Deutschland und Polen arbeiten an gemeinsamem Geschichtsbuch
14. Februar 2008Seit Herbst vergangenen Jahres können deutsche Schüler an Gymnasien aus dem ersten Band eines gemeinsamen deutsch-französischen Geschichtsbuches lernen. Ein Jahr zuvor war es bereits in Frankreich in den Unterricht eingeführt worden. Das Buch dient nun als Vorbild für ein geplantes deutsch-polnisches Geschichtsbuch für den Schulunterricht.
Beide Ideen zu einem umfangreichen Gemeinschaftswerk für die Schulen haben politische Wurzeln. Die Anregung zum deutsch-französischen Geschichtsbuch kam 2003 vom deutsch-französischen Jugendparlament anlässlich des 40. Jahrestages des Elysée-Vertrages. Ein ähnliches deutsch-polnisches Projekt hat Ende vergangenen Jahres Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier seinem neuen Amtskollegen Radoslaw Sikorski vorgeschlagen. Anfang März wird Steinmeier mit ihm darüber detailliert in Warschau sprechen.
Brandenburg federführend
Die Umsetzung des Projektes hat federführend für ganz Deutschland das Bundesland Brandenburg übernommen. Ein identisches Unterrichtswerk soll die gemeinsame Aufarbeitung von Geschichte und einen Abbau von Vorurteilen ermöglichen, so der brandenburgische Bildungsminister Holger Ruprecht (SPD) und fügte hinzu: “Das ist ein schwieriger Prozess, weil die Sichtweisen auf die gemeinsame Geschichte doch unterschiedlich sind. Jetzt muss man die Chance nutzen, die sich jetzt gerade wunderbar entwickelnde Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen aufgreifen, um so ein Buch Realität werden zu lassen.“
Hoffnung in Verständigungsprozess
Nach dem Erscheinen des deutsch-französischen Geschichtsbuches wurde gefragt, warum es so spät komme. Peter Geiss, deutscher Herausgeber und Mitautor des Buches, tritt der Kritik entgegen: “Es ist nicht so, dass dieses deutsch-französische Geschichtsbuch deutsch-französische Verständigung transportiert oder überhaupt erst ermöglicht, sondern es ist in der Tat eine Frucht des deutsch-französischen Verständigungsprozesses. Und dieser Prozess hat eben eine gewisse Zeit benötigt.“
Die Bemühungen zwischen Deutschland und Frankreich, die Geschichtsbücher zu “entgiften“, gab es schon in der Zwischenkriegszeit und sie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt. Für die Ausarbeitung des gemeinsamen Geschichtsbuches hat die bilaterale Arbeitsgruppe drei Jahre gebraucht. Gearbeitet wurde in deutsch-französischen Autoren-Tandems. Einer der Autoren hat das Kapitel geschrieben, der andere hat es gegengelesen und weitere Informationen beziehungsweise auch kritische Stellungnahmen formuliert. Unterschiedliche Bewertungen historischer Ereignisse wurden thematisiert und sind für die Schüler so erkennbar.
Erst in einigen Jahren wird sich zeigen, welche Wirkungen dieses gemeinsame Schulbuch hat. Der prominente polnische Historiker Wlodzimierz Borodziej warnt vor übereilten Schlussfolgerungen: “Ob die Franzosen und die Deutschen in dem bilateralen Schulbuch das Problem eben gelöst haben oder nicht, das werden wir erst in zwei, drei Jahren frühestens wissen, wenn das Feedback von den Schulen kommt. Dann wird sich auch herausstellen, ob dieses bilaterale Schulbuch Sinn macht für beide Seiten“.
Umfangreiche Grundlagen
Bei der Ausarbeitung des deutsch-polnischen Geschichtsbuches können deutsche und polnische Historiker auf reichlich Grundlagenarbeit zurückgreifen. Seit 1972 arbeitet unter der Schirmherrschaft der UNESCO die unabhängige deutsch-polnische Geschichtskommission. Das Ergebnis dieser Arbeit ist ein zweisprachiger umfangreicher Band mit zusätzlichem Unterrichtsmaterial für den Geschichtsunterricht über die deutsch-polnischen Beziehungen im 20. Jahrhundert. Er ist in einer Auflage von 20.000 Exemplaren vor sieben Jahren vom Georg-Eckert-Institut für Schulbuchforschung herausgebracht worden.
Verbindendes im Vordergrund
Peter Geiss glaubt, es sei an der Zeit für ein umfangreiches deutsch-polnisches Geschichtsbuch. Zugleich weist er darauf hin, bei der Arbeit an einem solchen bilateralen Buch dem Grundprinzip zu folgen, nicht zu versuchen, dem anderen eine bestimmte Deutung aufzuoktroyieren: „Man muss sich in der Geschichtswissenschaft auf Fakten beziehen. Aber die Wertung dieser Fakten, die kann abweichen. Und das, denke ich, muss man im Rahmen eines solchen bilateralen Projektes anerkennen, dem muss man den Raum geben.“
Geiss betont, man müsse zunächst besonders das Verbindende zwischen beiden Völkern stark machen und dann auch über die leidvollen Erfahrungen sprechen: „Die eigenen ‚Schmerz-Erfahrungen’ werden leider oft stärker betont als die ‚Schmerz-Erfahrungen’ des jeweils anderen. Da muss man einfach einander zuhören und nicht versuchen, sich wechselseitig restlos zu überzeugen.“
Barbara Cöllen, DW-Polnisch