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Die 52 Tage von Peking

2. Juni 2009

Ein kritischer Jahrestag, der Todesfall eines großen Führers und ein historischer Staatsbesuch: Das und der Geist von Reformen bildeten die Mischung, aus der im Frühjahr 1989 die chinesische Demokratiebewegung entstand.

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Studenten entrollen ein Banner auf dem Platz des Himmlischen Friedens Foto: AP)
52 Tage lang stellten sich Studenten der Partei entgegenBild: picture-alliance/ dpa

Es begann mit dem Tod eines Mannes. Und es endete sieben Wochen später mit dem Tode vieler. Am 15. April 1989 verstarb Hu Yaobang. Der Reformer war zwei Jahre zuvor entmachtet worden. Der Vorwurf: Er neige zu bürgerlichem Liberalismus. Mit der Trauer um den Reformer brach sich auch der Wunsch nach Reformen Bahn. Und der Unmut über die weit verbreitete Korruption. Als am 22. April in der Großen Halle des Volkes die offizielle Trauerfeier für Hu Yaobang stattfand, hatten sich vor den Toren der Halle rund 100.000 Studenten versammelt.

Studenten auf dem Tiananmen-Platz (Foto:AP)
Erste Forderungen der Studenten während der Trauerfeier für Hu YaobangBild: AP

Die Stimme der Jugend

Die Forderungen: Menschenrechte, Meinungsfreiheit, ein Ende der Zensur. Vor allem aber: Premierminister Li Peng solle eine Petition der Studenten entgegennehmen. Er ließ sich nicht blicken. Die Antwort der Hardliner im Politbüro kam vier Tage später. Während der reformorientierte Generalsekretär Zhao Ziyang einen Staatsbesuch in Nordkorea absolvierte, erschien am 26. April ein scharf formulierter Leitartikel in der amtlichen "Volkszeitung“. Darin wurden schwere Vorwürfe erhoben: Die Bewegung sei konterrevolutionär und von feindlichen Kräften gesteuert. In einem Land wie China ist solch ein Beitrag keinesfalls nur die Meinungsäußerung eines einzelnen Journalisten. Er gab das Urteil der Führung wieder.

Anfangs-Erfolg für die Studenten

Jeder Demonstrant wurde automatisch zum Konterrevolutionär erklärt. Und das konnte für die Betroffenen schwere Folgen haben. Entsprechend entsetzt waren die Studenten. "Wir hatten nicht erwartet, dass die Regierung zu einem so üblen Urteil über uns kommen würde“, erinnert sich der ehemalige Studentenführer Wang Dan. "Wir dachten: Ohne Straßenaktionen in großem Stil könnten wir nicht mit der Propagandamaschine der Regierung mithalten. Dann würden die Menschen nicht die Wahrheit über uns erfahren.“ Tags darauf, am 27. April marschierten Studenten von mehr als 40 Universitäten zum Tiananmen-Platz, um gegen den Leitartikel zu demonstrieren. Sie ignorierten damit ein ausdrückliches Verbot der Behörden und gelangten trotz Absperrungen auf den Tiananmen-Platz. Der Erfolg beflügelte die Studenten. Fast täglich kam es jetzt zu Demonstrationen, oft mit über 100.000 Teilnehmern. Mittlerweile beteiligten sich alle Bevölkerungsschichten an den Protesten.

Zerfall in zwei Lager

Zhao Ziyang (Foto: AP)
Zhao ZiyangBild: AP

Der 4. Mai war der für die Partei wichtige 70. Jahrestag der Studentenbewegung von 1919. Als deren legitime Erben betrachten sich die Kommunisten. Mit einer eigenen Gedenkveranstaltung stellten sich die Demonstranten von 1989 in diese Tradition. Und: An diesem Tag ging Parteisekretär Zhao Ziyang mit einer im Fernsehen übertragenen Rede deutlich auf die Protestbewegung zu. Es zeichnete sich eine Spaltung des Politbüros ab. Und auch die Studenten schienen sich zu spalten. Während radikalere Studentenführer weiter demonstrieren wollten, plädierte Wang Dan in einem Interview mit dem Kanadischen Fernsehen am 10. Mai für eine Rückkehr an die Universitäten. "Ich glaube, die Studentenbewegung muss sich weiter entwickeln. Keine großen Straßenaktionen mehr, kein Unterrichtsboykott mehr“ – so seine Forderung. Stattdessen setzte er auf einen Aufbau der Demokratie mit Basisarbeit auf dem Campus: durch eine Legalisierung der Studentenverbände, durch unabhängige Studentenzeitungen und durch Campus-Radios. "Diese Arbeit sieht vielleicht nicht so großartig oder eindrucksvoll aus, sie ist aber extrem wichtig.“

Historischer Besuch in Peking – vor einmaliger Kulisse

Demonstranten auf Flaggenmast ( Foto: AP)
Staatsbesuch in Ausnahmesituation: selbst die sowjetische und die chinesische Flagge auf dem Tiananmen-Platz ist von Demonstranten besetztBild: AP

Es stand der Besuch Michail Gorbatschows am 15. Mai bevor, der erste Besuch eines sowjetischen Staatschefs in China seit über 30 Jahren: Einige Studentenführer setzten sich durch mit der Absicht, vor diesem Hintergrund den Druck auf die Regierung zur Rückname des Leitartikels zu erhöhen. Am 13. Mai begannen rund 400 Studenten einen Hungerstreik auf dem Tiananmen-Platz. Damit begann die dauerhafte Besetzung des Platzes. Das lang geplante Gipfeltreffen stand im Schatten der Proteste. Auch die für den Gipfel angereiste Weltpresse interessierte sich mehr für das, was vor der Halle des Volkes passierte, als für das Treffen in der Halle: Der Tiananmen-Platz hatte sich in ein riesiges, buntes Zeltlager verwandelt, mit eigenen Sanitätsstationen, Versorgungsstationen, Ordnerdiensten. Es gab Rockkonzerte und es herrschte die Atmosphäre eines selbst organisierten Fests der Freiheit.

Verzweifelte Versuche

Studenten entrollen ein Banner auf dem Platz des Himmlischen Friedens Foto: AP)
52 Tage lang stellten sich Studenten der Partei entgegenBild: picture-alliance/ dpa

Und die Studenten hatten Erfolg, vorläufig: Sie setzen eine Diskussion mit Ministerpräsident Li Peng durch, live im Fernsehen übertragen. Jetzt eskalierten die Ereignisse. Der moderate Parteichef Zhao Ziyang wurde gestürzt. Und Li Peng schwor am 19. Mai in einer Rede die Führer von Armee und Staat auf eine harte Linie ein. Tags darauf wurde formal das Kriegsrecht verhängt. Zum ersten Mal seit Gründung der Volksrepublik 1949 rückte die Volksbefreiungsarmee in Peking ein. Ihr Vormarsch wurde jedoch von den Pekingern gestoppt. Die Menschen hielten die Lastwagen auf, appellierten an das Gewissen der Soldaten und beschworen sie, sich nicht als Werkzeuge der Führung missbrauchen zu lassen. Die Armee zog sich tatsächlich wieder aus Peking zurück. Auf dem Tiananmen-Platz stimmten die Studenten über das Verlassen des Platzes ab. Studentenführer Wang Dan sprach sich dafür aus – um "eine irrationale Konfrontation mit einer irrationalen Regierung zu vermeiden.“ Nur so könne man es schaffen, den Konflikt auf demokratische und legale weise zu lösen. "Deshalb schlagen wir vor, unsere friedliche Demonstration auf dem Tiananmen Platz am 30. Mai abzubrechen, dem 10. Tag nach der Verhängung des Kriegsrechts.“

Mut der Verzweiflung

Andere Demonstranten aber wollten nicht aufgeben. Zwar kehrten viele Besetzer des Platzes wieder nach Hause oder auf den Campus zurück. Aber die Reihen wurden durch zahlreiche Neuankömmlinge aus dem ganzen Land schnell wieder gefüllt. Am 30. Mai stellten Studenten der Kunsthochschule auf dem Tiananmen Platz die Skulptur "Göttin der Demokratie" auf.

Skulptur Göttin der Demokratie (Foto: AP)
Die "Göttin der Demokratie"Bild: AP

Zehn Meter hoch war sie und der amerikanischen Freiheitsstatue nachempfunden. Das Symbol der Demokratiebewegung blieb gerade einmal vier Tage stehen. Am Abend des 3. Juni begannen die Abendnachrichten mit einer "Notfallbekanntmachung der Truppen zur Durchsetzung des Kriegsrechts“. Widerständler müssten die Konsequenzen ihres Handelns tragen, so das Staatsfernsehen CCTV. Die Volksbefreiungsarmee hatte den Befehl erhalten, auf das eigene Volk zu schießen. Und sie schoß sich den Weg ins Stadtzentrum frei. Gegen fünf Uhr morgens war der Tiananmen Platz geräumt. Niemand weiß genau, wie viele Menschen in dieser Nacht ums Leben kamen. Das chinesische Rote Kreuz sprach zunächst von 2.600 toten Zivilisten, widerrief diese Zahl aber wenig später.

Autor: Matthias von Hein
Redaktion: Felix Steiner