1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der Pilot, der fürs Klima am Boden bleibt

Tamsin Walker
4. Oktober 2022

Todd Smith wollte schon immer fliegen. Seine Familie hilft ihm dabei, die teure Ausbildung zum Berufspiloten zu finanzieren. Doch als er endlich seinen Traumjob hat, stürzt ihn die Klimakrise in einen Gewissenskonflikt.

https://p.dw.com/p/4G0HO
Todd Smith im Flugzeugcockpit - von außen gesehen
"Passagiere zu befördern war mein absolutes Traumziel"Bild: Privat

Aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen am Londoner Stadtrand war für ihn nur wenig selbstverständlich — bis auf die nachdrückliche Aufforderung seines Vaters, einen Beruf zu wählen, den er liebt. Für viele ist solch eine Entscheidung eine Herausforderung, nicht aber für Todd.

Als er zum ersten mal eine Kunstflugshow der Royal Air Force sah, wusste er sofort, dass seine Zukunft über den Wolken liegt. "Ich war einfach absolut hingerissen von diesen neun Flugzeugen, die Flügel an Flügel flogen. Das war der Beginn meiner Laufbahn".

Da war er fünf Jahre alt.

Es war mehr als ein flüchtiger Kindheitstraum - sein junger Geist war wie gebannt. Als er etwas älter war, begann er, Flugsimulationsspiele zu spielen. Im Alter von elf Jahren klopfte er an die Tür der nächstgelegenen Zweigstelle der Luftkadetten und bat sie, eine Ausnahme beim Mindestalter zu machen und ihn in die Staffel aufzunehmen. Erstaunlicherweise stimmten sie zu.

Jahrelang ging er zweimal pro Woche zur Ausbildung, und obwohl sein Enthusiasmus ungebrochen war, schien die Erfüllung seines Traums vom Fliegen mit 16 Jahren in weiter Ferne, da eine Karriere bei der Royal Air Force (RAF) nicht in Frage kam und er nicht über die 150.000 Pfund (162.000 $) verfügte, um seine Ausbildung zum Berufspiloten zu finanzieren.

Todd Smith in Pilotenuniform sitzt in einer Jet Turbine
"Einen echten Jet in die Hände zu bekommen, war... ehrlich gesagt ist das mit nichts zu vergleichen."Bild: Privat

Geld für die Flugausbildung aufbringen

Stattdessen ging Todd nach London, machte eine Lehre als Elektriker und wechselte ein paar Jahre lang von einem Job zum nächsten. Keiner dieser Berufe kam dem Fliegen nahe. "Ich fühle mich in der Luft sehr wohl. Es gibt mir dieses Gefühl von Freiheit und Ruhe", erklärt er im Gespräch mit DW.

Als er sich entschloss, ein Darlehen aufzunehmen, um eine private Fluglizenz zu erwerben, sah seine Familie, wie wichtig ihm das Fliegen war, und trommelte das Geld für die kommerzielle Ausbildung zusammen.

Seine Großmutter verkaufte ihr Haus und zog zu Todds Eltern, die wiederum eine Hypothek auf ihr Haus aufnahmen. In Kombination mit Todds eigenem Gehalt finanzierten sie so über die nächsten fünf Jahre seine Ausbildung zum Berufspiloten.

Der Prüfer sagte hinterher zu mir: 'Sie sind ein Gewinn für die Luftfahrt, und Sie werden es in Ihrer beruflichen Laufbahn sehr weit bringen'. Meine Mutter und mein Vater waren dabei. Es war wirklich unglaublich".

Das Letzte, woran er in diesem Moment dachte - oder in den folgenden drei Jahren, als er Urlauber durch Europa flog und in seinem Beruf Karriere machte - waren die Treibhausgasemissionen, die die Luftfahrtindustrie jährlich verursacht.

Todd Smith steht auf einem der Gipfel des vielfarbigen "Rainbow Mountain”.
Es war ein bittersüßer Moment. Der Reiseführer sagte uns, dass Peru einer der ersten Orte sei, der vom Klimawandel betroffen sind.Bild: Privat

Die Klima-Ungerechtigkeit des Fliegens

Doch 2018 sollte sich das ändern, als eine Darmentzündung Todd zu einer Auszeit von der Steuerkabine zwang. Das war das Letzte, was er wollte, und er war so "versessen darauf, so schnell wie möglich wieder fliegen zu dürfen", dass er die von einem Arzt vorgeschlagene Herausforderung annahm, sich fast ausschließlich pflanzlich zu ernähren und auf Fleisch zu verzichten.

In dieser Zeit sah er eine Reihe von Dokumentarfilmen, die aufzeigten, wie Tierhaltung das Klima und die Umwelt schädigt.

"Das hat mich wirklich betroffen gemacht". So sehr, dass er sich entschloss, vegan zu leben und anfing, sich mit Klimaforschung zu befassen. Als er nach einem Zeckenbiss in einem Londoner Park an Lyme-Borreliose erkrankte und noch länger ausfiel, begann er tiefer zu graben.

Während er forschte, erinnerte er sich an einen bittersüßen Augenblick ein paar Jahre zuvor, als er auf dem farbenfrohen Regenbogenberg in Peru stand. "Die Menschen liefen dort wie Ameisen auf und ab. Er war so schön, aber wir hätten das gar nicht sehen dürfen".

Die prächtigen Farben waren zuvor unter einer Schneedecke verborgen gewesen, die durch die Erderwärmung geschmolzen war. Als er den Berg sah, wurde er "aus erster Hand Zeuge der Auswirkungen des Klimawandels und des Massentourismus".

Der Pilot Todd Smith bei einer Klimaprotest
"Gegen den Klimawandel zur kämpfen bedeutet zur Gemeinschaft zurückzukehren, sich wieder mit der Natur zu verbinden und ein Wirtschaftssystem zu schaffen, das Gesundheit und Wohlbefinden über das BIP stellt."Bild: Extinction Rebellion

Eintauchen in die Klimaarbeit

Todd konnte nicht länger leugnen, was er bis dahin verdrängt hatte. Das änderte alles. Er vertiefte sich in die Klimaforschung und recherchierte den CO2 Abdruck des Flugverkehrs. Er erfuhr, dass die Branche für mehr als zwei Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich ist und dass von den 80 Prozent der Menschen, die noch nie in einem Flugzeug gesessen haben, viele unverhältnismäßig stark vom Klimawandel betroffen sind.

"Ich war ganz ergriffen von der Ungerechtigkeit, die das alles mit sich bringt. Vor allem, weil die Hälfte dieser Emissionen von nur einem Prozent der Bevölkerung verursacht wird".

Er versuchte, diese neuen Erkenntnisse seinen Kollegen in der Luftfahrtindustrie zu erklären, fand aber nicht viele bereitwillige Zuhörer. "Damals stand Greta Thunberg im Mittelpunkt all dieser üblen Beschimpfungen. Ich glaube, die Branche fühlte sich durch sie wirklich bedroht. Sie hat ernst gemacht".

Todd schlug nun einen Weg ein, der ihn von dem Beruf wegführte, der seine ganze Identität ausgemacht hatte. Ein Gefühl von "Verantwortung und Moral" hielt ihn davon ab, zu seinem früheren Leben zurückzukehren. Er schloss sich der Protestbewegung Extinction Rebellion an, für die er heute als Sprecher tätig ist, und begann, "Klimaaktivismus wirklich ernst zu nehmen".

Gleichzeitig schuldete er seiner Familie noch eine Menge Geld. Aber es war ihm unmöglich zu fliegen, um es ihnen zurückzuzahlen. "Ich könnte nicht einmal mehr als Passagier ein Flugzeug betreten - geschweige denn als Pilot". 

Es war nicht leicht für seine Eltern, seinen Sinnes- und Gewissenswandel zu verstehen.  Es brauchte Zeit, Einfühlungsvermögen, das Versprechen seine Schulden zu begleichen und eine Exkursion ihrerseits in die Klimapolitik. In diesem Frühjahr nahmen sie gemeinsam mit ihm an ihrer ersten Protestveranstaltung teil.

Der Pilot Todd Smith
"Wir wollen die Beschäftigten in der Luftfahrt dazu befähigen, die Grenzen der Technologie zur Lösung des Problems zu erkennen"Bild: Extinction Rebellion

"Das war ein wirklich unglaublicher Moment. Und sie haben es jetzt wirklich verstanden, so dass wir jetzt am Diskurs über Ölfirmen und dergleichen teilhaben können".

Der Versuch, die Luftfahrtindustrie von innen heraus grüner zu machen

Durch seinen Aktivismus lernte Todd auch Kollegen aus der Luftfahrt kennen, die seine Klimasorgen teilen. Sie bildeten zunächst eine lockere Gruppe, aus der inzwischen Safe-Landing geworden ist, eine Organisation, die versucht, die Branche von innen heraus zu verändern, indem sie die Branchenführer dazu auffordert, "sich an der Klimaforschung zu orientieren und gefährliches Wachstum abzulehnen".

"Mit dem uns verbleibenden CO2 Budget können wir den Luftverkehr nicht weiterhin alle 15 Jahre verdoppeln, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Wir wollen den Beschäftigten in der Luftfahrt helfen zu verstehen, dass wir nur dann eine langfristige Zukunft für die Branche sichern können, wenn wir weniger fliegen".

Er liebt das Fliegen immer noch und in der Luft zu sein fehlt ihm. Aber er wird erst dann zurückkehren, wenn die Branche ihre Verpflichtungen ernst nimmt. In der Zwischenzeit konzentriert er sich auf seine eigenen Verpflichtungen: "Wir Piloten sind darauf trainiert, unvoreingenommen zu denken, Risiken zu minimieren und Leben zu schützen. Ich folge also einfach meinem Training und tue alles in meiner Macht, um die Branche dazu zu bringen, ihre Risiken zu minimieren. Schließlich ist Sicherheit unsere oberste Priorität". 

Bearbeitet von Jennifer Collins