Deutschland in der Demografie-Falle
29. Mai 2015Die weltweit niedrigste Geburtenrate wird nach einer Studie zum ernsthafen Standortproblem für Deutschland. Hier werden nicht länger nur europaweit, sondern nun auch weltweit die wenigsten Kinder geboren, heißt es in der Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO und des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI).
Danach wurden in den vergangenen fünf Jahren im Durchschnitt 8,3 Kinder je 1000 Einwohner geboren. Das liegt unter dem Niveau des bisherigen Schlusslichts Japan von 8,4 Kindern je 1000 Einwohner. Unter den EU-Ländern schneiden nur Portugal (8,9) und Italien (9,2) ähnlich schlecht ab.
Die anderen großen EU-Länder haben dagegen deutlich höhere Geburtenraten; Frankreich und Großbritannien kommen im gleichen Zeitraum auf durchschnittlich 12,7 Geburten je 1000 Einwohner. Die höchsten Geburtenraten weisen die afrikanischen Länder auf, allen voran der Niger mit 50 Geburten je 1000 Einwohner.
Folgen für die Wirtschaft
Aus der Entwicklung hierzulande ergeben sich nach Ansicht von HWWI-Direktor Henning Vöpel erhebliche Nachteile und Konsequenzen für die Attraktivität und Leistungsfähigkeit Deutschlands als Wirtschaftsstandort. Die Altersgruppe der Erwerbsfähigen von 20 bis 65 Jahren werde von aktuell 61 Prozent bis 2030 auf 54 Prozent schrumpfen. "In keinem anderen Industrieland verschlechtert sich dieser Trend trotz des Zustroms an jungen Arbeitsimmigranten so stark wie in Deutschland", sagt Vöpel.
Als unmittelbare Folge drohten in Deutschland höhere Lohnnebenkosten, mittelbar ein Mangel an Fachkräften. "Ohne starke Arbeitsmärkte als zentralen Standortfaktor kann Deutschland seinen wirtschaftlichen Vorsprung auf Dauer nicht aufrechterhalten", sagt BDO-Vorstand Arno Probst. "Die Zuwanderung junger Fachkräfte erscheint vor diesem Hintergrund als unverzichtbares Stabilisierungsinstrument." Auch die Erwerbsarbeit der Frauen müsse verstärkt gefördert werden, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu sichern.
Die Diskussion um mögliche Anpassungsstrategien verengt sich nach Ansicht von HWWI-Direktor Henning Vöpel zu sehr auf die Fragen des Fachkräftemangels und der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme. Die Effekte des demografischen Wandels reichten jedoch viel weiter, so Vöpel. "Ältere Gesellschaften haben einen kürzeren Planungshorizont und vermeiden größere Risiken. Besitzstandwahrung verdrängt den Mut zu Neuem. Investitionen in neue Technologien gehen zurück, die Innovationsfähigkeit vermindert sich und technischer Fortschritt verbreitet sich langsamer. Dadurch wiederum verringert sich das Produktivitätswachstum."
Wen/iw (dpa,HWWI)