Der Schnee wird grüner
19. Januar 2017"Die Skifahrer haben Nachholbedarf", sagt Hotelier Thomas Torghele. Der Juniorchef vom 'Bergblick' in Balderschwang hat mehrere Standbeine, bewirtschaftet noch zwei Hütten im Skigebiet. "Normalerweise haben wir Ende November Schnee. Diesen Winter war der 6.Januar der erste Skitag. Wir lernen daraus, dass wir auf den Schnee nicht mehr bauen können."
Dass 2016 das weltweit heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war, hat Torghele gerade in den Nachrichten gehört. Es war das dritte globale Hitzerekord-Jahr in Folge, haben US-Ozeanografie- und -Wetterbehörde NOAA und die Raumfahrtbehörde Nasa bekanntgegeben.
Wenn der Schnee fehlt, ist Kreativität gefragt
Um wetterunabhängig zu werden, wurde in acht Monaten Bauzeit mit heimischen Hölzern und Stoffen das Hotel erweitert, der ursprüngliche Wellnessbereich renoviert und zusätzlich in eine neue Spa-Abteilung investiert. Dank der großen Fensterfronten wird dem Betrachter das Gefühl vermittelt, mitten in der Natur zu sein. Auf großen Sofas, vor Kaminen, in der Bücherecke kann der Besucher abschalten.
"Der Gast braucht theoretisch das Haus nicht mehr zu verlassen", gibt der Gastronom zu verstehen. Seine Mutter, Schwester und Lebensgefährtin bieten medizinische und kosmetische Behandlungen von Kopf bis Fuß an."
Grüne Winter können allerdings noch anstrengender für das Personal sein als weiße. Die Gäste, die sonst tagsüber die Hänge und Hütten bevölkern würden, müssen anderweitig aufgeheitert und beschäftigt werden. Da werden der Senior-Hotelchef, den alle Rudi nennen, und die Mitarbeiter zusätzlich zu Animateuren und musikalischen Alleinunterhaltern: Sie organisieren Schneeschuhtouren mit Einkehr in Hütten und greifen zur Ziehharmonika oder Klampfe, um die Urlauber zum Schunkeln zu bewegen. "Unsere Gäste wissen, dass die ganze Familie im Einsatz ist, ihnen ein Rahmenprogramm bietet. Sie haben keine Langeweile", berichtet Torghele schmunzelnd.
Balderschwang habe Glück, fügt er hinzu. In dem kleinen Ort im Oberallgäu, der als einer der schneesichersten Deutschlands gilt, gibt es keine Massenabfertigungen in Bettenburgen. Hier sind die Urlauber nahe dran an der Natur und schätzen den Kontakt zu den Bewohnern des Tales. Der Erholungswert ist sehr hoch.
Klimawandel Thema bei WEF
In der Schweizer Stadt Davos dagegen zieht die Mischung aus mondänen Hotels, ruhigen Seitentälern, Geschäften und hochalpinen Abfahrtspisten die Gäste an.
Und die Möglichkeit, Tagungen im internationalen Kongresszentrum durchzuführen. Pünktlich zur Anreise der 5000 Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums (WEF) hielt der Winter in Graubünden Einzug. Schließlich gehören Bilder von Davos in winterliches Weiß gehüllt wie selbstverständlich zum WEF. Allerdings mussten die Dramaturgen des Spitzentreffens aus Politik, Wirtschaft und Promis in dieser Saison die Schneefallhöhen wie Erbsen zählen: Zwei plus ein Zentimeterchen waren es im Dezember. Erst kurz vor Beginn des Forums gab sich Frau Holle einen Ruck und ließ insgesamt 38 Zentimeter vom Himmel rieseln.
Im Globalen Risikobericht 2017 weisen die WEF-Organisatoren darauf hin, dass die letzten 16 Jahre zu den 17 wärmsten seit Aufzeichnung der Wetterdaten zählten. Um die Risiken der dramatischen Erderwärmung um bis zu zwei Grad Celsius zu senken müssten die Emissionen bis 2050 um 40 bis 70 Prozent reduziert und bis 2100 gänzlich eliminiert werden. Daher müssten alle Bereiche der Gesellschaft zusammenarbeiten.
In Balderschwang haben Liftbesitzer aktuell 7,6 Millionen in eine Sesselbahn investiert, in der sechs Skifahrer nebeneinander sitzend auf den Gipfel geschaukelt werden können.
Das Bundesland Bayern hatte das Projekt mit 2,5 Millionen Euro bezuschusst. Auch für die umstrittene Liftanlage Riedberger Horn hat die Landesregierung in München die Ampel auf grün gestellt. Damit sollen die Skigebiete der Gemeinden Obermaiselstein und Balderschwang verbunden werden und so konkurrenzfähig bleiben im Wettbewerb mit den Skiarenen im benachbarten Österreich. Skifahrer und Wanderer sollen so vom Tal aus auf die Balderschwanger Höhe gelangen, statt mit Autos über den Riedberg-Pass zu fahren.
Blechlawinen und Schneekanonen in Bergregionen
95 Prozent der jährlich 45 bis 50 Millionen Touristen im alpinen Raum reisen mit dem Auto an. Das Balderschwanger Projekt ist allerdings bei Naturschützern höchst umstritten, weil die geplante Lifttrasse durch einen streng geschützten Bereich der Alpen verläuft und das Projekt dadurch unzulässig ist.
Fragwürdig auch: Laut Umweltorganisation Greenpeace werden in den Bayerischen Alpen 13 Prozent der Pisten mit Schneekanonen beschneit. In der Schweiz rieselt 19 Prozent Schnee aus Kanonen. Doch Spitzenreiter sind die Österreicher mit 59 Prozent technischer Beschneiung. Insgesamt werden dafür 280 Millionen Kubikmeter Wasser aus Speicherseen verpulvert.
Da der Kunstschnee nicht aus Kristallen, sondern kleinen Eiskügelchen gebildet wird, der Belag komprimierter ist, hält er bis tief ins Frühjahr hinein. Nachteil: Weniger Luftsauerstoff dringt in den Boden, die Hänge sehen im Sommer lange braun und von schweren Pistenwalzen malträtiert, lädiert aus. Die Vegetation verzögert und verändert sich: Durch Abholzungen für freie Pistenfahrten fehlen den Hängen Bäume mit Wurzeln als Anker. Überschwemmungen, Erosion, Geröll- und Schlammlawinen sind die Folgen des Kahlschlags.
Skisport vom Aussterben bedroht
Der Deutsche Alpen Verein (DAV) hat errechnen lassen, dass bei einer Erderwärmung von zwei Grad bis Ende des Jahrhunderts 60 Prozent der Skigebiete in den höher gelegenen Bayerischen Alpen verschwinden. Trotz künstlicher Beschneiung wird der Schnee nicht liegen bleiben, da Boden und Luft nicht ausreichend abkühlen.
Angesichts solch nachhaltiger Nebenwirkungen bemüht sich auch die Lobbyorganisation, der Deutsche Skiverband (DSV), einerseits die Menschen in der Natur für diese zu begeistern und sie andererseits für Umweltbildung und -schutz zu sensibilisieren. "Es muss im Interesse eines jeden Wintersportlers liegen, dass alle vom Menschen ausgehenden Einflüsse auf die Erwärmung unseres Klimas reduziert werden", heißt es in der Schrift des DSV-Umweltbeirates. Technische Beschneiung sei zwar integraler Teil eines erfolgreichen Konzepts im Schneesporttourismus. Doch gelte es nach abzuwägenden ökologischen und ökonomischen Faktoren zu entscheiden, ob und wo Beschneiungsanlagen zur Sicherung der Saison noch sinnvoll eingesetzt werden können.
Um die klimatischen Veränderungen zu mildern, ruft der DSV auch im Alltag zu umweltgerechtem Verhalten auf.
Schneelose Wildnis
Die alpine Umweltschutzorganisation Mountain Wilderness (MW) beschäftigt sich jetzt schon mit dem Fortschreiten des Klimawandels: "Eigentümer und Erbauer nicht genutzter Anlagen sollten per Gesetz zur Rückbauung verpflichtet werden, damit Liftanker und -stützen nicht endlos in der Landschaft verrosten", fordert MW-Sprecher Michael Pröttel. Greenpeace rät Wintersportlern dazu, künftig nicht ausschließlich Skiferien, sondern Winterferien zu planen, um gegebenenfalls wandernd die Natur zu genießen.