Motown Blues
7. Januar 2012Die Finanznot Detroits überrascht die Vize-Präsidentin der Hilfsorganisation Matrix, Celia Thomas, nicht. Denn vor Jahrzehnten zog die Autoindustrie ins billigere Umland, mit ihr über eine Million Menschen - und letztendlich das Geld, das eine Stadt am Leben hält. Thomas sieht seit über zwanzig Jahren eine wachsende Armut, während Detroit gleichzeitig die finanziellen Ressourcen ausgehen. Mehr Geld wäre eine kurzfristige Entlastung. Doch zuallererst geht es um langfristige Hilfe für die Armen.
Über 250.000 Menschen, fast 40 Prozent der Gesamtbevölkerung, leben unter der Armutsgrenze. Eine vierköpfige Familie etwa verdient im Durchschnitt monatlich weniger als 1900 Dollar. Diese Menschen bringen der Stadt weder durch Steuern noch durch Einkäufe Geld. Ganz im Gegenteil: Sie verlassen sich auf soziale Leistungen, um zu überleben. Detroit verfällt schon seit Jahren. Laut Thomas gibt es aber nur eine Möglichkeit: "Wir müssen weitermachen," sagt sie. Weitermachen heißt an diesem Morgen: Lebensmittel verteilen.
Kampf gegen die Armut
Eine Frau, die seit über einer Stunde vor der Turnhalle gewartet hat, betritt den großen Raum zuerst. Sie schiebt einen Kinderwagen vor sich her, den sie zum Einkaufswagen umfunktioniert hat. Die ehrenamtlichen Helfer der Hilfsorganisation Matrix stehen hinter aufgestapelten Kisten mit Tomaten, Paprika, Äpfeln, Joghurt und Milch bereit, sie zu bedienen. Bald füllen hier hunderte Menschen ihre Einkaufswagen und -tüten mit allem, was sie brauchen: zuerst Lebensmittel, dann gebrauchte Kleidung und Bücher.
Doch selbst wenn die Vize-Präsidentin von Matrix und ihre Mitarbeiter allen Armen zu einem Auskommen verhelfen würden, könnten sie die Stadt trotzdem nicht retten. Allein die Infrastruktur Detroits kann von so wenigen Bewohnern nicht finanziert werden.
Detroit leidet unter wachsender Arbeitslosigkeit
Zwischen 1950 und 2010 schrumpfte die Gesamtbevölkerung Detroits um über 50 Prozent, die Stadtgrenzen blieben jedoch die gleichen. Fast zwei Millionen Menschen bewohnten Detroit früher. Heutzutage verteilen sich nur 713.777 Einwohner auf einer Fläche so groß wie San Francisco, Boston und Manhattan zusammen. In den Haushaltskassen der Stadt ist kein Geld mehr für Dienstleistungen wie beispielsweise die Straßenbeleuchtung oder die Müllabfuhr.
Die meist besser verdienenden Weißen konnten es sich leisten, in die Vororte zu ziehen. Diese so genannte "weiße Flucht" führte dazu, dass Afroamerikaner inzwischen 83 Prozent der Gesamtbevölkerung Detroits ausmachen.
Der Ruf der Stadt leidet seit langem unter einer wachsenden Arbeitslosenquote, unbebauten Grundstücken, leerstehenden Häusern. Jetzt liegen bewohnte Viertel so weit von Geschäften und Arbeitsplätzen entfernt, dass die Einwohner weite Strecken zurücklegen müssen. Auf die Busse aber kann man sich nicht verlassen, erzählt Celia Thomas, die kommen unregelmäßig. "Und wegen der Armut können sich die meisten von uns kein Auto leisten."
Verkehrssysteme funktionieren nicht
In vielen US-amerikanischen Großstädten gibt es ein gut entwickeltes öffentliches Verkehrssystem, nicht so in Detroit. Mehr als 15.000 Pendler nutzen den regionalen Busverkehr in die Vororte. Aber es ist schwierig, die Fahrzeit im Voraus zu planen. Seit 2006 spart die Stadt, es fahren ein Drittel weniger Busse. Auf dem Busbahnhof im Stadtzentrum wartet man oft lange. Die Stadtpolitiker können weder die Lage des öffentlichen Verkehrssystems noch andere Dienstleistungen schnell verbessern.
Das Haushaltsdefizit beträgt fast 200 Millionen Dollar, ganz zu schweigen von den langfristigen Schulden von über zwölf Milliarden Dollar. Noch schlimmer seien die politischen Diskussionen, so Tim Killeen, er ist Mitglied des Bezirksparlaments: "Es gibt keinen Konsens darüber, in welche Richtung sich diese Stadt überhaupt weiterentwickeln soll." Detroit braucht Einnahmen. Immerhin: Einige Unternehmen siedeln sich wieder an. Es kommen mehr Leute und damit auch wieder mehr Geld in die Stadt.
Leerstehende und beschädigte Häuser
Mehr Menschen, die sich in der Stadt ansiedeln, das wäre ein großer Schritt für Detroit. Doch noch immer stehen ungefähr 30 Prozent der Häuser leer. Die Immobilien sind billig. Für ein Haus bezahlt man in Detroit rund 16.000 Dollar, im Gegensatz zu über 272.900 Dollar im Rest der USA. Wer ein Haus in Detroit kauft, muss viel Geld investieren - um die Schäden zu reparieren, die über Jahre entstanden sind.
Die Politiker der Stadt wollen vor allem bei den 11.000 Stadtangestellten sparen. Die Stadtverwaltung ist der größte Arbeitgeber Detroits. Inzwischen kommen aber auch wieder Unternehmer, ganze Straßen sind durch die Ansiedlung wieder belebt worden. "Wenn wir weiterhin daran mitwirken, Veränderungen vorzunehmen, einige Stadtteile modernisieren und das Stadtzentrum wieder beleben, wird sich das langfristig für die Stadt bezahlt machen", erklärt Susan Mosey, Präsidentin des Unternehmens Midtown Detroit.
Bis jetzt wurden über zwei Milliarden Dollar ins Stadtviertel Midtown investiert. Durch die Wiederbelebung der Kunstszene ist ein Anreiz geschaffen worden, wieder in die Stadt zu ziehen. Darüber hinaus gewähren Arbeitgeber Mietzuschüsse für Mitarbeiter, die in der Stadt wohnen wollen.
Eine hoffnungsvolle Zukunft?
Der bescheidene Erfolg weckt Hoffnung: "Es ist wie bei einem Puzzle", sagt Celia Thomas. "Alle Teile müssen zusammenkommen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen." Trotz der großen Ansammlung von Menschen bei der Tafel an diesem Tag ist sie optimistisch. Für neue Jobs in Detroit werden ausgebildete Arbeiter gebraucht, z.B. Ingenieure. Und deren Steuern senken die Verschuldung der Stadt. Aber von gut vedienenden Bürgern braucht die Autostadt Millionen.
In die Trostlosigkeit der amerikanischen Motor-City mischt sich derzeit etwas Zuversicht: Autohersteller aus aller Welt sorgen wieder für positive Nachrichten. Am 9. Januar beginnt in Detroit die Motor Show, oder offiziell die North American International Auto Show (NAIAS).
Autorin: Kathleen Schuster
Redaktion: Monika Lohmüller