Deutsche Bank: Gong zur nächsten Runde
11. Juni 2018Im Jahr 1989 gilt die Deutsche Bank noch als solide und seriös, als Schaltzentrale der sogenannten 'Deutschland AG', mit besten Beziehungen zu Industrie und Politik. In dem Jahr beginnt ein gewisser Christian Sewing dort seine Ausbildung. Aber dazu später mehr.
"Konservativ" und "konsensorientiert" war die Kultur der Bank damals, sagt ihr Chefvolkswirt David Folkerts-Landau. Als klassische Universalbank bediente sie sämtliche Kundengruppen, vom normalen Sparer über den Mittelstand bis zur Großindustrie. Für deutsche Verhältnisse ließen sich damit gute Geschäfte machen.
Langweilig? Provinziell?
In London und New York aber, den Zentren der westlichen Finanzwelt, hatte sich das Bankgeschäft bereits grundlegend verändert. Hier gaben Investmentbanker den Ton an, die sich selbst als "Masters of the Universe" sahen. Sie spekulierten mit Wertpapieren, finanzierten freundliche wie feindliche Übernahmen in unvorstellbaren Größenordnungen und fuhren gigantische Gewinne und Boni ein. Aus Sicht der Wall Street und der City wirkte der Champion aus Frankfurt langweilig und provinziell.
Die Deutsche Bank wollte das ändern. Noch 1989 kaufte sie Morgan Grenfell, ein führendes Londoner Investmenthaus. 1995 engagierte sie Edson Mitchell, einen der Stars der US-Branche. 1998 übernahm sie dann Bankers Trust, eine Investmentbank an der Wall Street mit rund 20.000 Beschäftigten. Aus der deutschen Universalbank war ein Global Player geworden, der nun das ganz große Rad drehen wollte.
"Mit der Übernahme von Bankers Trust hat sich die Deutsche Bank eine neue Kultur ins Haus geholt", sagt Zacharias Sautner, Professor an der Frankfurt School of Finance and Management, im Gespräch mit DW. "Die Bank wurde dann lange Zeit von New York und London aus getrieben, von Investmentbankern, die überhaupt keinen Bezug hatten zu Frankfurt und zu Deutschland."
Alles für den schnellen Gewinn
Gegenüber der Deutschen Welle wollte sich die Bank nicht äußern, verwies aber auf das, was ihr Chefvolkswirt Folkerts-Landau Ende Mai dem Handelsblatt gesagt hatte. Der sieht das rückblickend ähnlich wie Finanzprofessor Sautner.
Die Konzernspitze habe "schicksalhafte Fehler" begangen und schlicht nicht verstanden, auf was sie sich da einließ. "Wenige Vorstände und Aufsichtsräte der damaligen Deutschen Bank hatten das Wertpapierhandelsgeschäft vollständig durchdrungen", so Folkerts-Landau.
Und so habe man den Investmentbankern die Zügel überlassen, jenen Vertretern einer "extrem kompetitiven und individualistischen Geschäftskultur [...], in der alles dem schnellen Gewinn untergeordnet wurde."
Getrieben von Testosteron, Millionen-Boni und oft auch Drogen - so werden Investmentbanker in Hollywood-Filmen dargestellt. Selbst wenn das zuträfe, wäre es nur ein Teil der Wahrheit. Schließlich gehört neben dem Handel mit Aktien, Anleihen und Derivaten auch die Beratung von Konzernen bei Börsengängen und Übernahmen zum Investmentbanking, sagt Sautner von der Frankfurt School of Finance.
"In der Regel sind das clevere Leute, auch bei uns gehen oft die besten Absolventen ins Investmentbanking", so Sautner. "Aber die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber ist im Investmentbanking gering. Wenn ein Wettbewerber ein attraktiveres Angebot macht, gehen die Leute."
Mit hohen Bonuszahlungen versuchen Banken daher, ihre Mitarbeiter zu halten. Und ihr Vergütungssystem ist so ausgerichtet, dass kurzfristiger Erfolg belohnt wird - nicht gerade ein nachhaltiges Geschäftsmodell.
Maximaler Profit
Zum Symbol dieser Zeit wurde Josef Ackermann, der von 2002 bis 2012 Chef der Deutschen Bank war. Er führte das fort, was seine Vorgänger Hilmar Kopper und Rolf E. Breuer begonnen hatten: die Konzentration auf maximalen Profit. Im Jahr 2005 verkündete er das Ziel einer Eigenkapitalrendite von 25 Prozent, kurz darauf veränderte er die Organisation der Führungsebene.
"Damit war ein CEO nach angelsächsischem Vorbild installiert", erinnert sich Folkerts-Landau. "Das Schicksal der Bank lag jetzt in den Händen des Vorstandschefs, für den das Wachstum der Investmentbank absolute Priorität hat."
Im Jahr 2007 machte die Deutsche Bank rund zwei Drittel ihrer Erträge im Investmentbanking.
Im selben Jahr begann die Finanzkrise, die die Branche wie ein Erdbeben durchschüttelte. In den USA verschwanden die fünf größten Investmentbanken - sie gingen pleite, wurden übernommen oder mussten ihren Status aufgeben. Und die US-Regierung verpflichtete sämtliche Großbanken, staatliche Kapitalspritzen anzunehmen.
In Deutschland galt das als Medizin für Verlierer, weil die Bundesregierung niemanden zwingen wollte, die bittere Pille zu schlucken. Josef Ackermann prahlte damit, ohne staatlichen Hilfen auszukommen.
Inzwischen haben sich US-Banken erholt und sind wieder profitabel. Die Deutsche Bank liegt noch immer am Boden.
Langsame Häutung
Was nun seit einigen Jahren bei dem Frankfurter Geldhaus zu beobachten ist, kann man als Prozess einer sehr langsamen Häutung beschreiben, mit einigen Umwegen.
Während sich europäische Banken wie die UBS ab 2012 aus unprofitablen Bereichen des Investmentbankings zurückzogen, weitete die Deutsche Bank unter Ackermanns Nachfolgern Jürgen Fitschen und Anshu Jain diese Sparte sogar aus.
"Sie wollten in Bereiche vordringen, die andere frei machten. Das war ein fataler Fehler", so Thomas Mayer, bis 2012 Chefvolkswirt der Deutschen Bank, zur DW.
Auch der versprochene "Kulturwandel" kam nicht voran. Wie auch - war doch der neue Chef Jain lange der oberste Investmentbanker gewesen. Seine Abteilung soll nach Berechnungen der Wirtschaftswoche im Boomjahr 2005 rund die Hälfte des Gewinns der gesamten Bank erwirtschaftet haben.
Nach Jain und Fitschen wurde der Brite John Cryan mit den Aufräumarbeiten beauftragt. Doch "Cryan war zu zögerlich und abgelenkt von der Bereinigung der vielen Strafzahlungen, um eine schnelle und umfassende Fehlerkorrektur vorzunehmen", urteilt Mayer, der heute für die Vermögensverwaltung Flossbach von Storch arbeitet. "Dadurch hat die Deutsche Bank fast sechs Jahre verloren."
Sewing als Symbol
Seit April soll Christian Sewing die Bank in die Zukunft führen - wobei die Zukunft aussehen könnte wie die Vergangenheit. Sewing ist jener Mann, der 1989 als Lehrling bei der Deutschen Bank begonnen und dort fast sein gesamtes Berufsleben verbracht hat.
Er will das Haus wieder stärker auf Deutschland ausrichten und das Investmentbanking weiter reduzieren. Fraglich ist, ob ihm dafür genug Zeit bleibt, denn mit jeder Hiobsbotschaft fällt die Aktie in neue Tiefen. "Der Aktienmarkt hat die Geduld verloren und rechnet nun mit einer Übernahme oder der Abwicklung der Bank", so Mayer zur DW.
Finanzprofessor Sautner widerspricht. "Die Bank ist zu wichtig für die deutsche Politik und die deutsche Wirtschaft. Deshalb wird man es nicht zulassen, dass sie in ausländische Hände kommt." Auch eine Pleite schließt Sautner aus, im Zweifel würden deutsche Firmen neues Kapital zuschießen. "Die deutsche Industrie braucht eine erfolgreiche Deutsche Bank."
Die Zeit der Leiden aber ist noch lange nicht vorbei, denn mit der Neuausrichtung trennt sich die Bank von Geschäftsfeldern, in denen sie früher viel Umsatz machte. Finanzchef James von Moltke ließ bereits durchblicken, dass nach den Verlusten der letzten Jahre auch das nächste Geschäftsquartal schwach ausfallen wird.
"Die Früchte der strategischen Maßnahmen wird man wohl erst in fünf bis zehn Jahren ernten", sagt Sautner. "Wir können nur hoffen, dass in der Zwischenzeit keine weitere Finanzkrise auf uns zukommt." Für den einstigen Champion aus Frankfurt wäre das wohl der endgültige Knock-out.