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Deutschland vor dem zweiten Lockdown?

27. Oktober 2020

Bislang war es der erklärte Wille der Regierung in Deutschland, einen zweiten Stillstand von Gesellschaft und Wirtschaft zu vermeiden. Aber geht das? Das RKI meldet mit 14.964 neuen Infektionsfällen einen Höchststand.

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Neue Corona-Regeln Frankfurt am Main
Bild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Zuletzt war immer deutlicher geworden: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist tief besorgt angesichts der stark steigenden Corona-Infektions-Zahlen in Deutschland. Am Mittwoch spricht die Kanzlerin erneut mit den Ministerpräsidenten der Länder in einer Video-Schalte über die Lage, und schon vorab gab ihr Sprecher, Steffen Seibert, die Richtung vor: Es gehe darum, was Bund und Länder gemeinsam tun könnten, um möglichst schnell den Trend zu brechen, so Seibert am Montag. Allen sei bewusst, "dass dabei jeder Tag zählt".

Fast schon flehentlich hatte Merkel am Wochenende in ihrem Video-Podcast die Menschen in Deutschland beschworen, wieder mehr Abstand zu halten, Kontakte wenn möglich zu meiden und auf Reisen zu verzichten. Und am Montag sagte die Kanzlerin dann in einer Sitzung ihrer Partei, der CDU, dass die Situation "hochdynamisch" und "dramatisch" sei. Deutschland könne bald in eine "schwierige Lage" bei den Intensiv-Betten in den Kliniken kommen. Am Mittwoch meldete die oberste Seuchen-Behörde des Landes, das Robert-Koch-Institut in Berlin, mit 14.964 Fällen wieder einen neuen Höchststand an Neuansteckungen.

Merkel plant offenbar "Lockdown light"

Glaubt man Informationen der "Bild-Zeitung", dann schwebt Merkel jetzt eine Art "Lockdown light" vor: Bars und Restaurants müssten wie schon im Frühjahr schließen, Großveranstaltungen würden abgesagt. Schulen und Kitas sollen demnach aber nur in Regionen mit extrem hohen Infektionszahlen schließen.

Dazu würde passen, was Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) am Dienstag sagte: Zusätzliche Maßnahmen seien jetzt nötig, um die neue Infektionswelle zu brechen. "Und sie sollten deutschlandweit möglichst einheitlich getroffen werden und allgemein verständlich sein", so Scholz. Zuletzt hatten viele verschiedene Verordnungen in den einzelnen Bundesländern für Verunsicherung gesorgt.

Konkreter werden die Pläne im Entwurf einer Beschlussvorlage für die Bund-Länder-Konferenz, über den die Deutsche Presse-Agentur wenige Stunden vor dem Treffen berichtet. Demnach spricht sich die Bundesregierung für drastische Kontaktbeschränkungen aus. Unter anderem sollten Gastronomiebetriebe vom 4. November an bis zum Monatsende geschlossen und touristische Übernachtungen im Inland verboten werden.

Weiter heißt es, es sollten sich nur noch Angehörige zweier Haushalte gemeinsam in der Öffentlichkeit aufhalten dürfen. Dem Entwurf zufolge sollen auch Opern und Theater sowie Freizeiteinrichtungen wie Schwimmbäder, Fitnessstudios und Freizeitparks schließen. Schulen und Kindergärten sollten aber weiterhin geöffnet bleiben, ebenso der Einzelhandel.

"Aus dem Schwelbrand ist ein flammender Herd geworden"

Den Ernst der Lage betont auch der Berliner Physiker Dirk Brockmann, der mit mathematischen Methoden berechnet, wie sich Infektionen ausbreiten. Brockmann sagte der DW: "Aus dem Schwelbrand im Sommer ist wieder ein flammender Herd geworden, den man wieder unter Kontrolle bringen muss." Auch er hält es für sehr wahrscheinlich, dass sich die Menschen in Deutschland auf weitere harte Einschränkungen einstellen müssen:  "Wir müssen uns je nach politischen Entscheidungen auf einen Lockdown einstellen, weil – das sagen jedenfalls alle Nachbarländer und die Kurvenverläufe dort – das der einzige Weg sein wird, diese Kurvenverläufe wieder einzufangen und wieder zum Sinken zu bekommen."

Zweiter Lockdown einziger Weg

Die bisherigen Maßnahmen, Sperrstunden etwa wie in Berlin, haben das Infektions-Geschehen bislang jedenfalls nicht gestoppt. Brockmann: "Man kann das gut mit der Situation in Israel vergleichen, wo eine zweite Welle losging und dann ein leichter Lockdown probiert wurde, der aber nicht funktioniert hat. Und nur mit einem sehr konsequenten, sehr kurzen, aber flächendeckenden Lockdown die Zahlen in den Keller gefahren worden sind." 

Bevölkerung rechnet schon jetzt mit einem Lockdown

Die führenden Virologen, Epidemiologen und anderen Wissenschaftler, die die Bundesregierung in der Corona-Pandemie beraten, unterstützen jedenfalls offenbar die Erwägungen für einen zweiten, abgemilderten Lockdown. Aus Teilnehmerkreisen war zu hören, dass sich die Experten in verschiedenen Video-Konferenzen über das Wochenende und am Montag einig waren: Ohne Lockdown sei der bereits jetzt wieder exponentielle Anstieg der Corona-Infektionen nicht mehr zurückzudrängen. Alle Modelle sagten einheitlich, dass nur noch das in dieser Phase funktioniere. Es sei wahrscheinlich, dass bereits Ende der Woche die Infektions-Rate auf 20.000 Neu-Infektionen pro Tag steige. Bundeskanzlerin Merkel hatte noch vor knapp zwei Wochen davor gewarnt, dass Deutschland bis Weihnachten bei 19.000 täglichen Neuinfektionen liegen könnte.

Neue Corona-Regeln Frankfurt am Main
Auch die Pflicht zum Masketragen wird immer weiter ausgedehntBild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Die Bevölkerung scheint sich schon jetzt auf weitere Einschränkungen einzustellen: Laut einer Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur rechnen rund zwei Drittel der Befragten aufgrund der hohen Fallzahlen mit neuen Schließungen von Geschäften, Restaurants und Schulen.