Deutschland und Polen vereinbaren engere Zusammenarbeit
Veröffentlicht 2. Juli 2024Zuletzt aktualisiert 2. Juli 2024Die Regierungen von Deutschland und Polen haben in Warschau bei den ersten Regierungskonsultationen seit sechs Jahren einen bilateralen Aktionsplan beschlossen, der das Miteinander der kommenden Jahre regeln soll. Das 40-seitige Papier sieht eine engere Kooperation in einer Vielzahl von Feldern vor.
Angesicht der Bedrohung durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine betonten Bundeskanzler Olaf Scholz und der polnische Regierungschef Donald Tusk ihren Willen zu einer noch engeren Kooperation.
"Die globalen Herausforderungen unserer Zeit können wir nur gemeinsam angehen, die Sicherheit Europas nur gemeinsam verteidigen", sagte Scholz nach den Regierungskonsultationen in Warschau. Deutschland und Polen seien bereits "gute Nachbarn, enge Partner und verlässliche Freunde", wollten aber durch die Ausweitung ihrer Zusammenarbeit in vielen Bereichen "eine neue Dynamik schaffen", so Scholz.
Konkret haben beide Länder beschlossen, bei Verteidigung und Rüstung intensiver zusammenzuarbeiten. Russland sei derzeit die "unmittelbarste" und größte Bedrohung für den Frieden in Europa, heißt es in dem Dokument. Die militärische Stärke des westlichen Verteidigungsbündnisses an der Ostflanke der NATO soll demnach gestärkt werden. Sanktionen gegen Russland und Belarus sollen ausgebaut werden.
Militärhilfe für die Ukraine
Beide Länder erklärten außerdem, sie würden ihre Zusammenarbeit auf Regierungsebene vertiefen, um der Ukraine militärische Hilfe zu leisten, unter anderem bei der Reparatur und Wartung von Leopard-2-Panzern. Polen erwägt dem Plan zufolge auch eine Teilnahme an der von Deutschland initiierten European Sky Shield Initiative (ESSI), einem gemeinsamen europäischen Luftverteidigungssystem.
Tusk räumte ein, dass der Aktionsplan nicht viel Konkretes gerade im Blick auf die Verteidigung und Rüstungszusammenarbeit enthalte, wie die DW-Korrespondentin Rosalia Romaniec aus Warschau berichtet.
"Für die Polen war aber die sehr grundsätzliche Zusicherung der Deutschen wichtig, dass für die Verteidigung der Ostflanke nicht nur die Ostflanke selber zuständig ist. Da hatte es nach dem letzten EU-Gipfel durchaus unterschiedliche Interpretationen gegeben."
Die diesjährigen Regierungskonsultationen bilden nach Ansicht von Romaniec einen Anfang mit offenem Ausgang: "Der Eindruck bleibt: In Polen setzt man sehr auf Tempo. Aus zwei Gründen: Die eigene Grenze bildet die NATO-Ostflanke, somit ist die Gefahr spürbarer. Außerdem lagen sie (die Polen) in ihrer Einschätzung der Gefahr aus Russland schon vor Jahren richtig. Im Gegensatz zu den Regierungen in Berlin."
Absprachen zu Grenzkontrollen
Beide Seiten vereinbarten zugleich eine engere Abstimmung bei Grenzkontrollen und der Migration. "Wir werden darauf hinwirken, dass der Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen an den Binnengrenzen reibungslos funktioniert, indem wir die grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit verbessern", heißt es.
Da derzeit aber Kontrollen auch an den deutsch-polnischen Grenzen nötig seien, wolle man die Auswirkungen auf den Verkehr sowie auf den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Personen zumindest minimieren. Die jüngst eingerichtete gemeinsame Taskforce gegen Schleusungskriminalität und die gemeinsamen Patrouillen auf polnischem Hoheitsgebiet sollen fortgesetzt werden. Beide Regierungen fordern ferner eine solidarischere Lastenverteilung in der EU bei der Aufnahme und Finanzierung ukrainischer Kriegsflüchtlinge.
Vereinbarung zur Raffinerie Schwedt
Deutschland und Polen bekennen sich auch dazu, die Arbeit der ostdeutschen Raffinerie PCK in Schwedt und damit auch die Kraftstoffversorgung für Polen gemeinsam zu sichern. Man werde die deutsch-polnische Zusammenarbeit von Unternehmen in den Bereichen Rohölinfrastruktur und Stabilität der Kraftstoffversorgung von Deutschland nach Polen fördern, heißt es im Aktionsplan. "Wir werden uns im Hinblick auf die Sicherstellung der Öllieferungen an die Raffinerie PCK in Schwedt, den Bedarf und Status von Öllieferungen an die Raffinerie PCK in Schwedt über das polnische Unternehmen Naftoport und dessen Eigentümerstatus abstimmen."
Falls es bei der Lieferung von Öl durch Russland zu Problemen kommt, wollen sich Polen und Deutschland eng abstimmen, "um eine stabile Versorgung der Raffinerie PCK in Schwedt mit Öl und eine sichere Versorgung der Region aufrechtzuerhalten". Die Bundesregierung hatte die staatliche Treuhand-Verwaltung für die Anteile des russischen Energiekonzerns Rosneft an der Raffinerie Schwedt verlängert, weil noch kein Käufer für die russischen Anteile gefunden wurde.
Deutsch-Polnisches Haus in Berlin
Ein weiteres wichtiges Thema bei den Regierungskonsultationen war die Aufarbeitung der NS-Verbrechen gegen Polen. "Deutschland weiß um die Schwere seiner Schuld, um seine Verantwortung für die Millionen Opfer der deutschen Besatzung und den Auftrag, der daraus erwächst", sagte Scholz. Daher habe sein Kabinett vergangene Woche die Gründung eines Deutsch-Polnischen Hauses im Zentrum Berlins beschlossen, das an die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs erinnern soll.
Scholz stellte zudem eine Entschädigung für die etwa noch 40.000 lebenden Opfer der deutschen Besatzung Polens in Aussicht, nannte aber weder Summen noch Zeitpunkt. Tusk sagte dazu: "Dies ist keine Sache von Jahren, sondern von Monaten."
Er bezeichnete die Ankündigung des Kanzlers als Schritt in die richtige Richtung. "Es gibt keinen Geldbetrag, der all das ausgleichen würde, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist", sagte er.
Im formalen und rechtlichen Sinne sei die Frage der Reparationen abgeschlossen. Die versprochene Finanzhilfe könne einer neuen Öffnung in den bilateralen Beziehungen dienen. "Denn gute Gesten sind in der Politik auch sehr wichtig."
Polens national-konservative Vorgängerregierung unter der PiS-Partei hatte in ihrer achtjährigen Regierungszeit bis 2023 demonstrativ Distanz zu Deutschland gehalten und antideutsche Töne angeschlagen. Überdies hatte sie Reparationen in der enormen Höhe von 1,3 Billionen Euro für die Zerstörungen durch Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg gefordert. Seit dem Regierungswechsel im Dezember ist der Ton freundlicher geworden.
Erste Regierungskonsultationen seit 2018
Am Morgen war Bundeskanzler Olaf Scholz in Warschau von Ministerpräsident Donald Tusk mit militärischen Ehren empfangen worden. Anschließend führten Scholz und Tusk zunächst ein Vier-Augen-Gespräch und ein Delegationsgespräch im erweiterten Kreis, wie ein Sprecher der Bundesregierung in Warschau mitteilte. Es folgte die Plenarsitzung der Konsultationen mit Ministerinnen und Ministern beider Seiten.
kle/jj (rtr, afp, dpa)