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Die 68. Berlinale, ausgesprochen weiblich

Silke Bartlick
17. Februar 2018

Neuerdings spricht man wieder über Gleichberechtigung, Quoten und die Unterdrückung von Frauen. Themen auch auf der Berlinale, die übrigens mit starken Filmen von starken Frauen aufwartet.

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Berlinale 2018 Filmstill Utøya 22. juli
Schauspielerin Andrea Berntzen in einer Szene des Kinodramas "Utøya 22. Juli"Bild: Agnete Brun

An der #MeToo-Debatte kommt während dieser Berlinale niemand vorbei. Also hat auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters das Thema angepackt und ist höchst elegant darauf eingegangen: Während der Eröffnungsgala dieser 58. Internationalen Filmfestspiele erinnerte sie an die Leinwandlegende Marlene Dietrich, die rauchend und im Hosenanzug Rollen- und Weltbilder infrage gestellt hat. "Umso bitterer", so die Kulturstaatsministerin, sei es, "dass Frauen vielfach im Filmgeschäft bis heute in eine Rolle gedrängt werden, die sie nicht spielen wollen - und dass wir deshalb seit Wochen mehr über Männer reden, die nur einen Bademantel anhaben, als über Frauen, die die Hosen anhaben."

Starke Frau, starkes Kino

Reden wir also über diese Frauen, denen man während der Berlinale in schöner Regelmäßigkeit  begegnet - vor und hinter der Kamera. Susanne Wolff ist zweifellos eine von ihnen, eine Ausnahme-Schauspielerin, die in dem Drama "Styx" (Regie: Wolfgang Fischer) die ebenso sympathische wie erfolgreiche und lebenserfahrene Unfallärztin Rike spielt. In ihrem Jahresurlaub will sie sich einen Traum erfüllen und von Gibraltar aus ins Paradies segeln, zur Insel Ascension. Sie bricht alleine auf, jeder Handgriff sitzt, gesprochen wird kaum. Gelegentlich der übliche Funkkontakt, ansonsten nur die Geräusche der Natur: Wellen, Wind und ein heftiger Sturm, durch den Rike ihr Boot aber routiniert steuert. 
Diese Frau scheint eine zu sein, die das Leben im Griff hat, die immer weiß, was zu tun ist, und die die Kraft hat, das auch umzusetzen. Mit einer unglaublichen Intensität, mit gewaltigem körperlichem Einsatz gibt Susanne Wolf diese Alleinseglerin und dem Film eine nur schwer erträgliche Spannung. An ihre Grenzen kommt sie nach dem Sturm. Da sieht sie das lecke Flüchtlingsschiff, die verzweifelten Menschen, die ins Wasser springen, nur wenige hundert Meter entfernt. Als Ärztin folgt sie den Regeln und rettet zunächst ihr eigenes Leben. Aber dann kommt niemand, um den Schiffbrüchigen zu helfen, alle Notrufe verhallen. Und Rike verliert die Kontrolle über die Situation, verhakt sich in einem moralischen Dilemma, das niemand mit ihr teilen möchte: Was tun, wenn man helfen will, aber das nicht kann? Was tun, wenn Menschlichkeit wider die Regeln ist?

Standbild aus dem Film "Styx": Rike auf dem Segelboot (Foto: Benedict Neuenfels)
Rike: Starke Frau, unlösbarer KonfliktBild: Benedict Neuenfels

Ausgesprochen feminin

"Styx" lauft in der Sektion "Panorama", deren Programm übrigens ausgesprochen feminin daher kommt: Bei 27 der insgesamt 47 Filme aus 40 Ländern führen Frauen Regie, 34 wurden von Frauen produziert. Zumeist stehen Frauen auch im Zentrum ihrer Geschichten, die nachdrücklich den Blick für gesellschaftlich relevante Fragen schärfen: Korruption und Patriotismus ("Lemonade", Regie: Iona Uricaru), die Sucht nach Geld, Schönheit und Konsum ("Generation Wealth", Regie: Lauren  Greenfield), der tägliche Überlebenskampf der Ärmsten der Armen ("Al Gami'Ya", Regie: Reem Saleh).
Ob Frauen anders Filme machen als Männer? Das wäre eine Untersuchung wert. Auf dieser Berlinale  gibt es jedenfalls jede Menge Anschauungsmaterial. Filmemacherinnen sind hier gut vertreten (37,5 Prozent der aktuellen Filme sind von Frauen), am stärksten beim Kinder- und Jugendfilm, am schwächsten im Wettbewerb um die begehrten Bären. Arthouse-Kino machen sie vor allem, ambitionierte Filme, die blinde Flecken aufspüren, die Finger in Wunden legen, die geduldig zuhören und selbstverständlich mit den Formen des Genres spielen und experimentieren.  

Standbild aus dem Film "Generation Wealth"  (Foto: INSTITUTE/Lauren Greenfield)
Generation Wealth: Oberflächlich und ichbezogen?Bild: INSTITUTE/Lauren Greenfield

Lange her, noch nicht vorbei

Die österreichische Filmemacherin Ruth Beckermann beispielsweise hat frühes Video-Material wiedergefunden, hektische Aufnahmen, die sie 1986 rund um die erstarkenden Proteste gegen Kurt Waldheim, den Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten, gedreht hat. Waldheim, ehemaliger UN-Generalsekretär, wollte mit dem höchsten Amt der Alpenrepublik seine Bilderbuchkarriere krönen, hatte aber beharrlich seine NS-Vergangenheit verleugnet. Damals sorgte das weltweit für Aufsehen, die Österreicher haben Waldheim im Sommer 1986 dennoch im zweiten Wahlgang mehrheitlich das Vertrauen ausgesprochen.

Mit sorgfältig recherchiertem und klug ausgewähltem Archivmaterial sowie besagten eigenen Aufnahmen rekonstruiert Ruth Beckermann den Verlauf der Debatte ("Waldheims Walzer"), sucht die Annäherung an Waldheim und präsentiert die öffentliche Meinung - mit Anti-Waldheim-Demonstrationen sowie öffentlichen Streitgesprächen mit Passanten, die aus  Antisemitismus, Medienhass und Ressentiments keinerlei Hehl machen. Ein gut dreißig Jahre altes Sittengemälde, unerfreulich aktuell und von Ruth Beckermann mit unvergleichlicher Lakonie kommentiert.
Ob Frauen andere Themen wichtig sind als Männern? In jedem Fall sind es vorzugsweise Filmemacherinnen, die nach den Geschlechterbeziehungen fragen, die von Rollenmustern, Unterdrückung  und Aufbruch erzählen - auf ganz unterschiedliche Art und Weise.

Standbild aus dem Film "Waldheims Walzer": Kurt Waldheim lässt sich vor einem Fernsehauftritt Fussel vom Jacket bürsten (Foto: Ruth Beckermann Filmproduktion)
Kurt Waldheim 1986, kurz vor einem FernsehauftrittBild: Ruth Beckermann Filmproduktion

Isabel Coixets Spielfilm "The Bookshop" ist die  Adaption eines Romans von Penelope Fitzgerald aus dem Jahre 1978. Ein schön gedrehter, leicht überzeichneter Kostümfilm um die junge Kriegswitwe Florence Green, die ihre Trauer hinter sich lässt und allen Widerständen zum Trotz in der englischen Provinz eine ambitionierte Buchhandlung eröffnet. Den Kampf gegen lokale Einflussgrößen verliert sie letztendlich. Aber ihr Mut und ihre Liebe zur Literatur verändern das Leben ihrer jungen Hilfskraft entscheidend. Und das ist auch schon etwas. Denn oft braucht sie Zeit, die Emanzipation. 

Kleine Schritte

Wie zögernd sich Frauen von einem fremdbestimmten Schicksal frei machen, verdeutlicht auch der kirgisische Dokumentarfilm "Djamilia" von Aminatou Echard. Über die berühmte Heldin aus Tschingis Aitmatows gleichnamiger Erzählung, die bereits vor mehr als 50 Jahren mit der Tradition gebrochen hat und aus der arrangierten Ehe geflohen ist, ist die Filmemacherin mit Frauen in Kirgisistan ins Gespräch gekommen und hat mit körnigem Super-8-Material  eindringliche Portraits komponiert - von Frauen, die stark sind wie Djamilia, aber nur schwer aus den Traditionen ausbrechen können. Denn immer noch bestimmen die Eltern, wen man heiratet, immer noch entführen junge Männer die Frau, die sie haben wollen. Aber die Frauen sprechen darüber. Immerhin.
Es gibt also viel zu tun, weltweit. Nicht nur in der #MeToo-Debatte, im Umgang mit selbstherrlichen Männern in Bademänteln, sondern ganz grundsätzlich und nahezu überall im Kampf gegen greifbares virulentes Unrecht.

Standbild aus dem Film "Djamilia": Eine Frau am am Fenster hält sich an der Fensterbank fest (Foto: Aminatou Echard)
Stark wie Djamilia? Szene aus dem Film "Djamilia" von Aminatou EchardBild: Aminatou Echard