Deutschland: Profiteur der Krise?
8. März 2013Während in den Ländern am Südrand der Eurozone die Krise zum Dauerzustand geworden ist, sieht es in Deutschland ganz anders aus: Der ehemalige Exportweltmeister glänzt immer noch mit einem Handelsbilanzüberschuss, seine Waren sind weltweit gefragt. Sein Wirtschaftswachstum weist höchstens einmal eine Delle auf und ist stabil, sein Arbeitsmarkt robust. Der Finanzminister freut sich über hohe Steuereinnahmen und ein ausgeglichener Haushalt ist endlich wieder in Sichtweite.
Des einen Leid, des andern Freud?
Das sei auch kein Wunder, hört man immer wieder. Zum Beispiel verbillige die Euroschwäche die deutschen Exporte und die mangelhafte Bonität vieler anderer Euroländer habe einen Run auf deutsche Anleihen ausgelöst. Das führte im vergangenen Jahr beispielsweise dazu, dass deutsche Papiere mit negativen Zinsen ausgegeben werden konnten. Investoren zahlten dann sogar dafür, dass sie Deutschland ihr Geld leihen durften.
Und das Beste, so die Verfechter der Krisengewinnler-Theorie, käme erst noch: Sollte die Krise überwunden sein und sich die Pleitekandidaten am Südrand Europas erholen, könnten sie ja die Kredite zurückzahlen, die ihnen Brüssel in der Not gewährt hatte. Deutschland, als größter Geldgeber von EZB, EFSF und ESM, könnte sich dann jedes Jahr auf zusätzliche Einnahmen in Milliardenhöhe freuen.
Der Finanzminister kann sich freuen
Muss Deutschland deshalb als Krisengewinnler in Europa gelten? "Teilweise ja, teilweise nein", sagt Heike Joebges, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. Es stimme allerdings schon, dass Deutschland "im Vergleich zu anderen Ländern als sicherer Hafen gilt und deswegen deutsche Staatsanleihen gern gekauft werden. Dadurch sind die Renditen sehr stark zurückgegangen." In dieser Hinsicht profitiere Berlins Finanzminister von der Eurokrise. Joebges rechnet im Gespräch mit der DW vor, dass wir "nur noch ein Drittel dessen zahlen, was wir vor der Krise zahlen mussten."
Der Tübinger Wirtschaftsprofessor Joachim Starbatty sieht das ganz anders: Für ihn ist der Run auf deutsche Staatsanleihen die Folge von Kapitalflucht aus den Krisenländern. Der scheinbare wirtschaftliche Vorteil, den Deutschland durch diese Kapitalflucht hat, würde schnell wieder verpuffen. Denn bei dieser Kapitalflucht, so Starbatty zur DW, " müssen wir auf andere Art und Weise das Geld zurückgeben, beispielsweise in Form von Rettungsschirmen."
Starbatty hält die Frage, ob Deutschland von der Krise profitiert, generell für "eine falsche Perspektive". Er sieht das Problem grundsätzlicher: "Die haben über ihre Verhältnisse gelebt und das schlägt jetzt auf sie zurück. Die Banken sind überschuldet, die Unternehmen sind überschuldet. Die Leute haben zu viel Geld ausgegeben, die Staaten haben zu viel Geld ausgegeben. Und jetzt müssen sie das zurückholen."
Es wird besser, weil es besser werden muss
Die Berliner Ökonomin Joebges weist daraufhin, dass Deutschlands größter Gewinn die Überwindung der Krise sein wird: "Wenn die Länder die Rettungshilfen zurückzahlen, machen wir am Ende einen großen Gewinn." Bei diesem Argument muss der Euro-Kritiker Starbatty hörbar nach Luft schnappen. "Das ist wie das Hoffen auf den Sankt Nimmerleinstag." Dass sich die europäischen Pleitekadidaten in absehbarer Zeit erholen, erwartet er nicht.
Heike Joebges ist nicht so pessimistisch. Die Krise werde überwunden, weil sie überwunden werden muss – wenigstens aus deutscher Sicht: "Die größten Kritiker sollten sich immer vor Augen halten, dass Deutschland als Gläubigerland sehr daran gelegen ist, dass die Krise überwunden wird." Und sollte die Stabilisierung der Krisenländer gelingen, "dann winkt da eine ganze Reihe von zusätzlichen Einnahmen".
Aufwertung: Fluch und Segen
Heike Joebges nennt noch einen weiteren Grund, warum Deutschland so gut durch die Krise kommt: Die Schwäche der von der Pleite bedrohten Euro-Südländer habe dazu geführt, dass die Gemeinschaftswährung relativ schwach ist. Der Euro hat in der jüngeren Vergangenheit sogar etwas an Wert gegenüber dem Dollar verloren. Das, so Joebges, spiele der Exportnation Deutschland in die Karten. Wäre der Euro stärker bewertet, würde das die Exporte verteuern und die davon abhängige deutsche Wirtschaft schwer belasten.
Und ohne den Euro, sagt die Ökonomin von der Berliner HTW, würden die Deutschen sogar schwer unter der Krise in Europa leiden, denn "hätte Deutschland noch die D-Mark, würde sie sehr stark aufwerten und wir würden dann nur noch schlecht exportieren können."
Für Joachim Starbatty ist das kein stichhaltiges Argument: "Deutschland war immer Aufwertungsland. Der Dollar war einmal DM 4,20 wert und 1995 war er nur noch DM 1,35 wert." Aufwertung sei nichts grundsätzlich Verwerfliches, denn "jede Aufwertung erhöht die Kaufkraft der inländischen Konsumenten, der inländischen Arbeitskräfte." Das wiederum würde die Wirtschaft in Deutschland ankurbeln, eine Aufwertung könnte eher Segen als Fluch sein.
Das Leiden unter einem Geburtsfehler
Für den Tübinger Wirtschaftsprofessor Starbatty ist die Frage der Währungsstabilität ein entscheidendes Kriterium. Die D-Mark sei während ihres Bestehens immer wieder aufgewertet worden, und das habe der Wirtschaft gut getan. Das gelte aber nicht für alle 17 Länder, in denen der Euro jetzt wie in Deutschland die Landeswährung ist. Für Starbatty ist der kardinale Geburtsfehler der Gemeinschaftswährung, "dass wir innerhalb der Währungsunion zwei Gruppen haben: Die einen sind aufwertungsverdächtig, die anderen sind abwertungsverdächtig. Und so lange man diejenigen, die abwertungsverdächtig sind, im Euro hält, werden die nie auf einen grünen Zweig kommen. Das ist das Problem!" Und deshalb könne man auch nicht davon reden, dass Deutschland von der Krise in Europa profitiert.
Und die deutschen Arbeitnehmer schon gleich gar nicht, meint Starbatty. Deutschland habe zehn Jahre lang de facto abgewertet, ist er überzeugt – durch übermäßigen Lohnverzicht. So seien die Einkommen "nicht gestiegen, sondern teilweise sogar gesunken. Und die Gehälter der DAX-Vorstände? Die sind seit 2000 um 170 Prozent gestiegen! Hier ist die Aufwertung angekommen, und nicht bei der Bevölkerung."