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Design oder Nichtsein

Arend Wulff 11. April 2004

Dem Internet-Boom der 1990er Jahre konnte oder wollte sich auch die Literaturszene nicht entziehen. Doch was ist aus den Websites geworden? Arend Wulff ging auf die Suche.

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Verspricht mehr als drin ist: Die Startseite der Homepage von Benjamin von Stuckrad-Barre

Der erste Versuch auf dem Streifzug: Benjamin von Stuckrad-Barre, vor wenigen Jahren noch als Popliterat bekannt. Neue Trends, ungehemmte Selbstdarstellung - gerade der muss doch was davon verstehen. Und es geht auch gut los: So jugendlich, so subkulturell, so Berliner Bohême das Eingangsfoto. Der Pop-Literat, kniend auf dem typischen Dielenboden einer Berliner Altbauwohnung, das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt, beißt auf eine Schallplatte von den PetShop-Boys. Um ihn rum feiernde junge, schöne Menschen - allesamt weiblich. So lebt ein junger Autor.

In freudiger Erwartung auf Inhalt klicken wir weiter - und stellen fest, dass der Autor wohl zu viel Zeit auf genau solchen Berliner Parties verbringt: die Rubrik "Aktuelles" wirkt eher wie Archäologie. "Lesung am 7. Juli" steht hier unter den Terminen - welchen Jahres muss man sich fragen, denn hier wurde seit zwei Jahren nichts mehr aktualisiert. Immerhin sind die Preise für die Fan-T-Shirts schon in Euro.

Geplatze Träume

Die Website - das vernachlässigte Stiefkind der deutschen Autoren? Fast scheint es so, denn die großen Träume sind längst ausgeträumt. Zur schicken Avantgarde gehört man mit eigener Website schon lange nicht mehr. Und die Träume von der Internetseite, mit der sich traditionelle Verkaufsstrukturen umgehen lassen? Längst geplatzt. Spätestens seit Stephen King im Jahr 2000 seine Geschichte "The Plant" exklusiv über das Internet vertreiben wollte und finanziell scheiterte ist allen klar: Geld gibt's hier nicht zu verdienen. Und sofort ließen selbst die jungen Popliteraten ihre sorgsam gepflegten, wohldesignten Websites fallen wie heiße Kartoffeln.

Screenshot Christian Kracht
Startseite der Homepage von Christian Kracht

Stuckrad-Barres Kollege Christian Kracht macht es zwar optisch sehr schön - inhaltlich treffen wir aber auch hier auf eine weitgehend aktualitätsbefreite Zone: Außer dem Link zu einem großen Internet-Buchhaus hat sich hier schon lange nichts mehr getan.

Verstaubte Tagebücher

So viel zu den jungen Wilden - und die modernen Klassiker? Christa Wolf? Günther Grass? Siegfried Lenz? Alles Fehlanzeige. Den modernen Quatsch brauchen wir nicht, scheinen sie gedacht zu haben - und haben auf eine eigene Internetpräsenz komplett verzichtet.

Die Träume vom Internet ausgeträumt - das gilt nicht nur für die Vermarktung. Das Internet macht zwar vieles möglich - aber noch lange nichts wahr: Gästebücher? Studienmaterialien? Autoren-Tagebücher? Die gibt es selten - und wo es sie gibt, da führen sie meist eine einsame, vernachlässigte Existenz.

Ein Beispiel? Das Online-Tagebuch der 30-jährigen Autorin Alexa Hennig von Lange: ein frühes, unrühmliches Ende. Von einem versuchten Anruf bei ihrem Bruder handelt der letzte Eintrag. "Vielleicht werde ich ihn morgen noch einmal anrufen." Offensichtlich hat sie ihn noch nicht erreicht - der Vorsatz ist jetzt über ein Jahr alt.

Inhalt statt Selbstdarstellung

Doch es gibt Ausnahmen - Websites, die Aktualität und Interaktion nicht nur simulieren. Richtige Inhalte entdecken wir bei einer Österreicherin: Elfriede Jelinek. Aktuelle Texte zu Theater, Literatur, Kultur. Der neueste Eintrag ist vom 24. Januar - 2004 wohlgemerkt. Die Gestaltung bleibt dabei eher schlicht. Ein ähnliches Beispiel ist die Homepage des Dons der leichten fantastischen Unterhaltung: Wolfgang Holbein. Viele Fakten, ein belebtes Gästebuch, bescheidenes Design - das kreative Chaos eines Fantasy-Autoren.

"Design oder Nichtsein" scheint das Motto vieler Autoren bei der Fabrikation ihrer Webseiten gewesen zu sein - und sie haben sich für beides gleichzeitig entschieden. Maximale Oberflächenästhetik bei minimalem Inhalt - denn bald schaute ohnehin niemand mehr vorbei. Und schmerzlich musste konstatiert werden: Reine Selbstdarstellung führt den Schriftsteller nicht zum Erfolg - nicht in der virtuellen und nicht in der realen Welt.