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Deutschland 09

Silke Bartlick 14. Februar 2009

Die Top-Riege deutscher Regisseure präsentiert einen gemeinsamen Epidsodenfilm. Diskussionen will man anstoßen, zum Nachdenken anregen. Silke Bartlick über 140 Minuten Heimatland.

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Filmszene aus Deutschland09 (Foto: Berlinale)
Deutschland 2009 : Es gibt nicht viel zu lachenBild: Berlinale
Um 8'48 Uhr fliegt Joshua, der kleine Sohn des Regisseurs Dani Levy, hoch und höher in den Himmel über Berlin und landet schließlich und recht überraschend unvermittelt in einem Sitzungssaal auf dem Schoß von Kanzlerin Angela Merkel. Um 8'48 Uhr ist der Berlinale Palast am Potsdamer Platz schon ziemlich gut gefüllt, aber immer noch tasten Journalisten nach freien Plätzen, stolpern über Taschen - 'Excuse me' - und schälen sich aus dicken Jacken, Schals und Mützen.

Pflanzliches Fröhlichkeitsmedikament

Die einen sind zu spät aus dem Bett gekommen - was verzeihlich ist am neunten Tag dieses Kinomarathons - die anderen haben schlicht übersehen, dass es ausnahmsweise und zur Abwechslung mal besonders früh losging mit der ersten Pressevorführung, um halb neun nämlich. Was wohl damit zu tun hat, dass die 13 kurzen Filme zur Lage der Nation, die als Ganzes 'Deutschland 09' ergeben, zusammen 140 Minuten lang sind und alle beteiligten Regisseure und Regisseurinnen bei der anschließenden Pressekonferenz noch was sagen sollen. Was dauert, weil es ja immerhin 13 sind.

Bevor Joshua, der kleine Sohn von Dani Levy, durch die Luft geflogen ist, hatte sein Vater, der Regisseur, als einer der Hauptdarsteller seines Films, schlechte Laune. Denn all die Leute, die er auf der Straße gefragt hat, was ihnen so zu Deutschland einfällt, haben gemault und genörgelt. Levy, im Zweifel, ob das alles nur Einbildung sei, hat daraufhin seinen Psychiater zu Rate gezogen, der ein rein pflanzliches Fröhlichkeitsmedikament verschrieb, woraufhin Levy seinen Sohn in die Luft wirbelte, schnell und immer schneller, und der, hoch und immer höher, in den Himmel und dann direkt auf den Schoß der Kanzlerin flog.

Offene Wunden

Da war dann aber auch Schluss mit lustig. Nicht nur, weil die Sicherheitsbeamten höchst alarmiert einschreiten mussten, sondern auch, weil die Wirkung des Wundermittels bei Papa Dani nachließ, der Ton rauer und das Lächeln in den Gesichtern der Menschen immer schmallippiger wurden.

Filmszene Deutschland09
Was ist denn die Wahrheit?Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Im Deutschland des Jahres 2009, das zeichnete sich nun bereits ab, gibt es nicht viel zu lachen. Ein Eindruck, der sich in den folgenden mehr als 100 Minuten bestätigen sollte. Denn das selbstverordnete 'Nachdenken über Deutschland' der Regisseure Fatih Akin, Wolfgang Becker, Sylke Enders, Dominik Graf, Romuald Karmarkar, Nicolette Krebitz, Angela Schanalec, Hans Steinbichler, Isabelle Stever, Christoph Hochhäusler, Tom Tykwer und Hans Weingartner hat eine ganze Kette bedenklicher Verwerfungen und schwelender wie offener Wunden zutage befördert: das marode Gesundheitssystem, Kinderarmut, Wohnungsleerstand und -abriss, perverse Sexgeschäfte, Anti-Terrorkampf, staatliche Willkür, die Mühen der Demokratieerziehung in einer multikulturellen Gesellschaft, Kulturverfall und entseelte Mobilität.

Düstergrau und unverzeihlich

Überspitzt ironisch, als Dokumentation oder surreal, als fiktiver Spielfilm oder nachgestellte wahre Begebenheit reiht sich hier eine düstergraue Episode an die nächste. Ob der Film auch im Ausland zu sehen sein wird, will ein türkischer Journalist während der Pressekonferenz wissen. Dort habe man schließlich ein viel positiveres Bild von Deutschland. Der Film könne manches zurechtrücken.

Regisseur Fatih Akin (Foto: dpa)
Fatih Akin - Einer von 13 RegisseurenBild: picture alliance/dpa

Und ob er nicht Angst habe, belangt zu werden, fragt ein iranischer Kollege den Regisseur Fatih Akin. Weil der doch eines der wenigen Interviews nachgestellt hat, das der aus Bremen stammende ehemalige Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz nach seiner Freilassung gegeben hat. Und weil Kurnaz in diesem Interview sagt, dass er dem Kanzlerkandidaten der SPD, Frank-Walter Steinmeier, nie verzeihen wird, dass der ihm damals nicht geholfen hat. Obwohl Steinmeier, seinerzeit Kanzleramtsminister, gewusst haben muss, dass in Guantanamo gefoltert wurde. "Nein", antwortet Akin. Es gäbe nichts, wovor er Angst haben müsste. Er möchte bloß, dass Kurnaz und sein Fall, der zum grotesken Schauspiel deutscher Politik und internationaler Diplomatie wurde, nicht vergessen werden.

Kaffee, Brötchen und herzhaft Lachen

Regisseur Tom Tykwer (Foto: AP)
Tom Tykwer - Noch einer von 13 RegisseurenBild: AP

"Der Film Deutschland 09 soll Diskussionen auslösen", sagt Tom Tykwer dann noch. Nachdenklich stimmt er in jedem Fall. Und draußen, unter dem hohen Berliner Himmel, durch den nur ein paar verschreckte Vögel fliegen, nehmen all die Bilder Kontur an, die ihren Weg nicht auf die Leinwand gefunden haben. Bilder von Neo-Nazis, sterbenden Betrieben, von den Schlangen vor den Agenturen für Arbeit, von Ostdeutschland im Jahre 20 der deutschen Einheit. Ein Kaffee, ein schnelles Brötchen, und dann darf zur Abwechslung mal herzhaft gelacht werden. Im Berlinale Palast läuft außer Konkurrenz "The Pink Panther 2" mit dem Starkomiker Steve Martin als tollpatschigem Ermittler.