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Der syrische Künstler Majd Kara in Litauen

Karolis Vysniauskas
28. November 2016

Der aus Syrien geflohene Maler Majd Kara hat eine neue Heimat gefunden: In Litauen, wo fast jeder zweite Einwohner Flüchtlinge ablehnt. Karas Kunst fordert die Einstellung der Litauer zu den Neuankömmlingen heraus.

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Litauen Vilnius Ausstellung mit Werken von Majd Kara
Bild: Saulius Žiūra

"Am liebsten würde ich sagen - so wie Künstler das üblicherweise tun: 'Schauen Sie einfach hin und genießen Sie es'", sagt Kara den Besuchern seiner Ausstellungs-Eröffnung in der UNESCO Galerie im Zentrum der litauischen Hauptstadt Vilnius. "Aber in meinem Falle würde das nicht zutreffen - wohl eher 'Schauen Sie hin und leiden Sie'."

Eine mutierte Figur mit drei Köpfen, ein Kind, das es nicht schafft, die Hand eines Erwachsenen zu ergreifen, eine nackte schwangere Frau, die an ein Kreuz genagelt wurde - das sind nur einige der Gemälde der Serie "Die Zweite Geburt", in der Kara die Idee der Wiedergeburt erforscht. Mit dieser hat der 30-jährige Künstler auch seine eigenen persönlichen Erfahrungen gemacht, als er letztes Jahr, zusammen mit seiner Freundin Farah Mohammed aus Syrien nach Europa floh, um dort ein neues Leben zu beginnen.

Mit seiner Kunst will Kara dem Betrachter durchaus ein unangenehmes Gefühl vermitteln. So hat er es bereits bei seiner ersten Ausstellung in Vilnius im Mai gemacht: die bestand aus surrealistischen Porträts, die das heutige Syrien darstellen sollen. Er hatte sie während seiner ersten Monate in Vilnius gemalt, als er sich in einem Flüchtlingsaufnahmezentrum in der kleinen Stadt Rukla aufhielt. Zuvor hatte Kara vier Jahre Kunst in Damaskus studiert, eine Ausstellung organisiert und als Graphiker gearbeitet. Als die Lebensbedingungen dann aber unhaltbar geworden waren, entschloss er sich dazu, seine Karriere in Syrien aufzugeben und Asyl in Europa zu beantragen.

Die dunkle Atmosphäre seiner Kunst spiegelt die Realitäten wider, die Kara und Mohammed während der letzten zwei Jahre erlebt haben: Zunächst erreichten sie die Türkei, von dort aus setzten sie mit einem Boot nach Griechenland über. Im Rahmen des EU-Flüchtlingsabkommens wurden sie dann nach Litauen geschickt - in ein Land, das ihnen zuvor gänzlich unbekannt gewesen war. Kara konnte nur wenig Gepäck mitnehmen - darunter aber auch seine Mal-Utensilien.

Stadtansicht von Vilnius, Litauen
Im Vergleich zu anderen EU-Ländern ist Litauen relativ arm.Bild: imago/R. Weisflog

Litauen, ein kleines Land mit fast drei Millionen Einwohnern im Nordosten von Europa, ist nicht gerade ein Traumziel von Asylsuchenden. Das Durchschnittseinkommen ist eines der niedrigsten in der gesamten EU - genauer gesagt liegt Litauen damit auf Platz 25 von insgesamt 28 Ländern. Zudem ist die litauische Gesellschaft weniger multikulturell ausgerichtet als andere westeuropäische Länder - 84 Prozent der Bevölkerung sind Litauer, zur Zeit leben nur etwa 70 Syrer im Land. Kara gibt zu, dass er nicht geplant hatte, nach Litauen zu gehen. Er hätte Deutschland, Spanien und Frankreich bevorzugt, wo er bereits Freunde und Verwandte hat. "Die meisten meiner Freunde leben jetzt in Europa, sie haben Syrien verlassen. Ich wäre gerne näher bei ihnen gewesen. In Litauen kannte ich niemanden", erzählt der Künstler.

Das Flüchtlingsabkommen führte ihn jedoch nach Litauen. Das Land hat akzeptiert, bis Ende 2017 insgesamt 1.105 Flüchtlinge aufzunehmen. Zwei davon sind nun Kara und Mohammed. Bislang sind nur etwa 200 Asylsuchende nach Litauen geschickt worden, doch vielen Einheimischen ist das bereits zuviel. Im Oktober wurden zwei Frauen, eine Syrerin und eine Irakerin, im litauischen Flüchtlings-Aufnahmelager von jungen einheimischen Männern belästigt, als sie unterwegs zu einem Geschäft waren. Einer der Männer versuchte, den Hijab von einer der Frauen herunterzureißen, und brach dabei auch ihre Brille.

Kunst überwindet kulturelle Barrieren

Nach einer Umfrage vom April diesen Jahres sind 46 Prozent der Bevölkerung von Litauen "überhaupt nicht einverstanden" mit der Aufnahme von Asylsuchenden in ihrem Land. Sie sehen Flüchtlinge als eine Bedrohung der Wirtschaft, der Sicherheit und der nationalen Kultur. Im November machte die Flucht von 35 Asylsuchenden nach Westeuropa Schlagzeilen, nachdem sich diese heimlich einen Bus gemietet und das Flüchtlings-Aufnahmelager verlassen hatten.

Der Arbeit von Kara kommt eine besondere Bedeutung für die litauische Gesellschaft zu. Der Künstler hat nämlich aufgezeigt, dass die Einheimischen und die Flüchtlinge eine gemeinsame Basis finden können: und zwar in der Kunst. "Als ich zum ersten Mal die Kunstwerke von Kara betrachtete, überkam mich das Gefühl, dass seine Kunst kulturelle und geographische Barrieren überwunden hat. Er sprach in einer universellen Sprache, die viele Menschen hier verstehen konnten", erinnert sich Kunstkuratorin Kristina Savickienė, die die Ausstellung "Die Zweite Geburt" mitinitiiert hatte. "Für mich war das ein Beispiel dafür, wie ein Mensch seine Fähigkeiten und seinen Beruf benutzt, um einen Wandel in der Gesellschaft zu bewirken und Vorurteile zu überwinden." 

Nun schon seit acht Monaten in Litauen, hat Kara bereits zahlreiche Verbindungen zur Kunstszene des Landes aufgebaut. Er hat seine Arbeiten nicht nur in der Hauptstadt Vilnius ausgestellt, sondern auch in der kleinen Stadt Šiauliai, wo er zusammen mit einheimischen Künstlern ein Symposium besuchte.

Litauen Vilnius Ausstellung mit Werken von Majd Kara
Kara floh zusammen mit seiner Freundin Farah Mohammed (links)Bild: Saulius Žiūra

Kara und Mohammed haben das Flüchtlings-Aufnahmezentrum inzwischen verlassen und eine Wohnung in Vilnius bezogen. Mit Hilfe seiner neuen Freunde hat der Maler vorübergehend ein Atelier in der Nähe des Stadtzentrums gefunden. Mohammed, die zuvor Englischlehrerin gewesen war, hat eine neue Arbeit bei der Western Union in Vilnius angenommen.

"Als wir in der ersten Zeit durch die Strassen von Vilnius gingen, starrten uns die meisten Leute an, vor allem meinen Bart und meine Hautfarbe - denn wir stachen aus der Masse heraus", berichtet Kara. "Aber mittlerweile ist das alles okay. Mir scheint, dass alle Leute, die ich in Litauen kennengelernt habe, meine Freunde geworden sind. Jetzt führe ich ein völlig anderes Leben, und es ist ein gutes Leben, viel besser, als ich erwartet hatte."

"Mein Flüchtlingsstatus ist mein Untergang"

Kara versteht, dass gerade sein Flüchtlingsstatus seiner Arbeit zu mehr Aufmerksamkeit verhalf. Dennoch hofft er, dass das Publikum ihn eines Tages genauso behandeln wird wie alle anderen Künstler."Ich denke, dass mein Flüchtlingsstatus mein Untergang ist. Ich will, dass die Leute mich als Menschen und als Künstler sehen, nicht als Flüchtling", fügt er hinzu. Savickienė stimmt ihm zu: "Dieses Label als Flüchtling beraubt die Menschen ihrer Persönlichkeit und steckt sie in eine bestimmte Schublade - unglückliche, arme, leidende Menschen", so die Kunstkuratorin.

Nichtsdestotrotz stimmt sie darin überein, dass Karas Arbeiten die Einstellung der Litauer gegenüber Asylsuchenden beeinflusst haben. "Kara eröffnet den Besuchern eine Gelegenheit, die Welt aufs Neue zu erfahren, sie aus ihrer Komfortzone zu vertreiben, ihre Phantasie anzuregen. Und dadurch kann er im Wandel, der in der litauischen Gesellschaft stattfindet, eine Rolle spielen, und der Gesellschaft helfen, sich mehr zu öffnen."

Für Kara als Künstler ist die Ausstellung tatsächlich "Die Zweite Geburt". Aber, wie Savickienė betont, "ist sie auch eine zweite Geburt für uns Litauer. Wir öffnen uns mehr gegenüber anderen Kulturen, Rassen, Ideen und Religione - und wir werden unsere Nation anders als durch Ethnizität neu definieren müssen."

Die Ausstellung "Die Zweite Geburt" ist noch bis zum 6. Dezember in der Galerie der Litauischen Nationalen Kommission für die UNESCO in Vilnius zu sehen.