dann aber doch im Geschäft." Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Laut Bloching werden von Einzelhandelsunternehmen rund 70 Milliarden Euro dadurch erwirtschaftet, dass Kunden sich zunächst im Internet über die gewünschten Produkte informieren. Umgekehrt seien es nur sechs Milliarden Euro, die Verbraucher bei Online-Unternehmen ausgeben würden, nachdem sie in Geschäften Schuhe, Kameras und Kleidung angesehen und ausprobiert hätten.
Im Netz locken, im Geschäft verkaufen
Björn Bloching plädiert für eine kluge Nutzung des Internets als Werbefläche. Alleine ein zusätzlich zum Geschäft aufgebauter Online-Shop reiche nicht aus. Hier werde oft zu viel in ein aufwendiges Verkaufssystem investiert. Es gehe darum, die Online-Welt als "Showroom" zu nutzen. "Wenn man da ein gutes Markenerlebnis schafft und die Möglichkeit gibt, die Dinge im Internet anzuschauen und damit in die Läden lockt, dann hat man wesentlich mehr gewonnen, als wenn man versucht, irgendeinen wenig inspirierenden, mittelmäßig funktionierenden Online-Shop einzurichten." So etwas könnten die großen Online-Anbieter besser. Der Internet-Auftritt müsse die Produkte attraktiv machen. "Sie können darstellen, wie zum Beispiel Sportkleidung angewendet wird, Erfahrungsberichte einsetzen und auch zeigen: So gehen meine Helden damit um."
Shoppen in der Erlebniswelt
Die Homepage als Showroom ist jedoch nicht die einzige Strategie, die Bloching empfiehlt. Gleichzeitig müssten die Geschäfte ihren Erlebniswert steigern und das bedeute mehr als eine Gratis-Tasse Kaffee anzubieten. Ein Sportartikel-Verkäufer habe zum Beispiel eine Kühlkammer eingerichtet, um Schlafsäcke bei minus 20 Grad "anzufühlen", in einem speziellen Pool könnten dort Kanus getestet werden. Denkbar wäre auch die Errichtung einer Kletterwand, um Funktionskleidung auszuprobieren. Ein solches Erlebnis könnten Internet-Händler nicht bieten. "Höhere Preise werden hier durchaus in Kauf genommen", glaubt Bloching.
Multikanalstrategie
Für entscheidend hält Wirtschaftsexperte Bloching, dass Händler sich auf die veränderten Einkaufsgewohnheiten einstellen. Manche Kunden informierten sich online und würden offline einkaufen, bei anderen sei es umgekehrt. Einige liebten es, sich durch volle Regale anregen zu lassen, andere wollten den Einkauf so schnell wie möglich hinter sich bringen. In Zukunft müssten Geschäfte für viele Gruppen einfache Lösungen bieten. Als Beispiel führt Bloching an, was einige französische Riesensupermärkte ihren Kunden anbieten. Die können per Internet bestellen und die gepackten Tüten dann im Hypermarché abholen. "Ich brauche die Tüten nur noch in meinen Kofferraum laden, abgebucht wird von der Kreditkarte, und das Ganze hat mich nicht mehr als drei Minuten gekostet."