Deutschland - ein Eldorado für Menschenhandel?
5. April 2013Es ist meist Deutschland, das auf die Einhaltung von Rechtsvereinbarungen pocht. Doch es scheint so, als ob sich der Musterschüler selbst nicht immer an die Regeln halten würde - wie etwa beim Kampf gegen den Menschenhandel. UNICEF und die Kinderorganisation ECPAT kritisieren die schleppende und unzureichende Umsetzung der EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels.
Die vor zwei Jahren in Kraft getretene Richtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, dass sie Menschenhändler wirksamer verfolgen und härter bestrafen - und die Opfer besser schützen. Die Frist zur Übertragung der Richtlinie in nationales Recht ist am 5. April 2013 abgelaufen. Deutschland hat sie aber verstreichen lassen.
Kritik an deutschen Behörden
Gestritten wird momentan in Deutschland über die Umsetzung der EU-Richtlinie. "Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums sieht eine Eins-zu-Eins-Umsetzung der Richtlinie vor", sagt ein Ministeriumssprecher. Doch genau daran glaubt der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion Hans-Peter Uhl nicht: "Das FDP-geführte Bundesjustizministerium plant lediglich die Erweiterung bestehender Straftatbestände auf die Fälle des Menschenhandels zum Zweck der Bettelei, der Ausnutzung strafbarer Handlungen - zum Beispiel Taschendiebstähle, und des Organhandels." Für den Abgeordneten geht dies nicht weit genug, denn eine notwendige Verschärfung des Strafrechts im Falle von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sei nicht vorgesehen.
Auch Nichtregierungsorganisationen bemängeln die unzureichende Härte der Strafmaßnahmen: "Wenn jemand eine Minderjährige zum Beispiel aus Rumänien nach Deutschland bringt und sie zur Prostitution zwingt, dann erfüllt das die Straftat des sexuellen Missbrauchs und der Ausbeutung und nicht des Menschenhandels. Das zweite wird nach deutschem Recht härter bestraft", sagt Rudi Tarneden, Sprecher von UNICEF Deutschland.
Dass ein Menschenhändler wegen Zwangsprostitution verurteilt werde, sei in Deutschland schwierig bis unmöglich, sagt Uhl. Grund dafür ist, dass nach geltendem Recht die Beweislast beim Opfer liegt. Oft verweigern die Betroffenen allerdings die Aussage - aus Angst. "Und wenn das Opfer im letzten Augenblick eine Aussage gemacht hat, zieht es sie meistens zurück, weil es erpresst wird", sagt Uhl.
Wie Opfer diffamiert werden
Nach Schätzungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bringen Menschenhändler jedes Jahr allein zwischen 120.000 und 500.000 Frauen von Mittel- und Osteuropa nach Westeuropa und zwingen sie zur Prostitution. Viele von ihnen sind noch minderjährig.
Kinder stehen unter besonderem Schutz: Sie "sind schutzbedürftiger als Erwachsene und daher stärker gefährdet, Opfer von Menschenhandel zu werden", heißt es in der EU-Richtlinie. Doch gerade in Deutschland erfährt diese Gruppe von Opfern wenig Unterstützung. "Es handelt sich um Jugendliche, die nach Deutschland gebracht und zur Prostitution und anderen Sachen gezwungen werden. Wenn sie aufgegriffen werden, dann steht nicht im Vordergrund, dass sie Opfer einer Straftat sind, sondern dass sie selbst eine Straftat begangen haben, nämlich sich illegal in einem Land aufhalten", sagt Tarneden von UNICEF.
Möglicher Grund für Verzögerung der Umsetzung
Wieso Deutschland die Umsetzung der EU-Richtlinie verschleppt, darüber könne man derzeit nur spekulieren, sagt Tarneden. "Es ist bekannt, dass in Deutschland das Ausländerrecht sehr hart und restriktiv auszulegen ist. Und möglicherweise gibt es seitens der Bundesregierung Befürchtungen, dass das Ausländerrecht aufgeweicht wird zugunsten des Schutzgedankens im Sinne der Opfer", sagt Tarneden. Das sehe UNICEF kritisch. Die Organisation vertrete die Meinung, dass eine an Menschenrechten orientierte Politik den Schutzgedanken stärken müsse.
Wie geht es weiter?
An eine rasche Umsetzung der EU-Richtlinie in Deutschland glaubt der Abgeordnete Hans-Peter Uhl nicht: "Wir werden das Thema auf den Zeitpunkt nach der Bundestagswahl im September verschieben müssen", sagt er. Deutschland könnte wegen nicht fristgerechter Umsetzung der EU-Richtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt werden. Doch das sei der Bundesjustizministerin egal, glaubt Uhl. Denn auch im Zusammenhang mit der EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung habe sie eine Klage der EU-Kommission in Kauf genommen.