Deutschland geht der Fisch aus
8. April 2014Mehr als 15 Kilogramm Fisch isst jeder Deutsche pro Jahr. Das ist viermal so viel, wie deutsche Fischer in EU-Gewässern fischen dürfen. Am 6. April 2014 war in Deutschland "Fish Dependence Day". Der Begriff ist an den US-amerikanischen Unabhängigkeitstag angelehnt und heißt so viel wie "Fisch-Abhängigkeits-Tag". Er ist ein Indikator dafür, wie gut der heimische Bedarf an Fisch aus eigenen Gewässern gedeckt werden kann. Rechnerisch ist die Bundesrepublik vom 6. April an vollständig auf den Import von Fisch und Meeresfrüchten angewiesen.
Der Abhängigkeitstag wird von der britischen New Economics Foundation für jedes Land der Europäischen Union jährlich neu berechnet. In Italien wird der "Fish Dependence Day" in diesem Jahr am 13. April sein, in Portugal, wo jeder Bürger 61 Kilogramm Fisch pro Jahr verzehrt, am 1. Mai. Im Durchschnitt aller EU-Länder ist es der 11. Juli: Denn beinahe die Hälfte der in der EU konsumierten Menge an Fisch stammt aus außereuropäischen Gewässern.
Jahrzehntelanger Raubbau
Zu verschulden haben das allein die Europäer. "Tatsächlich sind viele der europäischen Fischbestände durch jahrzehntelange Überfischung in einem schlechten Zustand und können keine optimale Produktivität erbringen", sagt Nina Wolff von der Nichtregierungsorganisation Ocean2012. "Den Fish Dependence Day kann man insofern als einen erhobenen Zeigefinger sehen oder auch als einen ernsten Hinweis, verbunden mit dem Appell an die Bundesregierung, für die zügige Wiederherstellung unserer Fischbestände zu sorgen." Doch dafür müssten sich diese Bestände viel weiter erholen können, als dies bis jetzt der Fall gewesen sei.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace und die Umweltstiftung WWF empfehlen in ihren jüngsten Einkaufsratgebern den Verbrauchern daher, auf Aal, Makrele, Rotbarsch, Seeteufel, Wolfsbarsch und Nordseekabeljau auf dem Speiseplan zu verzichten. Mit Blick darauf, dass weltweit 30 Prozent der Meere als überfischt gelten, erteilt der WWF bei insgesamt 101 überwiegend importierten Arten die Empfehlung, sie lieber nicht zu kaufen. Nordseehering und in der Ostsee gefangene Sprotten und Dorsche seien im Gegenzug eine gute Wahl, ebenso Karpfen oder Wels aus europäischer Zucht.
EU-Fischerei soll nachhaltig werden
Ziel soll es sein, den Fish Dependence Day in Richtung Jahresende zu verschieben. "Würden wir alle 150 Artbestände im Nordostatlantik nachhaltig bewirtschaften, würde das Datum auf den 4. Oktober rutschen", rechnet Ursula Hudson von Slow Food Deutschland vor. Die Organisation fordert gemeinsam mit Ocean2012 und dem Entwicklungsdienst Brot für die Welt von der Bundesregierung, die reformierte Gemeinsame Fischereipolitik der EU (GFP), die seit Januar 2014 in Kraft ist, zügig umzusetzen.
Das sei durchaus in ihrem Sinne, meint die Parlamentarische Staatssekretärin im Landwirtschaftsministerium, Ursula Flachsbarth. Deutschland sei eine der treibenden Kräfte hinter dem Gesetz gewesen. "Über unserer neuen Politik steht jetzt das Nachhaltigkeitsprinzip und damit auch das Prinzip des maximalen Dauerertrags." Das heiße, man fische nur in dem Rahmen, in dem die Bestände nachwachsen und sich damit auch erholen könnten. Bis 2020 sollen alle Bestände in EU-Gewässern nach diesem Prinzip bewirtschaftet werden.
Eine kleine Revolution
In dem neuen Fischereigesetz wurde ein Rückwurfverbot beschlossen und der Beifang soll begrenzt werden. EU-Fischer müssen sich auch außerhalb der heimischen Gewässer an die neuen Regeln halten, selbst wenn sie vor Afrika fischen. Dort fehlt der Fisch, der in den Norden verkauft wird, den Menschen als wichtige Eiweißquelle. "Die EU muss ihre eigene Fangkapazität auf den Weltmeeren drastisch reduzieren", fordert Francisco Mari von Brot für die Welt. "Fischereiabkommen mit Entwicklungsländern darf es nur bei wirklichen Überschüssen für wenige Arten geben und der Fisch sollte in den Ländern selbst verarbeitet werden, um Arbeitsplätze zu schaffen."
Für Mari ist die EU-Reform nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. "Die EU-Fischerei bleibt eine Bedrohung der Meere in den südlichen Ländern". Mari verweist dabei in erster Linie auf Spanien mit der größten extern operierenden Fangflotte der EU. "Die Bedingungen, unter denen die Trawler fischen, sind nicht kontrollierbar." Dazu komme die Möglichkeit, die Flotten auszuflaggen. "Dieses Schlupfloch ist zu groß und fast schon eine Aufforderung an EU-Schiffseigner." Inzwischen seien sogar Schiffe unter der Flagge der Mongolei unterwegs, einem Staat, der gar keine eigene See habe.
Größte Probleme vor Afrika
Auf dem Weg der ausgeflaggten Flotten würden nach wie vor 90 Prozent der vor Namibia gefangenen Fische nach Europa importiert. Auch diesem afrikanischen Land bleibe nur der Beifang. "Da existieren keine Abkommen, das sind nur Privatlizenzen, die nicht kontrolliert werden." Das sei nicht nachhaltig. "Nicht nur alle Schiffe, die unter europäischer Flagge fischen, müssen sich an die Fischereireform halten, sondern alles, was unter Beteiligung von europäischem Kapital unterwegs ist, muss sich der Reform unterwerfen", fordert Mari.
Richtig findet der Experte von Brot für die Welt die jüngste Entscheidung des EU-Fischereirats, der Guinea zusammen mit Belize und Kambodscha auf eine rote Liste gesetzt hat, weil sie Regeln gegen die illegale und unregulierte Fischerei nicht einhalten. Kein EU-Mitgliedsstaat darf Fischprodukte aus diesen Ländern importieren und EU-Schiffe dürfen in den Gewässern dieser Staaten nicht mehr fischen.
Mit der entsprechenden kriminellen Energie findet allerdings auch der Fisch aus diesen Ländern seinen Weg nach Europa. Vor Guinea beispielsweise werde seit Jahren überwiegend von chinesischen und koreanischen Trawlern gefangener Fisch auf hoher See auf europäische Schiffe transportiert, indem die Boote Seite an Seite gehen. "Man kann nicht nachhaltig Fisch auf unseren Märkten haben, wenn man nicht dafür sorgt, dass die Länder im Süden in die Lage versetzt sind, ihre Meere zu kontrollieren. Selbst wenn man ab und zu solchen Ländern mal ein Überwachungsboot schenkt, dann haben sie trotzdem kein Geld für das Benzin, um damit herauszufahren", so Francisco Mari.