Deutsche Bahn: Geisterzüge und der Geist der Zukunft
29. November 2024Advent, Advent, ein Lichtlein brennt - und das auch des Nachts auf den Schienen der Deutschen Bahn, aber nicht unbedingt für die Fahrgäste. Mitte dieser Woche wurde bekannt, dass die Bahn nachts leere Züge über Schienen rund um Berlin fahren lässt. Die Berliner Tageszeitung "Der Tagesspiegel" berichtete unter Berufung auf "Insider", dass etwa "fünf oder sechs ICE ohne Fahrgäste in der Nacht durch und um die Stadt" gefahren würden.
Der Grund ist ein Mangel an Abstellgleisen: Denn Berlin liegt weit im Nordosten Deutschlands, viele Ferntrassen enden hier. Entsprechend viele Verbindungen haben hier ihre morgendlichen Start- und abendlichen Endpunkte. Allerdings fehlt es an Gleisen, auf denen die Züge einfach geparkt werden können.
Auf den geschäftigen Trassen in und um die Hauptstadt fahren allerdings auch nachts Züge. Deshalb müssen die nicht benötigten ICEs, die Schnellzüge der DB, in Bewegung bleiben und auf Gleise gefahren werden, die gerade nicht gebraucht werden. Ein Bahnsprecher bezeichnete dies gegenüber dem "Tagesspiegel" als "ganz normalen betrieblichen Vorgang".
Den geplanten Neubau von Abstellgleisen unmittelbar südlich von Berlin gab die Bahn laut "Tagesspiegel" nach Anwohnerprotesten auf. Eine andere solche Anlage ist demnach im nördlichen Bezirk Pankow geplant.
Zu wenig Gleise, zu wenig Lokführer
Das ziellose Herumrollen von Zügen kostet nicht nur Strom. Die Lokführer, die nachts die leeren Züge aus dem Weg fahren, stehen auch tagsüber nicht für reguläre Fahrten mit Fahrgästen zur Verfügung.
Das verschärft ein altbekanntes Problem: Fachkräftemangel. Laut "Wirtschaftswoche" schätzt die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), dass bundesweit 1200 Lokführerstellen unbesetzt sind. Und das, obwohl es nach Zählung des Interessenbündnisses Allianz pro Schiene jährlich 1000 Fachkräfte mehr gibt. Angesichts der Pläne, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern, müssten künftig jedoch pro Jahr mindestens 5000 neue Lokführer hinzukommen.
Doch wenn sich schon der Ausbau des Schienennetzes und die Suche nach Fachkräften schwierig gestalten, will die Bahn zumindest die Digitalisierung vorantreiben.
Nur noch digitale Ankunftspläne?
So teilte der Konzern Ende November mit, dass vom 15. Dezember an keine Ankunftsfahrtpläne an Bahnsteigen aushängen würden. Neben gelben Fahrplänen, auf denen die Abfahrtszeiten der Züge an der jeweiligen Station aufgeführt sind, gibt es auch weiße Pläne mit den Zeiten, zu denen Züge einfahren sollen.
Als Begründung gab das Unternehmen an, Papier und Verwaltungskosten sparen zu wollen. Anstelle der gedruckten Pläne sollten nur noch QR-Codes ausgehängt werden, die aktuelle Auskünfte über die Ankunftszeiten geben könnten. Außerdem hieß es in einer Erklärung der Bahn: "Reisende benötigen verlässliche Informationen in Echtzeit".
Der Spott in Sozialen Medien ließ nicht lange auf sich warten: "Macht ja auch Sinn, wenn die Züge eh per Zufall eintreffen oder eben nicht :D", schrieb ein User auf X (ehemals Twitter). Der Hintergrund: Auch wenn die Züge der DB laut Unternehmen zuletzt wieder etwas pünktlicher geworden sind, findet im Fernverkehr immer noch mehr als jeder dritte Halt mit Verspätung statt. Als verspätet gilt ein Zug, wenn er sechs Minuten oder mehr nach der geplanten Ankunftszeit hält. Auch mehrere Stunden Verspätung sind mittlerweile keine Seltenheit mehr.
Kehrtwende nach Kritik
Doch bevor Kabarettisten und Comedians die Steilvorlage verwandeln und in ihre lange Reihe von Bahn-Gags einreihen konnten, ruderte die DB zurück. An diesem Freitag teilte das staatseigene Unternehmen mit: "DB reagiert auf Kritik: Gedruckte Ankunftspläne an den Bahnhöfen bleiben." Kritiker hatten argumentiert, dass nicht alle, die jemanden vom Bahnhof abholen wollten, ein Smartphone hätten, oder wüssten, wie man einen QR-Code scannt. Tatsächlich ist es laut Bahn so, das schon heute nur an etwa jeder zehnten Haltestelle überhaupt weiße Ankunftspläne hängen, nämlich an größeren Bahnhöfen, wo zwischen Ankunft- und Abfahrt teilweise längere Haltezeiten eingeplant sind.
Dennoch teilte der Konzern nun mit, man werde "in der kommenden Fahrplanphase die Nutzung des Printmediums am Bahnhof umfassend evaluieren." In Absprache mit Interessensverbänden werde man dann die Bereitstellung analoger Fahrpläne besprechen. Mit anderen Worten: Es wird geprüft, ob die Pläne wirklich das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt werden.
Es scheint paradox: Trotz der Verwerfungen und Widrigkeiten kehren die Menschen in Deutschland der Bahn nicht den Rücken zu, ganz im Gegenteil. Denn die Nachfrage nach Bahnfahren ist deutlich gewachsen. Seit den 1990er Jahren ist die Zahl der Bahnpassagiere um rund 50 Prozent gestiegen, der Güterverkehr hat sich fast verdoppelt. Auch die Zahl der Lokomotiven und Waggons hat die DB aufgestockt. Gleichzeitig hat sich das Streckennetz aber um mehr als zehn Prozent verkleinert.
Aber jetzt kommt erst einmal Weihnachten. Und um den guten Ruf wieder herzustellen, den die Deutsche Bahn einst über die Landesgrenzen hinaus genoss, leuchten nicht nur die ICEs nachts auf den Berliner Gleisen. Bereits seit sechs Monaten verfügt die Bahn über ein Sanierungsprogramm. Es wurde nach dem Ende der Europameisterschaft Euro 2024 gestartet. Damals erlebten Abertausende europäische Fußball-Fans was Zugausfälle, Verspätungen und Pannen bedeuten. Spätestens dadurch erlangten die Probleme des Quasimonopolisten internationale Aufmerksamkeit. Deutsche Bahn, erbarme Dich unser!