Adel in Deutschland
25. August 2011Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 hat den deutschen Hoheiten sämtliche Sonderrechte abgesprochen: Alle Bürger Deutschlands wurden von nun an vor dem Gesetz gleich behandelt. Alle hatten von nun an die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und auch Pflichten. Dazu zählte, dass auch der Adel plötzlich Steuern zahlen musste. Was den Herrschaften blieb, waren natürlich ihre Besitztümer und ihre Adelstitel, die sie weiterhin im Namen führen durften.
Die Liste der deutschen Adelsgeschlechter ist unendlich lang; zu den berühmtesten gehören die Habsburger, die Wittelsbacher, Hohenzollern oder Welfen. Bei vielen Familien lässt nur noch der Name auf die adlige Herkunft schließen, da sie ein ganz normales Leben führen. Sie leben in Mietwohnungen und gehen einem Beruf nach. Interessanter wird es natürlich, wenn wir hinter die Mauern der etwas größeren Anwesen blicken, in denen Menschen wie derer von Thurn & Taxis, zu Sayn-Wittgenstein oder auch von Preußen leben. Hier kommt Glamour ins Spiel: Ein Schloss. Ein Prinz, eine Prinzessin. Reichtum. Dinge, die vor allem bei Frauen ganz bestimmte Reize auslösen: Neugier und Sehnsucht.
Ein exquisiter Club
Bestes Beispiel sind adlige Hochzeiten. Dann schweben sie alle heran, die Damen in feinen Kleidern, mit besonderen Hutkreationen auf dem Kopf. Die Herren kommen gemessenen Schrittes in nobel aussehenden Anzügen, bestückt mit Orden und Familienwappen. Eine feine Gesellschaft – fern von jeglicher Realität – zumindest für uns "Normalbürger".
Auch wenn der Adel als Institution in Deutschland abgeschafft ist, als Gesellschaftsschicht besteht er fort, hat eigene Regeln und bleibt auch gerne unter sich. Schaut man sich die Stammbäume der Familien an, sieht man, dass Hochzeiten eher seltener mit sogenannten "Bürgerlichen" stattfinden. So ist zum Beispiel die Gattin unseres ehemaligen Wirtschafts- und Verteidigungsministers Carl Theodor zu Guttenberg nicht irgendeine Stephanie. Sondern eine Stephanie von Bismarck-Schönhausen. Die Guttenbergs haben es ja eine Zeit lang geschafft, dem politischen Parkett in Berlin ein wenig Glanz zu verleihen. Allerdings ist das durch die Sache mit der abgeschriebenen Doktorarbeit schnell zu Ende gewesen: Zu Guttenberg verlor seine Glaubwürdigkeit, seinen Titel, sein Amt und seinen guten Ruf. Die durchlauchte Familie ist nun auf dem Weg in die USA und beginnt dort ein neues Leben.
Ein Prinz ohne Manieren
Und damit sind wir bei dem Thema, das nicht nur die Leserinnen und Leser der einschlägigen Regenbogenpresse interessiert: Bei den Skandalen. Dort, wo wir sie am Schlafittchen kriegen, die feinen Herrschaften. Da gibt es zum Beispiel den Prinzen aus Hannover. Mit vollem Namen Ernst August Albert Paul Otto Rupprecht Oskar Berthold Friedrich-Ferdinand Christian-Ludwig Prinz von Hannover, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg. Er ist verheiratet mit Prinzessin Caroline von Monaco, also fest im europäischen Hochadel installiert. Trotzdem hat er kein standesgemäßes Benehmen.
Er prügelt auf Fotografen, Reporter und Kameramänner (und –frauen) ein. Er lässt sich bei der Weltausstellung Expo 2000 dabei erwischen, wie er gegen den türkischen Pavillon uriniert. In Frankreich wird er mit 211 km/h geblitzt – dort darf man höchstens 130 fahren. In Kenia hat er einen Hotelier grün und blau geschlagen. Immer wieder steht Ernst August vor Gericht und muss hohe Geldstrafen zahlen. Sogar Haftstrafen auf Bewährung hat der Prinz von Hannover auf seinem Register.
Partylöwe mit gekauftem Titel
Und dann ist da Prinz Frédéric von Anhalt. Ein Mann aus bürgerlicher Familie, der gegen Bezahlung von einer Prinzessin adoptiert wurde und damit Anrecht auf einen Adelstitel hat. Das ist übrigens kein seltener Vorgang, in Deutschland gibt es viele "falsche" Hoheiten. Einer der berühmtesten deutschen Titelhändler ist der selbsternannte Konsul Weyer. Seit Jahrzehnten ist er im internationalen Jet-Set zu Hause und vermittelt diplomatische, akademische und adelige Titel.
Zurück zu Prinz Frédéric: Bekannt wurde er durch die Hochzeit mit der Hollywood-Diva Zsa Zsa Gabor. Der Prinz schwebt durch die High Society als gehöre ihm die Welt, oft steckt in seinem breiten Grinsen eine dicke Zigarre. Er tritt in Fernseh-Reality-Soaps auf, benimmt sich auch gerne mal daneben. Was das echte Geschlecht derer von Anhalt sicherlich nicht entzückt ist die Tatsache, dass Frédéric in Sachen Adoption auch nicht untätig ist. So hat er bisher vier Herren aus dem halbseidenen Milieu zu Prinzen von Anhalt gemacht – im wirklichen Leben sind es Chefs von Nachtclubs, Sportstudios, Bordellen.
Handfeste Skandale sind weitestgehend die Angelegenheit männlicher Sprösslinge hochherrschaftlicher Familien. Aber eine Frau hat es dennoch über Jahre geschafft, die Schlagzeilen der Boulevardpresse zu beherrschen.
Die Trash-Fürstin
Gloria von Thurn und Taxis ist eine schillernde Persönlichkeit. Vor allem in den 1980er Jahren wirbelte sie die hochwohlgeborenen Kreise durcheinander. Sie war der Punk unter den Adligen. Kein Outfit war ihr zu schrill. Sie hatte die wüstesten Frisuren auf dem Kopf – ihre Auftritte waren immer wie ein Rausch.
Nach dem Tod ihres Gatten wurde sie allerdings ruhiger. Sie hatte viel damit zu tun, das Familienvermögen zu retten, was sie auch erfolgreich getan hat. Doch dann, 2001, sagte sie in einer Talkshow einen schicksalhaften Satz: "Afrika hat Probleme nicht wegen fehlender Verhütung. Da sterben die Leute an AIDS, weil sie zu viel schnackseln. Der Schwarze schnackselt gerne." (Was so viel heißt wie: Afrikaner haben offenbar öfter Sex als Menschen in anderen Kontinenten, und deswegen ist dort das AIDS-Problem so groß). Das geht natürlich überhaupt nicht, so darf auch eine Fürstin einfach nicht über das Elend der afrikanischen Bevölkerung sprechen. Punkt.
Adel für Artenschutz
Ruhig geht es dagegen im kleinen Städtchen Berleburg mitten im Rothaargebirge zu. Im dortigen romantischen Schlösschen wohnt die Fürstenfamilie zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Ein großer Teil des Schlosses aus dem 13. Jahrhundert wird als Schlossmuseum genutzt, in dem Jagdgeräte, Uniformen, Waffen, Gläser, Porzellane und Teile der fürstlichen Kunstsammlung gezeigt werden. Drumherum gibt es jede Menge Wald. Oft sieht man den schon etwas betagten Prinzen Richard in robuster Outdoorkleidung in seinen Geländewagen steigen. Dann schaut er im Wald nach dem Rechten.
Das Haus zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg hat 4300 Hektar seines Landes für ein Artenschutzprojekt zur Verfügung gestellt. In dem riesigen Gehege wohnt seit anderthalb Jahren eine Wisentherde. Die vom Aussterben bedrohten Urtiere fühlen sich dort sichtlich wohl und vermehren sich fröhlich.
Echte Noblesse in Bayern
Herzog Franz von Bayern ist der Chef des großen Geschlechts der Wittelsbacher und Nachfahre des letzten Bayernkönigs Ludwig III. Er ist seines Standes würdig. Keine Skandale. Er macht einen guten Job als Repräsentant des Fürstenhauses. Er ist kein dankbares Objekt für Klatschreporter, denn sein Leben als kinderloser Junggeselle ist viel zu ruhig. Er interessiert sich für Naturwissenschaften und vor allem für Kunst – er unterstützt jede Menge Vereine, Galerien, ist Mitglied verschiedener Kunstkuratorien und selbst ein begeisterter Sammler. Ein gebildeter, leiser Mann ohne Allüren. Wenn Deutschland einen König bräuchte, dann wäre es dieser Mann, schrieb "Zeit-Online" im April, als im Zuge der royalen Hochzeit des britischen Kronprinzen William mit Kate Middleton auch in Deutschland wieder ein bisschen Sehnsucht nach der Pracht des blaublütigen Daseins aufkam.
Braucht Deutschland seine Adligen?
Falsche Doktoren und Prügelprinzen braucht die Gesellschaft genau so wenig wie gewöhnliche Kriminelle aus bürgerlichen Kreisen. Schöne Prinzessinnen und hübsche Schlösser haben da schon mehr Wert: Sie sind nett anzusehen und für Damen (und Herren) mit einem Sinn für Romantik auch Balsam für die Seele. Grafen und Herzöge, die Geld und Land für gute Zwecke zur Verfügung stellen, sind immer willkommen. Der preußische Landadel beispielsweise restauriert und öffnet die fürstlichen Besitztümer und stellt sie den Brandenburgern als Bestandteil ihrer Kultur zur Verfügung.
Ob Deutschland jedoch wieder einen König oder gar einen Kaiser braucht, ist eine Frage, die heutzutage in Deutschland nicht mehr mit vollem Ernst gestellt werden kann.
Viele Deutsche haben übrigens irgendwo im Bekanntenkreis einen Menschen, der einen adligen Namen trägt. Und wenn dieser Mensch ein guter Freund ist, dann ist er wertvoller als die geballte Ansammlung feiner Herrschaften auf königlichen Hochzeiten.
Autorin: Silke Wünsch
Redaktion: Klaus Gehrke