Deutsche sind für "Ehe für alle"
12. Januar 2017Schwule, Lesben und Bisexuelle werden in Deutschland noch immer diskriminiert, obwohl das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dies ausdrücklich verbietet: Dass es ein Problem gebe, sei "eindeutig", sagte Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, am Mittwoch vor Journalisten in Berlin. Sie zählt auf: Etwa das lesbische Paar, dem der Vermieter keine Wohnung vermieten wollte, der Mann, dem gekündigt wurde, als bekannt wurde, dass er mit einem Mann zusammenlebt oder auch das schwule Paar, das aufgefordert wurde, eine Hotellobby zu verlassen, nachdem es sich dort geküsst hatte - allesamt Menschen, die sich an die Antidiskriminierungsstelle gewandt haben.
Dabei spricht sich die Mehrheit der Deutschen laut einer Studie, die von dieser Behörde in Auftrag gegeben wurde, eigentlich ganz klar für die rechtliche Gleichstellung von homo- und bisexuellen Menschen aus: 83 Prozent der Befragten befürworten demnach die Ehe zwischen zwei Frauen beziehungsweise zwei Männern, 95 Prozent bezeichnen es als gut, dass homosexuelle Menschen gesetzlich vor Diskriminierung geschützt sind.
Lebenspartnerschaft: "Ehe zweiter Klasse"
In Deutschland gilt die eingetragene Lebenspartnerschaft, die oft auch "Homo-Ehe" genannt wird. Lüders bezeichnet sie als eine "Ehe zweiter Klasse". Deutschland hinke vielen anderen Ländern in Europa und weltweit hinterher. "Ich denke, der Politik stünde es gut, wenn sie genauso offen wie die Mehrheitsgesellschaft ist, offen für das Thema Ehe für alleEhe für alle", so Lüders im Gespräch mit der DW.
Ein Großteil (75,8 Prozent) der rund 2000 Menschen, die zwischen Oktober und November 2016 befragt wurden, spricht sich auch dafür aus, dass lesbische und schwule Paare genauso wie heterosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen. Das ist zurzeit nicht erlaubt.
Vorurteile weit verbreitet
Allerdings zeigt die Studie auch, dass ablehnende Einstellungen durchaus noch weit verbreitet sind: So glauben fast 20 Prozent der Deutschen, dass Homosexualität "unnatürlich" sei. Und fast 40 Prozent der Befragten finden es unangenehm, wenn zwei Männer ihre Zuneigung in der Öffentlichkeit zeigen, sich etwa küssen.
Je mehr das Thema den privaten Lebensbereich der Befragten berührt, desto skeptischer werden sie: 39,8 Prozent meinen, eine lesbische Tochter wäre ihnen unangenehm - bei einem schwulen Sohn gilt das sogar für 40,8 Prozent. Und rund 27 Prozent glauben, dass im Schulunterricht nur heterosexuelle Paare vorkommen sollten, wenn es um Liebe und Partnerschaft geht.
Neue Gefahren durch Populisten
Je jünger und gebildeter die Befragten, desto weniger Vorurteile hätten sie, sagt Beate Küpper, die Leiterin der Studie. Auch seien Frauen grundsätzlich positiver gegenüber Homosexuellen eingestellt als Männer. Einen weiteren Einfluss spielt die Religion: Je religiöser Menschen sind - egal ob Juden, Christen, Hindus oder Moslems - desto negativer seien sie Homo- und Bisexuellen gegenüber eingestellt.
Doch Lüders und andere warnen, dass sich das gesellschaftliche Klima ändern könnte. Eine kleine, aber "gefährliche Allianz von religiös-fundamentalistischen, rechtspopulistischen, antifeministischen Hardlinern" bestimme gerade das Klima, so der Pressesprecher des Lesben- und Schwulenverbandes Markus Ulrich im Gespräch mit der DW. Er befürchtet, dass sie 2017 sogar noch an Einfluss gewinnen könnten, wenn in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland populistische Kräfte erfolgreich sind, die Hass gegen Minderheiten schüren.
Lüders gibt ihm Recht - und hebt besonders die rechtspopulistische AfD hervor, die sich in der Vergangenheit immer wieder mit homophoben Äußerungen hervorgetan hat und laut jüngsten Umfragen bei 15 Prozent liegt: "Ich habe große Sorge, dass gerade die AfD wieder das, was gerade im Augenblick an Toleranz läuft, gegenteilig beflügelt."