Der Schuldenschnitt
21. Februar 2012In der Nacht zum Dienstag (21.02.2012) ist in Brüssel neben einem zweiten Hilfspaket für Griechenland auch ein Schuldenmitt für Privatgläubiger vereinbart worden. Besitzer von griechischen Staatsanleihen sollen demnach unmittelbar auf 53,5 Prozent ihrer Forderungen verzichten. Bisher war die Rede von 50 Prozent. Da Anleger nach dem Anleihetausch für neue griechische Schuldscheine nur zwei Prozent Zinsen bekommen, beläuft sich der tatsächliche Verlust auf rund 70 Prozent.
Der Internationale Bankenverband IIF, der bei den Verhandlungen mit der griechischen Regierung die Privatgläubiger vertrat, bezeichnet die Vereinbarung als "die bisher größte Umstruktuierung von Staatsschulden". Er hofft, dass sich Banken, Versicherungen und Pensionsfonds dem Schuldenschnitt freiwillig anschließen. Denn der Schuldenerlass von rund 100 Milliarden Euro ist eine Voraussetzung für das zweite Rettungspaket im Umfang von 130 Milliarden Euro. Ohne neue Geldspritzen würde Griechenland schon Mitte März zahlungsunfähig werden und die Privatgläubiger würden einen Totalverlust erleiden.
Ob die Rechnung der Retter aufgeht, wird sich die nächsten Tage zeigen. Denn je länger sich die Rettungsaktionen für Griechenland hinziehen, desto mehr wird das Land zum Spekulationsobjekt. Während Banken und Versicherungen einen immer größeren Teil ihrer Griechenland-Anleihen abschreiben müssen, decken sich Hedgefonds mit denselben ein und investieren gleichzeitig in entsprechende Ausfallversicherungen. Mit anderen Worten: Sie wetten auf eine Pleite der Hellenen.
Diese Ausfallversicherungen würden nicht ausgelöst, wenn es zu einem freiwilligen Schuldenschnitt käme, sagt Hendrik Lodde, Analyst für europäische Staatsanleihen bei der DZ Bank: "Sie verpuffen wirkungslos. Da ist es verständlich, dass viele Anleger lieber einen echten Default, einen unfreiwilligen Zahlungsausfall hätten."
Mit der Freiwilligkeit wird es schwierig
Was bedeutet, dass sie sich nicht an dem angestrebten freiwilligen Schuldenschnitt beteiligen werden. Um den Schuldenerlass von 100 Milliarden Euro zu erreichen, müssen aber weit mehr als 90 Prozent der privaten Gläubiger mitmachen. Laut "Handelsblatt" gehen Notenbankenkreise davon aus, dass sich nicht genügend Besitzer griechischer Anleihen bereit erklären werden, auf 70 Prozent ihrer Forderungen gegenüber Griechenland zu verzichten.
Wenn es so käme, könnte das griechische Parlament per Gesetz alle Privatgläubiger zum Schuldenschnitt zwingen. Die Regierung werde dem Parlament in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen, teilt das griechische Finanzministerium am Dienstag (21.02.2012) mit. Was hat Athen bisher von diesem Schritt abgehalten?
Unfreiwillig gleich ungeordnet?
Erstens wollten es die Geldgeber, die EU und der Internationale Währungsfonds, unbedingt vermeiden, da ein erzwungener Schuldenschnitt als eine ungeordnete Insolvenz interpretiert werden kann.
"Ungeordnet ist, wenn jeder hofft, von irgendwem noch etwas zu bekommen", sagt Hendrik Lodde gegenüber DW. Dann wären beispielsweise die Kreditversicherungen (Credit Default Swaps, CDS) auf Staatsanleihen fällig. Was nicht heißt, dass alle Besitzer dieser Versicherungen zum Zuge kommen werden. Entschädigt wird nur, wer auch tatsächlich griechische Bonds hält.
Schon wieder die Ratingagenturen
Bei einem unfreiwilligen Zahlungsausfall sei zudem das Verhalten der Ratingagenturen weniger voraussehbar, meint Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW): "Das, was man von den Ratingagenturen gehört hat mit Blick auf eine freiwillige Umschuldung, ist, dass sie die griechischen Anleihen nur vorübergehend auf den Default-Status setzen." Und mit den besseren Aussichten für Griechenland durch niedrigere Schulden und geringeren Schuldendienst würden sich die Ratings schnell erholen, sagt Matthes zu DW.
Was dazu führt, dass die griechischen Banken die Staatsanleihen weiterhin als Sicherheit bei der EZB hinterlegen können, um sich zu refinanzieren. Bei einem unfreiwilligen Schuldenschnitt könnte das Default-Rating länger an dem Mittelmeerstaat kleben und seine Banken würden ins Straucheln geraten.
Angst vor Kettenreaktionen
Auch wird seit Monaten vor Kettenreaktionen an den Finanzmärkten gewarnt. Vor allem die CDS werden wie tickende Zeitbomben betrachtet, da keiner genau weiß, welche Institute wie viele dieser Papiere halten. IW-Experte Jürgen Matthes hält dieses Szenario für etwas übertrieben: "Die Daten, die vorliegen, deuten daraufhin, dass vergleichsweise geringere Volumina im Spiel sind, was die Netto-Werte der CDS betrifft."
Jedoch glaubt Hendrik Lodde von der DZ Bank, dass die absolute Zahl nicht das Entscheidende ist: "Da hat vielleicht eine Versicherung, die man noch nicht kennt, viele griechische CDS verkauft und wird dadurch in Mitleidenschaft gezogen."
Schließlich weiß man nicht, ob diese Versicherung genügend Kapital hat, um die CDS auszuzahlen. Eine insolvente Versicherung könnte wiederum andere Finanzinstitute anstecken.
Aus Marktsicht eine saubere Lösung
Dennoch hält Lodde den unfreiwilligen Schuldenschnitt für die markttechnisch sauberste Lösung, "weil derjenige, der sich abgesichert hat, etwas bekommt." Und derjenige, der ein Risiko eingegangen ist, muss den Verlust mittragen.
Um diesen drohenden Verlust zu vermeiden, haben die Europäische Zentralbank und nationale Notenbanken der Eurozone am Wochenende ihre griechischen Anleihen in neue Bonds getauscht. Hintergrund ist, dass die neuen Papiere nicht von einem erzwungenen Schuldenschnitt berührt werden. Die EZB will nicht den Eindruck erwecken, durch mögliche Verluste der Anleihe Staatenfinanzierung zu betreiben. Die Tauschaktion zeigt auch, dass die europäischen Währungshüter von einem Scheitern des freiwilligen Schuldenschnitts ausgehen.
Autorin: Zhang Danhong
Redaktion: Henrik Böhme