Der Roboter und mein Arbeitsplatz
5. Januar 2019Kai Schiefelbein packt gern mit an. Der Geschäftsführer des Heizungsspezialisten Stiebel Eltron mit 3300 Mitarbeiter programmiert mit an der neuen Software und ist dabei, wenn Konzepte für die Lean-Produktion erarbeitet werden. Interdisziplinäre Arbeitsweise hat sich bei der Digitalisierung von Stiebel als effektiv erwiesen. "Wir mussten uns in allen Abteilungen auf Industrie 4.0 einstellen und das erfordert Flexibilität", bekräftigt Christiane Schäfers, die Chefin für das internationale Personal.
Ihre Strategie ist langfristig ausgelegt: "Heute planen wir bereits die neuen Arbeitsplätze für unserem Betrieb in drei Jahren." Dafür werden Kollegen individuell weitergebildet und passende Fachkräfte rechtzeitig im Unternehmen ausgebildet. Arbeitsplatzabbau durch Automatisierung? "Bei Stiebel nicht", verspricht Personalerin Schäfers. "Unsere Mitarbeiterzahl hat sich nicht verändert, wir schaffen sogar neue Stellen."
Die Angst vor Robotern
Damit gehen die Niedersachsen mit gutem Beispiel voran. Denn die Vernetzung von Maschinen und selbstlernende Automaten müssen keine Jobkiller sein. Im Gegenteil: In der Industrie 4.0 werden die Mitarbeiter von Produktionsrobotern entlastet, sodass sie sich neuen Anforderungen widmen können. Laut der Studie der Fachmesse "Automatica Trend-Index" sehen 70 Prozent der befragten Arbeitnehmer hierzulande in technischen Funktionen wie intelligente Steuerung durch Sprachbefehle oder Touchpads eine Erleichterung ihres Arbeitsalltags. 60 Prozent glauben, dass Künstliche Intelligenz (KI) Roboter zu besseren Assistenten in der Produktionshalle macht. Ein Großteil der Arbeitnehmer zwischen Flensburg und dem Bodensee hat keine Angst, durch Algorithmen arbeitslos zu werden: 78 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass ihre sozialen Fähigkeiten nicht von chipgesteuerten Robotern ersetzt werden können.
Diesen Optimismus haben nicht alle. Die Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) geht davon aus, dass in Deutschland beinahe jeder fünfte Beschäftigte in den nächsten 15 bis 20 Jahren durch Software oder Roboter ersetzt wird. 36 Prozent müssten damit rechnen, dass sich ihr Arbeitsalltag erheblich verändert. Hierzulande sei diese Quote höher als zum Beispiel in Norwegen, den USA oder Österreich. Der Grund: Die deutsche Industrie sei so strukturiert, dass sich Automatisierungsprozesse gut umsetzen lassen. OECD-Forschungsleiterin Glenda Quintini: "Volkswirtschaften mit großen Industrien haben ein höheres Risiko für Automatisierung." Stärker bedroht als in Deutschland sind laut Studie Jobs in Japan und in der Slowakei.
Aus- und Fortbildung als Schlüsselrolle
Eine Lösung des Konflikts "Roboter versus Angestellte" könnte Kooperation sein. Falk Senger, Geschäftsführer Technologiemessen der Messe München, ist überzeugt, dass sich Roboter mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu noch kompetenteren Assistenten am Arbeitsplatz entwickeln: "Maschinen werden nicht nur Aufträge ausführen, auf die sie programmiert sind. Sie können schon bald die Fragen der menschlichen Kollegen verstehen, beantworten und auf Gesten reagieren. "In der nächsten Phase der Automatisierung gelte es, die Arbeitsschritte zu antizipieren, um Hindernisse im Voraus zu erkennen und aus dem Weg zu räumen. Senger, der als Studienleiter den "Automatica Trend-Index" verantwortet, räumt Aus- und Weiterbildungen eine Schlüsselrolle ein, "damit die Beschäftigten mit dem Tempo der Arbeitswelt 4.0 Schritt halten können". Die Mehrheit der befragten Arbeitnehmer wünscht sich hierzu ein konsequenteres Engagement von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.
Der Automobilzulieferer Bosch hat zusammen mit der Industrie- und Handelskammer Stuttgart den Lehrgang "Fachkraft für Industrie 4.0" ins Leben gerufen. Der Industriemechaniker Bülent Cevran gehört zu den ersten zwölf Absolventen. Als Schichtführer in der Logistikabteilung musste er früher Bauteile von Hand im Lager heraussuchen und zuordnen. Heute ist dieser Prozess automatisiert. Durch den Lehrgang ist er in der Lage, die Vernetzung innerhalb des Werks selbst mitzugestalten. Während der 100-stündigen Weiterbildung hat er Details über den Stand der Technik und über Datenübertragung gelernt. "Die technischen Lösungen sind dabei nur die eine Seite der Medaille", sagt Stefan Aßmann, Leiter der Geschäftseinheit Bosch Connected Industry: "In der Industrie 4.0 machen die Mitarbeiter den Unterschied. Sie müssen situativ auf Probleme reagieren und neue, kreative Lösungswege finden."
Die nächsten Branchen im Visier
Nicht nur in der Industrie verändern sich Arbeitsbedingungen durch den digitalen Wandel. In der Pflege- und Gesundheitsbranche sorgen innovative Hilfsmittel für frischen Wind. Stichwort Pflegenotstand: "Für Pflegedienste werden selbstlernende Programme und Service-Roboter Entlastung bringen", ist Michael Stephan überzeugt, Geschäftsführer des Software- und Serviceunternehmens BOS&S (100 Mitarbeiter) in Berlin. Seine Planungs-, Dokumentations- und Abrechnungsprogramme nehmen Kranken- und Altenpflegern die zeitaufwendige, schriftliche Arbeit ab. Stephan: "Dadurch haben Pfleger mehr Zeit für Klienten."
In seiner Entwicklungsabteilung testet der Berliner derzeit "Pepper". Der bewegliche humanoide Roboter mit dem freundlichen Gesicht und dem Bildschirm vor dem Bauch weist Demenzkranken den Weg, zeigt Kindern Erklärvideos und arbeitet in Krankenhäusern als Empfangsdame. "Die technischen Möglichkeiten nehmen kontinuierlich zu", sagt Stephan. Bald könnten Roboter auch die körperlich schweren Arbeiten wie das Heben und Halten von Patienten übernehmen und den Pflegekräften ihre Arbeit erheblich erleichtern.