Deutsche Wirtschaft auf dem Weg in die Rezession
30. Januar 2024Die deutsche Wirtschaft bewegt sich am Rande einer Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte von Oktober bis Dezember um 0,3 Prozent im Vergleich zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. In den vorangegangenen beiden Quartalen hatte es noch zu einer Stagnation gereicht. Im Gesamtjahr 2023 gab das Bruttoinlandsprodukt damit um 0,3 Prozent nach.
Europas größter Volkswirtschaft droht eine Rezession, sollte sie im laufenden ersten Quartal zum zweiten Mal in Folge schrumpfen. Von Januar bis März dürfte die Wirtschaftsleistung nach Prognose des Ifo-Instituts um 0,2 Prozent sinken. "Damit würde die deutsche Wirtschaft in der Rezession stecken", sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.
In nahezu allen Wirtschaftsbereichen klagten die Unternehmen über eine sinkende Nachfrage, während die dicken Auftragspolster aus der Corona-Zeit abgeschmolzen seien und die hohen Zinsen bremsten. "Zusätzlich wird die Wirtschaft durch eine Reihe von Sonderfaktoren belastet", sagte Wollmershäuser. Dazu zählten der hohe Krankenstand, die Streiks bei der Deutschen Bahn sowie der außergewöhnlich kalte und schneereiche Januar.
Der Ifo-Geschäftsklimaindex signalisierte zum Jahresstart eine beschleunigte Talfahrt: Das Barometer rutschte auf den schlechtesten Wert seit Mai 2020.
Zu viel Sand im Getriebe
Auch viele andere Ökonomen gehen von einem schwachen Start ins laufende Jahr aus. "Da sind die Sparmaßnahmen der Regierung, aber auch anhaltende Streiks der Lokführer und Störungen der Lieferketten infolge des militärischen Konflikts im Roten Meer", sagte ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Ein erneuter Rückgang der deutschen Wirtschaft im ersten Quartal 2024 erscheine wahrscheinlicher.
"Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im vierten Quartal ist kein Ausreißer", sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Die bis zuletzt gefallene Industrieproduktion und das niedrige Niveau des Ifo-Geschäftsklimas sprechen dafür, dass die deutsche Wirtschaft im ersten Quartal ebenfalls schrumpft."
Der private Verbrauch, auf den die Optimisten setzen würden, habe bis zuletzt enttäuscht. "Die Unternehmen und Konsumenten haben einfach zu viel zu verkraften, wenn man an das neue Zinsregime, die Inflationssorgen, die Erosion der Standortqualität und den nachlassenden Rückenwind aus China denkt. Nach einem Ende der Rezession ist kein kräftiger Aufschwung in Sicht."
Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) wird skeptischer bei seiner Prognose für die deutsche Konjunktur. Für das laufende Jahr stellte der IWF am Dienstag ein Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent in Aussicht. Im Oktober hatte das Expertenteam des Währungsfonds noch einen Zuwachs von 0,9 Prozent erwartet.
Zieht der private Konsum doch an?
Ausgebremst wurde die deutsche Konjunktur Ende 2023 gleich von mehreren Seiten. Die hohe Inflation dämpfte die Kaufkraft der privaten Haushalte, die sich deshalb mit dem Konsum zurückhielten. Die Europäische Zentralbank (EZB) bekämpft die starke Teuerung mit dem höchsten Zinsniveau ihrer Geschichte. Das bekam die Baubranche besonders zu spüren: Sie erlitt einen Nachfrageeinbruch, da für viele potenzielle Häuslebauer der Traum von den eigenen vier Wänden wegen der teuren Finanzierungskosten platzte. Den Exporteuren wiederum machte die schwache Weltkonjunktur zu schaffen.
"Aber erste Lichtblicke gibt es beim privaten Konsum", fügte Wollmershäuser hinzu. Die bis Mitte Januar vorliegenden Daten (Kreditkarten, Debitkarten, Bargeld) des Anbieters Mastercard zeigten bereits seit der Adventszeit eine Zunahme der preisbereinigten Umsätze in Einzelhandel und Gastgewerbe an. Der private Konsum könne daher im ersten Quartal 2024 zulegen. "Hier dürfte sich das Wiedererstarken der Kaufkraft bemerkbar machen, da mittlerweile die Einkommen der privaten Haushalte stärker steigen als die Preise", sagte Wollmershäuser.
Anderswo ist Wachstum
Mit den aktuellen Zahlen steht die Bundesrepublik verglichen mit anderen großen europäischen Volkswirtschaften schlecht da: So wuchs das Bruttoinlandsprodukt in Spanien 2023 um deutliche 2,5 Prozent und damit noch etwas mehr als von der Regierung prognostiziert, wie das dortige Statistikamt am Dienstag mitteilte. Das Land hatte vor allem von einem touristisch starken Sommer profitiert. Die französische Wirtschaft legte um 0,9 Prozent zu, in Italien wuchs die Wirtschaft im vergangenen Jahr um 0,7 Prozent. In Portugal gab es 2023 mit 2,3 Prozent ebenfalls ein deutliches Wachstum. In all diesen Ländern legte die Wirtschaft im letzten Quartal 2023 entweder zu oder sie stagnierte.
hb/iw (rtr,dpa,afp)