Sommermärchen und Alltag
16. November 2006Dresden im Herbst 2006: Ein Hubschrauber kreist über der Stadt, ganze Straßenzüge sind gesperrt, hunderte Polizeiwagen in Bereitschaft. Nicht für einen Staatsbesuch hatte sich die sächsische Landeshauptstadt gerüstet, sondern für ein Fußballspiel in der Regionalliga: Dynamo Dresden gegen Union Berlin.
Der große Knall blieb angesichts der geballten staatlichen Präsenz aus. Doch Bilder von Gewalt in und um Fußballstadien haben sich in den vergangenen Wochen trotzdem in das öffentliche Bewusstsein gebrannt. Deshalb hat auch die Innenministerkonferenz das Thema auf die Agenda ihrer Herbst-Sitzung (16.-17.11.) gehoben. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ingo Wolf (FDP) forderte verschärfte Sicherheitstandards auch bei den Spielen der Amateurligen. Denn vor allem die bereiten Fußballfunktionären derzeit Sorgen.
Willkommen in der Realität
Im Fußball-Kreis Siegen-Wittgenstein etwa wurde ein kompletter Spieltag abgesagt - weil die Sicherheit der Schiedsrichter nicht gewährleistet werden konnte. "Dass es wirklich mehr Gewalt als früher gibt, können wir jedoch nicht feststellen", sagt Frank Scheulen von der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei in Düsseldorf. Allerdings habe sich die Wahrnehmung geändert: "Nach der friedlichen Weltmeisterschaft haben Träumer wohl gehofft, dass Fußball jetzt immer so bleibt." Das Sommermärchen WM - es ist nicht in Einklang zu bringen mit der Realität der unteren Ligen. Die ZIS schätzt, dass es bundesweit 10.500 gewaltbereite Fussballfans gibt.
Nach Ansicht von Christian Kabs sind das größte Problem diejenigen, die "situativ gewalttätig werden", wenn sie sich provoziert fühlen. Kabs arbeitet beim Dresdner Fanprojekt. Fanprojekte gibt es in ganz Deutschland, aber längst noch nicht überall, wo es einen Fußballverein gibt. Sie organisieren Fahrten zu Auswärtsspielen und Treffen mit Fans anderer Vereine und wollen so vor allem Jugendliche an ein friedliches Fan-Sein heranführen.
Die aktuelle Gewalt-Diskussion sehen viele Fanprojekte zwiespältig. Einerseits tut die erhöhte Aufmerksamkeit den chronisch unterfinanzierten Projekten gut. Andererseits fürchten einige, dass der Ruf nach mehr Repression auch kontraproduktiv sein kann.
Weniger kann mehr sein
Im Nachbarland Niederlande hat sich zum Beispiel gezeigt, dass weniger Polizeipräsenz in Stadien die Lage auch entspannen kann. "Die Polizisten sind in den vergangenen Jahren vielerorts durch vereinsinterne Wärter ersetzt worden", erklärt Edu Jansing von der Stiftung "Meer dan Voetbal" (Mehr als Fußball). Da diese einen besseren Draht zu den Fans hätten, sei die Atmosphäre weniger aufgeladen. Doch gleichzeitig haben man auch die Strafen für Krawallmacher verschärft, räumt Jansing ein. Gewalt sei in den Niederlanden vor allem ein Problem der höherklassigen Klubs wie Feyenoord Rotterdam oder Ajax Amsterdam. Die Lage habe sich aber in den vergangenen zehn Jahren enorm verbessert - auch durch eine verbesserte Stadion-Architektur und dadurch, dass mehr Frauen zu Spielen kommen, die einen "mildernden Einfluss" hätten.
Task Force gegen vielschichtiges Phänomen
Jansing glaubt, dass noch mehr Erfahrungsaustausch europaweit sinnvoll wäre. Viele Länder werden der Gewalt in ihren Stadien nicht Herr - beispielsweise haben die osteuropäischen Hooligans einen schlechten Ruf. Beim Europäischen Fußballverband UEFA heißt es dazu, das Thema sei gewiss belangreich, jedoch Sache der nationalen Verbände. "Die UEFA mischt sich da nicht ein", so ein Sprecher.
Der Deutsche Fußballbund und die Deutsche Fußball Liga haben als Reaktion auf die Gewalt schon eine so genannte Task Force gegründet. Bei einem ersten Treffen Ende des Monats wird auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte vertreten sein. Was für konkrete Maßnahmen dann diskutiert werden, ist noch unklar, doch die Beteiligten sind sich einig, dass sie vielschichtig sein müssen. "Denn die Gewalt", so DFB-Präsident Theo Zwanziger kürzlich, "ist letztlich das Resultat gesellschaftlicher Fehlentwicklungen."