Elefantendialog auf dem Hamburg Summit
30. November 2012Zum Schluss wurde es emotional: Henry Kissinger bedankte sich beim Gastgeber des Hamburg Summit "China meets Europe" für die Gelegenheit, mit Altkanzler Helmut Schmidt diskutieren zu können. Er habe Schmidt vor 55 Jahren kennengelernt, sagte Kissinger, der unter Richard Nixon Außenminister der USA war. "Der junge Mann von damals hat uns nicht enttäuscht. Einen großen Beitrag hat er für Deutschland und die Welt geleistet", so Kissinger. Doch vorher haben beide Weltendeuter und China-Kenner geduldig die Fragen von Theo Sommer, dem Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit", beantwortet.
Die Diskussion am Donnerstagabend (29.11.2012) war von der Frage dominiert, ob Chinas Aufstieg friedlich verlaufen kann. Der Inselstreit mit Japan und Territorialkonflikte mit anderen Nachbarländern geben Anlass zur Sorge. Schmidt teilte einerseits diese Sorge. Schließlich sei die nationalistische Stimmung sowohl in China als auch in Japan auf dem Vormarsch. Andererseits hätte China in seiner jahrtausendlangen Geschichte kein anderes Land militärisch angegriffen oder kolonialisiert. Der Altkanzler geht davon aus, dass das aufsteigende Land die pazifistische Tradition beibehalten werde.
Eine Militäraktion schadet allen Beteiligten
Auch Kissinger ist der Meinung, dass China kein Land sei, das man militärisch definieren sollte. Zwar habe die Geschichte auch wenig ermutigende Beispiele parat, was den Aufstieg neuer Mächte anbetreffe, siehe Japan und Deutschland. Das Beruhigende in der heutigen Zeit sei, dass man wisse, welche Folgen militärische Konfrontation mit sich brächte, sagt der 89Jährige. "Militärische Aktion wirft auch immer das angreifende Land zurück", so Kissinger.
Letztendlich habe China Angst vor einer Umzingelung und die Nachbarländer würden sich vor einer asiatisch-pazifischen Dominanz Chinas fürchten, bringt es Henry Kissinger auf den Punkt. "Aber was können schon die 2500 US-Soldaten in Australien anrichten?", fragt er rhetorisch und meint damit die vom wiedergewählten Präsidenten Barack Obama geplante größere Präsenz in Asien-Pazifik. Die Region hätte Platz genug für beide Mächte, sagt der in Deutschland geborene US-Politiker.
China ist der größte Gläubiger der USA
Schmidt pflichtete ihm bei. Zwar steigen die Verteidigungskosten Chinas jährlich um 15 bis 18 Prozent. "Das US-Verteidigungsbudget beträgt aber immer noch das Sechsfache der chinesischen Ausgaben", sagt Schmidt. Obama sei zwar ein begnadeter Redner, aber in der Praxis hinke er hinterher. Deswegen sollte sich China die neuen Aktivitäten von Obama in Asien nicht zu Herzen nehmen, rät Altbundeskanzler den Chinesen zur Gelassenheit. Zudem habe die Globalisierung in den vergangenen 40 Jahren dazu geführt, dass alle aufeinander angewiesen sind. Dass die USA viel mehr importieren als exportieren und damit ein riesiges Leistungsbilanzdefizit einfahren, sei eine viel größere Gefahr als die militärischen Drohgebärden, so der gebürtige Hamburger, der mit seinen bald 94 Jahren immer noch messerscharf analysieren kann. "Ein Viertel der amerikanischen Schuldscheine halten die Chinesen in der Hand. Hat es in der Geschichte je eine solche Situation gegeben?"
Keine Diskussion über China geht an der Frage der Menschenrechte und des politischen Systems vorbei. Wie sollen sich die EU und die USA gegenüber der Einparteienherrschaft positionieren? "Ich bin ein Mensch der alten Schule und lehne es ab, mich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen", wiederholt Schmidt seine altbekannte, jedoch nicht unumstrittene Position. Ferner geht er davon aus, dass in vierzig Jahren die Lateinamerikaner, Asiaten und Afrikaner mehr als die Hälfte der US-Bevölkerung ausmachen würden. "Sie wollen nicht die Welt beherrschen. Ihnen ist eine gesicherte Rente wichtiger." Schmidt sagt einen Wettbewerb der beiden Großmächte voraus, wer zuerst einen Sozialstaat realisieren werde.
Kissinger nimmt beide Regierungen in die Pflicht, ihre Bürger zu überzeugen, dass eine Kooperation auf alle Fälle einer Konfrontation vorzuziehen sei. Wenn China die USA eines Tages überholen sollte, dann sei das nicht die Schuld der Chinesen. "Andere Gesellschaften taugen nicht als Sündenböcke für unser eigenes Versagen", sagt Kissinger am Ende einer vor Weisheiten überbordenden Diskussion.