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Der Xi-Biden-Gipfel und Deutschlands Dilemma

14. November 2023

Im Wirtschaftskrieg stehen die USA und China schon. Dazu droht ein Kalter Krieg - der schnell heiß werden kann. Deutschlands Dilemma: Wichtigster Bündnispartner sind die USA, wichtigster Handelspartner China.

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Indonesien G20 Joe Biden und Xi Jinping
Politik braucht Vertrauen; Vertrauen braucht persönliche Begegnung. Die letzte zwischen Xi und Biden liegt schon ein Jahr zurückBild: Saul Loeb/AFP/Getty Images

Die Beziehungen zwischen den USA und China sind auf einem Tiefpunkt. Militärflugzeuge kommen sich über dem Südchinesischen Meer gefährlich nahe. Exportbeschränkungen weiten sich zum Wirtschaftskrieg. Und dann hat Peking auch noch die drei Friedensbotschafter Tian Tian, Mei Xiang und Xiao Qi aus Washington abgezogen: Im Zoo der US-Hauptstadt gibt es seit Anfang November keine Pandas mehr.

Um so mehr schaut die Welt auf die erste persönliche Begegnung zwischen Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden seit einem Jahr in San Francisco. Wenn auch die Erwartungen an den Gipfel international eher bescheiden sind, wie der Berliner Politikwissenschaftler Hanns Maull sagt. Im DW-Interview spricht der Experte für Fragen der Internationalen Ordnung von einem überfälligen Wiederaufnehmen des Gesprächsfadens zwischen Peking und Washington. "Das sagt aber noch überhaupt nichts darüber aus, ob es bei dem Gipfeltreffen gelingt, bei den schwergewichtigen Konfliktthemen voranzukommen, die ja die Ursachen der Spannungen zwischen China und den USA sind. Die meisten Beobachter bezweifeln das", führt Maull aus.  

Eine gerade von einer mobilen Abschussrampe abgefeuerte Rakete steigt in einen blauen Himmel
​​​​​​Die chinesische Volksbefreiungsarmee übt den Abschuss von Raketen auf Taiwan. An der Insel könnte sich ein Krieg zwischen den Supermächten entzündenBild: Hong Wei /Xinhua/IMAGO

Der USA-Experte Josef Braml sieht die USA und China bereits "mitten in einem Kalten Krieg 2.0". Der Unterschied: Beide Seiten seien zudem in einen Wirtschaftskrieg verwickelt, fährt Braml gegenüber der DW fort. Seine Sorge: "Dieser Wirtschaftskrieg könnte die letzte Chance zur Kooperation verspielen, um den Klimawandel einzudämmen, um die Klimakatastrophe abzuwenden und könnte in einen heißen Krieg führen."

Das hängt auch damit zusammen, dass in vielen Produkten, wo Klimaschutz und Energiewende draufsteht, China drinsteckt. Egal ob Photovoltaik, Batterietechnik, Elektromobilität – ohne chinesische Vor- oder Endprodukte geht kaum etwas bei den erneuerbaren Energien. Braml, Europa-Direktor der Denkfabrik Trilaterale Kommission, spitzt das für Deutschland zu: "Wir haben ja ein gewagtes Experiment begonnen: Raus aus den fossilen Brennstoffen, Kernkraft abgeschaltet und wollen Erneuerbare. Deshalb sind wir massiv auf China angewiesen."

Balanceakt mit China-Strategie

Insgesamt bringen die Spannungen zwischen Washington und Peking Berlin in eine schwierige Situation: Weil auf der einen Seite des Konflikts mit den USA Deutschlands wichtigster Bündnispartner und Sicherheitslieferant steht, auf der anderen mit China Deutschlands größter Handelspartner. 

Um für diesen Balanceakt gerüstet zu sein, hatte die Bundesregierung nach langem Ringen Mitte Juli eine China-Strategie verabschiedet. "China hat sich verändert – dies und die politischen Entscheidungen Chinas machen eine Veränderung unseres Umgangs mit China erforderlich", heißt es gleich zu Beginn der Strategie, die China zugleich als Partner, Wettbewerber und strategischen Rivalen bezeichnet. Wesentlicher Bestandteil der Strategie ist der Abbau der deutschen Abhängigkeit von China unter dem Stichwort des De-Risking. Deutsche Unternehmen sollen sich vermehrt in anderen Ländern und Regionen engagieren, um Risiken zu streuen und so zu vermindern.

In einer ersten Reaktion bewertete der Sprecher des Pekinger Außenministeriums, Wang Wenbin, die China-Strategie als kontraproduktiv.  "Sie verschärft nur noch die Spaltung der Welt." 

In einer chinesisch verfassten Mitteilung der chinesischen Botschaft in Berlin hieß es: "China ist Deutschlands Partner in der Bewältigung von Herausforderungen und kein Gegner". Es liege nicht im Interesse beider Staaten, China als Wettbewerber und systemischen Rivalen zu betrachten. Diese Einschätzung sei realitätsfern.

Im DW-Interview bestätigt der Politikwissenschaftler Gu Xuewu, Peking bestreite bis heute diese systemische Rivalität. Der Direktor des Bonner Centers for Global Studies erläutert: "Die Chinesen verfolgen nicht das Ziel, das deutsche System zu ändern. Nach chinesischer Darstellung hat jeder das Recht zu existieren, jeder kann seinen eigenen Weg finden."

Berlin ist gespalten im Umgang mit China

Umso mehr hat in Peking irritiert, dass die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Anfang September in einem Interview mit dem US-Fernsehsender Fox den chinesischen Staatschef Xi Jinping als Diktator bezeichnet hat. Chinas Außenministerium wies die Aussage als "absurd" und als "Provokation" zurück. Auch in Berlin gab es Kritik. Der außenpolitische Sprecher der oppositionellen CDU/CSU Bundestagsfraktion Jürgen Hardt sagte damals gegenüber der DW: "Wenn man als Diplomat oder Außenminister eine solche Aussage trifft, dann muss man wissen, dass man dafür einen politischen Preis bezahlen muss. Und die Frage ist, ob sich das gelohnt hat." Nach Beobachtung von Politikwissenschaftler Gu besteht der Preis in einem bedeutenden Verlust an Vertrauen, speziell gegenüber der Grünen Partei, der Baerbock angehört.

Außenministerin Annalena Baerbock auf einem Bildschirm in einem Interview mit Fox News
Interview mit politischer Sprengkraft: Außenministerin Baerbock bezeichnete im US-Fernsehen Xi Jinping als DiktatorBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Die Zerrissenheit Deutschlands in der Sandwich-Position zwischen USA und China spiegelt sich auch in der Berliner Regierungskoalition. Während Außenministerin Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck auf einen härteren Kurs gegenüber China drängen, sorgt das Kanzleramt von Olaf Scholz für die Genehmigung des umstrittenen Einkaufs der chinesischen Großreederei COSCO im Hamburger Hafen. Und stellt sicher, dass die China-Strategie und das De-Risking nicht allzu restriktiv ausfallen. Immerhin hatten deutsche Unternehmen in der ersten Jahreshälfte rund 10,3 Milliarden Euro in China investiert. Das waren 16,4 Prozent der gesamten deutschen Direktinvestitionen im Ausland.

Ein Containerschiff des chinesischen Staatskonzerns Cosco mit voller Ladung.
Die chinesische Großreederei COSCO konnte sich ein Stück des Hamburger Hafens sichernBild: Winfried Rothermel/picture alliance

Ein Beispiel für die Vielzahl der Felder, auf denen der Konflikt zwischen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen ausgetragen wird, ist die Kommunikationstechnologie: Erst Anfang November rief NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf der ersten NATO-Cyberverteidigungs-Konferenz im Berliner Auswärtigen Amt die Bündnispartner dazu auf, auf Komponenten der chinesischen Hersteller Huawei und ZTE zu verzichten. "Wir müssen es vermeiden, uns auf die Technologie autoritärer Regime zu verlassen, um unser digitales Rückgrat der Zukunft aufzubauen", warnte Stoltenberg. Die gleiche Warnung wird seit Jahren massiv von Washington vorgetragen. Allerdings setzen die deutschen Mobilfunkbetreiber beim Aufbau der 5G-Mobilfunknetze weiterhin auf Huawei-Komponenten, ohne dass die Bundesregierung einschreitet. Der Anteil chinesischer Produkte in deutschen 5G-Netzen wird auf rund 60 Prozent geschätzt.

NATO Generalsekretär Jens Stoltenberg in dunklem Anzug neben einer EU-Fahne
NATO Generalsekretär Stoltenberg überbringt in Berlin die gleiche Botschaft wie seit Jahren die USA: Keine kritische Infrastruktur mit Huawei Komponenten.Bild: Liesa Johannssen/REUTERS

Herausforderung für Deutschland – und Europa

Hanns Maull beschreibt den deutschen Balanceakt zwischen Peking und Washington als "sehr herausfordernd". Allerdings erweitert Maull, der Senior Fellow bei den beiden einflussreichen Berliner Think Tanks SWP und Merics ist, das Bild: "Es ist nicht nur eine deutsche Situation und Position, sondern eine europäische". Und weil die Europäische Union im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen ein signifikanter Akteur sei, habe "Deutschland als Teil der EU Gewicht und ist in der Lage, einen gewissen Einfluss auszuüben auf die USA, auf China und auf die Internationale Ordnung." 

Allerdings ist Maull auch sicher: "Es kann keine Äquidistanz zwischen den beiden Polen geben. Die USA sind der natürliche Verbündete. Aber auf der anderen Seite gibt es eben auch dieses Ringen um die Weltherrschaft. Und da besteht das Interesse Deutschlands ganz eindeutig darin, das so weit einzuhegen und zu entschärfen, wie überhaupt möglich." 

Denn im Ringen Chinas und der USA um die globale Vorherrschaft macht Hanns Maull ein deutsches Kerninteresse aus: "Dass die möglicherweise katastrophalen Kollateralschäden, die aus dieser Konkurrenz um die Vorherrschaft in der internationalen Ordnung entstehen könnten, eingedämmt werden."  

 

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein