Deutscher Pass nur beim Ja zu Israel?
8. Dezember 2023Sachsen-Anhalt prescht vor: Wer in dem deutschen Bundesland künftig einen Antrag auf Einbürgerung stellt, muss sich zum Existenzrecht Israels bekennen. Das sieht ein Erlass vor, den die Innenministerin des Bundeslandes, Tamara Zieschang, jetzt vorstellte. In einem Schreiben, das die CDU-Politikerin an die zuständigen Behörden schickte, heißt es: "Die Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit erfordert das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels."
Bei Einbürgerung auf antisemitische Einstellungen achten
Die Bewerberinnen und Bewerber hätten deshalb unmittelbar vor der Einbürgerung schriftlich zu bestätigen, "dass sie das Existenzrecht Israels anerkennen und jegliche gegen die Existenz des Staates Israel gerichteten Bestrebungen verurteilen". Auch müsse bei der Einbürgerung darauf geachtet werden, "ob es Hinweise darauf gibt, dass antisemitische Einstellungen vorhanden sind".
Einbürgerung ist Bundessache, die Länder setzen um
Das Staatsangehörigkeitsrecht ist in Deutschland zwar Sache des Bundes, die Ausführung aber die der Länder. Sachsen-Anhalt forderte die anderen Bundesländer auf, dem Beispiel zu folgen. Schon jetzt wird von Bewerberinnen und Bewerbern um die deutsche Staatsbürgerschaft neben vielen formalen Voraussetzungen auch ein Bekenntnis zur freiheitlichen, demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes gefordert. Genau hier setzt die Innenministerin an, wie sie im Gespräch mit der DW sagte: "Im Grundgesetz ist der Schutz der Menschenwürde verankert und die Religionsfreiheit. Und beides schließt aus: Hass auf Juden. Und beides schließt auch antisemitische Einstellungen aus."
Regierungsparteien fürchten unnötige Polarisierung
Auch im Entwurf des neuen Staatsbürgerschaftsrechts für ganz Deutschland, den der Bundestag in Berlin gerade debattiert, heißt es: "Antisemitisch, rassistisch oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen sind mit der Menschenwürde-Garantie des Grundgesetzes...unvereinbar." Nach Ansicht vieler Politiker von SPD, Grünen und FDP reicht das aus, ein gesondertes Bekenntnis zur Existenz Israels sei nicht nötig. Der SPD-Innenpolitiker Helge Lindh wandte jetzt ein, dass sich mit einer Unterschrift allein anti-israelischer Hass nicht wegräumen lasse. Andere Politiker der Regierungskoalition von SPD, Grünen und FDP in Berlin drückten ihre Sorge aus, der Erlass aus Sachsen-Anhalt polarisiere unnötig in einer ohnehin sehr angespannten Situation.
Auch Merz für Israel-Bekenntnis von Zuwanderern
Schon Wochen zuvor hatte der Bundesvorsitzende der konservativen CDU, Friedrich Merz, einen ähnlichen Vorschlag wie den seiner Parteifreundin in Sachsen-Anhalt gemacht. Ende Oktober sagte Merz im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF), zu den Voraussetzungen für eine Einbürgerung müsse eine feste Vereinbarung gehören, sich zur Sicherheit Israels zu bekennen. Wer das nicht unterschreibe, habe in Deutschland nichts zu suchen, unterstrich der CDU-Chef.
Zieschang: "Jüdisches Leben entfaltet sich"
Im Gespräch mit der DW begründete Ministerin Zieschang ihren aktuellen Schritt weniger mit dem Krieg im Nahen Osten oder mit dem in Deutschland zunehmenden Antisemitismus, als vielmehr mit dem jüdischen Leben in ihrem Bundesland. Sie sagte, im Oktober sei in der Stadt Dessau die neue Weill-Synagoge eröffnet worden, in diesen Tagen folge die neue Synagoge in Magdeburg. Ihr Erlass sei auch diesen aktuellen Ereignissen geschuldet: "Wir sehen: Jüdisches Leben bekommt immer mehr Raum für seine Entfaltung." Deutschland dürfe es nicht bei Lippenbekenntnissen belassen, dieses Leben zu schützen. Dass ihr Vorstoß viele Medien im Inland wie im europäischen Ausland irritiert habe, weil er als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit gesehen werde, weist sie zurück: "Das mag für andere europäische Länder so nicht gelten, für uns in Deutschland gilt es."
Israels Existenz als deutsche Staatsräson
Zieschang begründet ihren Schritt auch mit der deutschen Staatsräson, das Existenzrecht Israels anzuerkennen: Diese Staatsräson ist zwar keine Forderung des Grundgesetzes, wird aber von fast allen Politikern des Landes angenommen. Konkret tauchte der Begriff "Staatsräson" etwa in Aufsätzen des früheren deutschen Botschafters in Israel, Rudolf Dreßler, auf. Der SPD-Politiker war von 2000 bis 2005 im Amt. Er schrieb etwa: "Die gesicherte Existenz Israels liegt im nationalen Interesse Deutschlands, ist somit Teil unserer Staatsräson." 2008 nahm die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das in ihrer Rede vor der Knesset, dem israelischen Parlament, auf, sprach aber davon, Israels "Sicherheit" sei Teil der deutschen Staatsräson. Und sie fügte hinzu, dass das eigentlich schon lange eine Selbstverständlichkeit sei: "Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet."
Von Adenauer bis Scholz: Deutschland an Israels Seite
Tatsächlich lag bereits für den ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) wenige Jahre nach Ende der NS-Zeit das Existenzrecht Israels im nationalen Interesse: als Folge der deutschen Verantwortung für den Holocaust und Ausdruck der Wiedergutmachung. Deutschland half dem Land etwa durch Rüstungskooperation, was jedoch keine militärische Beistandsverpflichtung bedeutete. Was konkret Staatsräson im Einzelfall bedeutet, ist also durchaus Gegenstand auch aktueller Politik. Bundeskanzler Olaf Scholz griff nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober dieses Jahres die Aussage Merkels auf und sagte: "Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson."
Vielschichtiges Bild in der Bevölkerung
Die deutsche Politik steht also fest an der Seite Israels, in der Bevölkerung aber ist das Bild vielschichtiger: Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach von Ende November ergab, dass nur 34 Prozent der Bundesbürger eine besondere historische Verantwortung Deutschlands für Israel sehen. 35 Prozent sahen es in der Umfrage als Recht Israels, in den Gazastreifen einzumarschieren und hart gegen die Hamas vorzugehen, die von etlichen Ländern, auch von Deutschland, als Terrororganisation eingestuft wird. 38 Prozent votierten dagegen für ein zurückhaltendes Vorgehen.