Der mündige Athlet: Max Hartung
30. Juli 2021"Als ich in der Schlange angestanden habe für die Wäsche, da habe ich zufällig eine französische Athletinnen-Vertreterin getroffen und wir hatten 20 Minuten Zeit miteinander zu reden. Das ist hier sonst kaum möglich." Die strengen Corona-Regeln - wie alle Sportler bei den Olympischen Spielen in Tokio ist auch der deutsche Säbelfechter Max Hartung davon betroffen. Was die Einzigartigkeit des größten Sportevents der Welt ausmacht, nämlich das Aufeinandertreffen über Sportarten hinaus und der Austausch unter Athleten weltweit, ist hier in der japanischen Hauptstadt auf Zufälle reduziert.
Dabei gäbe es so viel zu diskutieren: die strengen Hygiene-Regeln beispielsweise, die Hitze, Doping durch Hautkontakt oder auch die politischen Botschaften einiger Olympia-Sportler.
"Ich finde es toll, dass Sportler als gesellschaftliche Akteure ihre Bühne und Reichweite nutzen, um das Zusammenleben zu verbessern und damit gerade auf junge Leute Einfluss nehmen", erklärt der viermalige Europameister und Mannschafts-Weltmeister im Interview mit der DW. Hartung beendet nach Tokio seine Fecht-Karriere und wird Geschäftsführer der Sporthilfe Nordrhein-Westfalen.
Warum braucht es unabhängige Athletenvertretungen?
Der russische Dopingskandal, Fairness im Sport, die umstrittene Leistungssport-Reform in Deutschland – diese Themen haben Hartung schon vor fünf Jahren bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro beschäftigt, aber auch überfordert. Es gab eine Athletenkomission innerhalb des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), aber keine unabhängige Interessensvertretung. Hartung sagt: "Ich wollte eine stärkere Lobby für Athleten haben."
Gedacht, getan und 2017 die Organisation "Athleten Deutschland" mitgegründet, die über 1000 Kader-Sportlerinnen und -Sportler vertritt. Ihr Ziel: grundlegende Veränderungen im deutschen und internationalen Sportsystem. Generell geht es um Mitbestimmung, Schutz und Perspektive der Sportler. Und um diese Fragen: Wer bestimmt den Trainer, wie werden die Gelder auf die jeweiligen Sportarten verteilt, wo gibt es Olympia-Stützpunkte, weshalb gibt es so wenig Unterstützung für Athletinnen während und nach der Schwangerschaft, warum dürfen die Sportler nicht die Gremien ihrer Verbände wählen?
Warum gibt es so wenige Athleten, die für ihre Rechte kämpfen?
"Für den Trainer war es manchmal nicht ganz einfach, mit meinen vielen Reisen und anderen Sachen, die ich im Kopf hatte, zu akzeptieren, dass ich neben dem Fechten noch so viele andere Sachen gemacht habe", blickt Hartung zurück. Manchmal habe das auch Auswirkungen auf seine sportlichen Leistungen gehabt.
"Am schlimmsten war es bei der WM 2017 in Leipzig, im Mannschaftskampf", erinnert sich der 31-Jährige. "Weil ich so viel gearbeitet hatte. Ich war gerade Athletensprecher geworden, kurz zuvor noch Europameister, da war die Luft raus und ich bin in ein Loch gefallen." Besonders schmerze ihn das Gefühl, sein Team im Stich gelassen zu haben. "Es ist bitter, wenn man nicht so gute Leistungen bringt, wie man könnte. Aber wenn das im Mannschaftswettbewerb passiert? Das war der Tag, der am meisten weh getan hat und wo ich lernen musste, besser auf mich aufzupassen und auch mal Nein zu sagen."
Das "Einhorn" aus Deutschland
Mittlerweile hat "Athleten Deutschland" fünf hauptamtliche Mitarbeiter und wird vom Bund finanziell unterstützt. Damit sei die Organisation weltweit ein "unicorn" - ein "Einhorn", wie Hartung es ausdrückt. In den meisten Ländern gebe es Athletenvertretungen, die seien jedoch nicht immer unabhängig und personell sowie finanziell nicht annähernd so gut aufgestellt.
Die Arbeit ist mühselig, die Fortschritte sind oft nur minimal. Beispiel Artikel 40 der olympischen Charta, in dem es um Werberechte geht. Dafür traf er sich sogar mit IOC-Präsident Thomas Bach. "Unser Wunsch, dass die Sportler, die für die Bilder sorgen, auch monetär beteiligt werden, konnten wir nicht durchsetzen."
Druck aufbauen
Um Reformen anzustoßen, brauchen sie den Input von Sportlern. Zudem sind die gesellschaftliche Stimmung und die Aufmerksamkeit der Medien hilfreich, um Druck auf Sportverbände wie das Internationale Olympische Komitee aufzubauen - wie jetzt bei den Solidaritätsbekundungen der Athleten.
Er selbst habe auch darüber nachgedacht, ein Zeichen zu setzen - sein letzter Auftritt bei den Olympischen Spielen am Mittwoch mit der Mannschaft hätte sich dafür angeboten: Es war gleichzeitig sein letzter Kampf als aktiver Athlet. "Ich hätte mich aber schwer damit getan, ein Thema über alle andere zu heben", sagt Hartung. Deshalb habe er sich dafür entschieden, dass sein Engagement für "Athleten Deutschland" sein Beitrag sei.